"Sunniten durch Sunniten bekämpfen"
Von allen Seiten wird mit Nachdruck der militärische Kampf des Westens gegen die IS-Terroristen gefordert. Für wichtig hält Roderich Kiesewetter, Obmann des Auswärtigen Ausschusses, dabei die ideologische Bekämpfung - mit Hilfe anderer muslimischer Staaten wie der Türkei.
Nana Brink: Und je vehementer der Widerstand der Kurden wird – bislang halten sie ja die Stadt Kobane –, desto größer wird die Diskussion weltweit, wie gehen wir denn vor gegen den IS? Die Amerikaner, wir haben es gehört, fliegen seit einiger Zeit Luftangriffe, unterstützt von anderen Mächten. Deutschland hat Waffen geschickt, aber der Ruf nach mehr Engagement, der wird immer lauter. Und wie soll das aussehen. Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter ist Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages und war bis 2008 bei der Bundeswehr im Rang eines Oberst. Guten Morgen, Herr Kiesewetter!
Roderich Kiesewetter: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Immer mehr Stimmen, zum Beispiel in den USA, und das sind Nicht-Regierungs-Stimmen, und sogar aus der Linkspartei hier in Deutschland fordern mehr militärische Unterstützung für die Kurden in ihrem Kampf gegen den IS. Wie sehen Sie das?
Kiesewetter: Eine militärische Bekämpfung kann natürlich nur ein Ansatz sein. Genauso muss die ISIS ideologisch bekämpft werden, ideologisch auch zurückgedrängt werden. Es ist gut, dass sich muslimische Autoritäten zunehmend distanzieren, zum Beispiel Fatwas aus Saudi-Arabien. Die rechtsstaatliche Bekämpfung machen wir genauso wie die Austrocknung finanzieller Mittel. Hier spielt Kuwait eine Rolle, auch die Türkei dürfen wir hier nicht außer Acht lassen. Und bei der militärischen Bekämpfung ist es natürlich sehr schwierig, in welcher Art und Weise wir vorgehen. Hier haben wir rund 40 Staaten, die in einer internationalen Allianz sind. Eine Bekämpfung aus der Luft kann nur ein Anfang sein. Deshalb muss jetzt alles getan werden, um ein UN-Mandat zu erreichen.
Brink: Sie haben es gesagt: Der Kampf in der Luft kann nur ein, der erste Anfang sein. Und auch die USA, gerade auch vonseiten der Militärs, haben ja gesagt, sie brauchen kompetente Einheiten am Boden. Deshalb fährt jetzt auch eine Delegation in die Türkei, um das möglich zu machen. Ist das der richtige Weg?
Staatliche Einheit des Irak muss erhalten bleiben
Kiesewetter: Also zunächst einmal sage ich, brauchen wir ein ganzheitliches politisches Konzept, und das Militärische kann nur ein Bestandteil davon sein, denn am Ende muss der Wiederaufbau des Iraks stehen, und es muss auch ein Schutz des Iraks in seinen Grenzen gegenüber Infiltration von Syrien stehen. Ein militärischer Ansatz muss ja das Ziel haben, die ISIS zu bekämpfen, aber dann auch wieder Strukturen zu ermöglichen. Wir sollten als Deutsche ein hohes Interesse haben, dass die staatliche Einheit erhalten bleibt. Die staatliche Einheit heißt, dass der innerstaatliche Aussöhnungsprozess zwischen Schiiten, Sunniten, aber eben auch den Kurden in Gang kommt. Und da leistet ja Deutschland schon mit der Unterstützung der Peschmerga, die in die staatlichen Sicherheitsorganisationen aufgenommen sind, einen Beitrag. Die NATO, muss ich hier gleich zu Beginn sagen, sollten wir ausschließen, weil die NATO dort in der Region als christliche Organisation verstanden wird, und die ISIS ein hohes Interesse hat, die NATO mit reinzuziehen. Deshalb sollten wir auch stark auf die Türkei einwirken, dass sie regional sich engagiert, und die Türkei unterstützen, aber nicht einen NATO-Fall herbeiführen.
Brink: Aber hält man sich deshalb so zurück, weil man fürchtet, dass die Türkei, die ja ein NATO-Mitglied ist, da reingezogen wird, und dann damit auch die NATO?
Kiesewetter: Das ist ja die Gefahr, die besteht, wenn das türkische Staatsgebiet angegriffen wird. Aber auch hier ist die NATO frei, eine Unterstützung zu entscheiden, wie sie es möchte. Es ist ja klug, dass deshalb eine internationale Allianz aus Nicht-NATO-Mitgliedern und NATO-Mitgliedern gegründet wurde. Zum Beispiel Australien ist dabei, Japan und andere, die mit finanziellen Mitteln, aber eben auch mit militärischen Mitteln unterstützen. Entscheidend ist, dass wir militärische Bekämpfung in ein Gesamtkonzept einbinden. Dazu gehört eben auch, dass wir die regionalen Mächte einbinden müssen. Was macht denn die Arabische Liga? Wo ist Saudi-Arabien, wo ist Ägypten? Die haben zwar auch innerstaatliche Problem, aber die Bekämpfung der ISIS, das sind Sunniten, kann nur sinnvollerweise durch Sunniten erfolgen.
