Islamismus

Die Dschihadisten aus Dinslaken

Unterstützer der Terrorgruppe IS während einer Demonstration in Syrien.
Unterstützer der Terrorgruppe IS während einer Demonstration in Syrien. © afp / Karam Al-Masri
Rund 400 Männer aus Deutschland sollen in den "Heiligen Krieg" gezogen sein. Die "Gotteskrieger" kommen aus Berlin, München, Bonn und aus einem kleinen Städtchen am Niederrhein: Dinslaken-Lohberg.
"Die spielen Oddset von morgens bis abends. - Das waren alles unsere Kumpels früher, alle. Heute auf morgen sind die weg ..."
Die ehemaligen Freunde der Dschihadisten vom Niederrhein stehen vor einem Wettbüro an der Hünxer Straße in Dinslaken-Lohberg. Zehn junge muslimische Männer, der jüngste Anfang 20 der Älteste Mitte 30. Es nieselt. Trotzdem stehen sie draußen, hocken auf den Stufen des Wettbüros. Auf der anderen Straßenseite ragt eine Abraumhalde in den grauen Himmel - Überbleibsel der Lohberger Zeche, die vor acht Jahren dicht gemacht hat. Drinnen ist es zu eng, und sonst gibt es ja nichts im 6000-Einwohner-Städtchen Lohberg.
Die jungen Männer haben sich immer wieder gefragt, warum mindestens 25 ihrer Bekannten in Syrien und im Irak ihr Leben riskieren - und womöglich unschuldige Menschen brutal abschlachten.
Jugendliche: "Wir haben hier früher Schulen gehabt, Schule zu, Plus zu, Jugendheim zu, alles. Die Leute haben kein Geld. Dann kommt einer, wäscht denen den Kopf - und ruckzuck hat er den in der Hand. - Ein Moslem tötet keine Menschen, so was gibt´s bei uns nicht!"
Reporter: "Sind die für Sie keine Muslime mehr?"
Jugendlicher: "So was gibt´s nicht bei uns im Koran."
Reporter: "Haben Sie denn eine Erklärung dafür, dass das passiert ist?"
Jugendliche: "Das sind Leute die nichts zu verlieren haben. Wie er gesagt hat, alles drogenanhängig. - Uns haben sie 100.000 Euro pro Kopf angeboten, damit wir mitgehen, kämpfen. Ich bin krank, hab Depression, Zucker."
Reporter: "Sonst hätten Sie das gemacht?"
Jugendlicher: "Hab Überlegt!"
Hakan wäre fast in den Kampf gezogen
Als er konkreter werden will, rauscht ein Mann auf uns zu. Er nennt sich Hakan, will unerkannt bleiben. Die Jungs aus dem Wettbüro wüssten gar nichts, über die Lohberger Dschihadisten. Er hingegen schon. Hakan sei vor gut einem Jahr fast selbst ins Flugzeug in den Nahen Osten gestiegen - um in den Kampf zu ziehen.
Ein paar Häuserblocks weiter steigt Hakan in mein Auto. Er dirigiert mich durch Lohberg an einen ruhigen Ort. Wo uns seine Freunde aus dem Wettbüro nicht entdecken. Wir halten an einem See am Stadtrand. Anfang 2013 seien Salafisten aus Bonn und München nach Lohberg gekommen - hätten einen Raum im Verwaltungsgebäude des Ortes angemietet. Ein Kumpel aus dem Dorf hat ihn zu deren Treffen eingeladen.
Hakan: "Die haben immer schöne Sachen erzählt, nie über den Dschihad, über Hass, über Kriege, Hass gegen Amerika. Es wurden nur schöne Sachen erzählt. Aber nach diesen Gesprächen haben die immer jemand anderen geholt, suchen die einzelne aus. Der hat die Eier dafür. Dann reden die mit dem, führen Einzelgespräche, gehen mit denen raus, gehen essen, trinken, gehen Eis essen und sehen: Boah, ich krieg nur Gutes von denen. Und dann wurde langsam über die Kriege gesprochen."
Reporter: "Warum hast Du überlegt, dahinzugehen?"
Hakan: "Diese Gespräche, die haben einem immer wehgetan, und die haben immer Videos gezeigt von getöteten Kindern, wie man Kinder getötet hat, wie man schwangere Frauen einfach in den Bauch geschnitten hat und das Kind rausgeholt hat. Die haben immer ein paar Videos auch gesehen gehabt. Und dann die Predigten und dann hat man irgendwann gedacht. Die haben doch recht. Wie kannst du hier schlafen, wenn da drüben Kinder getötet werden?"
In Lohberg waren viele der späteren Dschihadisten stadtbekannt. Fast täglich saßen sie auf dem Marktplatz. Keine Arbeit keine Ausbildung. Nicht selten unter Drogen. Irgendwann waren die jungen Männer dort nicht mehr zu sehen, sie ließen sich Bärte stehen und studierten den Koran. Dass aus den Problemjungs fromme Muslime wurden, hat erstmal niemanden gestört. Als der Verfassungsschutz Anfang des Jahres über Dschihadisten aus Deutschland informierte, tauchte ihr Städtchen neben Köln, Berlin und München auf. Für die Lohberger Bürger ein Tsunami, sagen Özkan Yildiz und Turhan Tuncel vom Integrationsrat der Stadt.
Yildiz: "Dass die in die falsche Bahn geraten sind, haben wir erst gemerkt, als es zu spät war."
Tuncal. "Wir sind auch traurig über die Situation, die ganze jahrelange Arbeit, die wir in die Integration gesteckt haben, ist zugrunde gerichtet worden. Das Problem ist ja eigentlich insofern entstanden, als vor sieben, acht Jahren der Bergbau geschlossen wurde. Der Bergbau war hier der größte Ausbildungsanbieter. Es gab in Höchstzeiten, wo fast 300 Jugendliche in einem Jahr eingestellt wurden. Da wurde nicht nach dem Namen geguckt, es wurden vor allem Lohberger Jugendliche auf den Bergwerken aufgenommen, weil die Väter auch da beschäftigt waren. Und die Jugendlichen, die auch hier in solchen Gruppen reingeraten sind, das sind Jugendliche, die hier keine Perspektive hatten."
"Das ist kein Glauben"
Hakan ging sechs Monate lang zu den Treffen der Salafisten, in den Vereinsraum, zwei Türen neben dem Büro des Integrationsrates.
"Fast wäre ich rüber gegangen. An dem Abend, als die Brigade Lohberg nach Syrien geflogen ist, haben wir zusammen gesessen, wir haben Kaffee getrunken, haben gelacht, gebetet, geredet bis 4 Uhr morgens. Dann bin ich aufgestanden, nach Hause zum Schlafen. Am nächsten Morgen hab ich gehört, die sind schon im Flieger."
Hakan sieht nicht aus wie ein verhinderter Dschihadist. Der 37-Jährige trägt Trainingsjacke, Jeans - und ist glatt rasiert. Er hat eine Frau und zwei Kinder. Immer wieder fragt er sich, warum er sich damals fast dem IS angeschlossen hätte. Nachdem die "Lohberger Brigade" ohne ihn aufbrach, hielt er noch eine Weile mit ihnen Kontakt, über Facebook.
"Jeder, der von hier gegangen ist und der da stirbt: Die Kollegen freuen sich über den, weil er gestorben ist, weil er jetzt... der kommt in den Himmel und so. Die töten da. Die töten Leute, die keine Waffen haben."
Reporter: "Wie kannst Du Dir das erklären?"
Hakan: "Ich verstehe es wirklich nicht heute. Was machen die denn? 'Allah akbar' und dann knallen die andere ab und schneiden die Kehle raus. Das ist kein Glauben."
Letztlich haben ihn seine Familie, seine Kinder davon abgehalten, mitzugehen. Er sei unglaublich froh, hier zu sein. In Lohberg. Und nicht in Syrien. Seit einem Jahr betet er nicht mehr.
"Da sind viele Leute auch von der Brigade Lohberg, die wollen auch bestimmt zurück. Davon kann ich mir ein bis zwei vorstellen, dass die gesehen haben, das ist was Falsches. Bin ich mir 100 pro sicher. Aber die können nicht, die haben selber Angst. Wenn die irgendwo abhauen wollen, in die Türkei fliehen wollen, dann kommt einer und knallt die ab. Leben ist vorbei. Die warten jeden Tag darauf, erschossen zu werden, die warten wirklich darauf, dass sie einer abknallt."
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