Brink: Also auch militärisch. Pardon, wenn ich da einhake, weil erst mal muss man die ISIS ja zurückdrängen. Das ist ja, was die Kurden irgendwie fordern: Wir können es nicht mit den Waffen, die wir haben. Und das sagen ja auch die Amerikaner: Luftschläge allein reichen nicht. Damit werden wir nie den Kampf am Boden gewinnen.
Kiesewetter: Das ist genau richtig. Aber hierzu brauchen wir die Arabische Liga, weil hier sunnitische Kräfte sind, genauso, wie die ISIS ja sunnitische Kräfte sind. Das heißt, es muss auch Zeichen aus den Muslimen, aus den schiitischen Muslimen und sunnitischen Muslimen ein Zeichen hervorgehen. Und eine Bekämpfung vor Ort, also am Boden, sollte unter Beteiligung der Region erfolgen. Wenn wir die NATO mit reinziehen, haben wir einen globalen Konflikt, und das müssen wir verhindern.
Brink: Also gibt es dann aber wirklich keine kohärente Strategie des Westens?
Internationale Abmachungen einhalten
Kiesewetter: Es gibt bisher erhebliche Anstrengungen im Bereich der humanitären Hilfe. Und im Bereich des Militärischen haben wir ja bewusst unter amerikanischer Führung diese internationale Allianz. Aber natürlich sind wir rechtsstaatlich aufgestellt, das heißt, die Prozesse sind viel langsamer. Schauen Sie, die Türkei hat jetzt erst gerade ihre gesamten Maßnahmen zusammengebunden, also die Bekämpfung in Nordsyrien beziehungsweise auch im Irak unter ein Parlamentsmandat gestellt. Das dauert eben länger, aber Demokratien haben eben sich an legitime Prozesse zu halten. Und somit können wir auch als Deutsche nicht einfach eine Bombardierung fordern, sondern wir unterstützen ja auch den rechtsstaatlichen Prozess im Irak, weil die Peschmerga Bestandteil der staatlichen Sicherheitskräfte sind. Also, hier sollten wir schon darauf drängen, dass wir nicht im Völkerrecht eine neue Gewohnheit schaffen, indem wir uns nicht an internationale Abmachungen halten. Die ISIS wird ja seit 2004 geächtet und ist gelistet. Aber die Staaten, die sich daran beteiligt haben, haben das nicht alle mit voller Kraft gemacht.
Brink: Aber Waffenlieferungen vonseiten Deutschlands sind dann in Ordnung?
Kiesewetter: Waffenlieferungen halte ich für sinnvoll. Wir haben jetzt schon bereits die Ausbildungsunterstützung, und ich kann mir auch sehr gut vorstellen, dass wir, wenn der Bundestag beteiligt wird, auch beispielsweise Luftraumüberwachung machen beziehungsweise bessere Aufklärung leisten, aber zusätzlich mehr Waffen liefern, das schließe ich nicht aus.
Brink: Also zum Beispiel ein Ausbildungszentrum in Erbil, was ja auch die Verteidigungsministerin vorgeschlagen hat, könnte dann sein. Noch mal zurückzukommen auf die Strategie, die es ja bislang nicht gibt. Was muss Basis dieser Strategie sein? Ein UN-Mandat?
Nicht ohne UN-Mandat
Kiesewetter: Das Ziel muss auf jeden Fall ein UN-Mandat sein. Aber was jetzt bereits laufen kann, ist erstens ein ideologisches Zurückdrängen, indem wir sunnitische Muslime ermutigen, sich noch stärker zu distanzieren, und zweitens die rechtsstaatliche Bekämpfung, das heißt, dass die Finanzmittel unterbunden werden. Hier muss die Türkei sich klarer bekennen. Die Türkei hat eher das Ziel, Assad abzulösen, als die ISIS zu bekämpfen. Hier müssen wir politisch auf die Türkei einwirken. Und dann gehört dazu die militärische Bekämpfung mit Ausrüstung, mit Ausbildungshilfe und auch mit Unterstützung vor Ort. Das heißt, wir könnten auch in Deutschland Basen zur Verfügung stellen, dass die Amerikaner und andere Verbündete von hier aus Einsätze fliegen. Kann ich mir sehr gut vorstellen. Einen deutschen Einsatz ohne UN-Mandat aus der Luft oder auch am Boden schließe ich kategorisch aus. Aber wir sollten auch über ein Bundestagsmandat langfristig nachdenken, wenn ein UN-Mandat vorliegt.
Brink: Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter, Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Danke für das Gespräch und die Zeit!
Kiesewetter: Vielen Dank, Frau Brink!
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