Islamistische Videos

"Dschihadisten wollen die breite Masse erreichen"

Ein Mann sieht sich eine Internetseite des Islamischen Staats an.
Der so genannte Islamische Staat im Internet. © imago / Reporters
Christoph Günther im Gespräch mit Ute Welty |
Die Bildgestaltung ist modern, die Inhalte sind Durchhalteparolen, Utopie-Erzählungen, Aufrufe zur Gewalt. Dschihadistische Videos werden von Profis gemacht, sagt der Mainzer Islamwissenschaftler Christoph Günther. Er erklärt, was man dieser Propaganda entgegensetzen kann.
Ute Welty: Welches Bild von sich selbst zeichnet der Dschihadismus in seinen Videos, in seinen Bildern, in seinen Botschaften – die Nachwuchsforschergruppe rund um Christoph Günther beschäftigt sich mit dieser Frage, und deshalb trifft man sich ab heute zur zweitägigen Konferenz in Main. Guten Morgen, Herr Günter!
Christoph Günther: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Was ist denn typisch für ein dschihadistisches, für ein islamistisches Video?
Günther: Also typisch, kann man sagen, ist die Bildgestaltung, die ja durchaus sehr, sehr modern ist, sehr ansprechend ist. Dort sind Leute am Werk, die ihr Handwerk verstehen, die man also durchaus als semiprofessionelle Medienarbeiter bezeichnen kann, und gleichzeitig typisch ist, dass immer wieder wiederholte Botschaften aufgerufen werden wie Durchhalteparolen, wie Aufruf, sich zu einer utopischen Gemeinschaft zusammenzuschließen, Gerechtigkeitserzählungen spielen eine große Rolle, Utopieerzählungen spielen eine große Rolle, aber selbstverständlich auch Aufrufe zum Kampf und zur Gewalt. Das ist aber nicht das einzige.
Welty: Aktuell findet man ja heute in der Zeitung eine Fotomontage mit einer explodierenden U-Bahn, die sich angeblich … Diese Explosion hat sich angeblich ereignet im Hauptbahnhof in Düsseldorf, davor ein Mann im schwarzen Kapuzenpulli mit dem Zeichen des Islamischen Staates auf dem Rücken. Ist das so eine professionelle Botschaft?
Günther: Ja, zum Beispiel. Das könnte man als professionelle Bildmontage bezeichnen, durchaus. Hier sind ja nicht nur Menschen am Werk, die sozusagen für den Islamischen Staat direkt oder andere dschihadistische Gruppierungen arbeiten, sondern auch welche, die sich selbst als Sympathisanten begreifen. Das ist ein Teil des Spektrums, das uns interessiert in unserer Forschung, aber wir gehen noch viel weiter, und dann auf diejenigen Menschen, die sich zum Beispiel auch oppositionell audiovisueller Mittel bedienen, um gegen die islamistische, dschihadistische Botschaft zu halten.

Dschihadisten und ihre Gegner nutzen dieselben Stilmittel

Welty: Wie funktioniert das?

Günther: Das funktioniert im Prinzip mit den gleichen Mechanismen. Interessanterweise unterscheiden sich ja die Sehgewohnheiten des Publikums, die Seh- und Hörgewohnheiten des Publikums, das man ansprechen will, nicht, und dementsprechend sind also sozusagen alle Akteure, die versuchen, gewissermaßen Hegemonie in diesem Diskurs zu gewinnen, auf die gleichen Mittel angewiesen und setzen auch auf ganz ähnliche Mittel, und das ist also so, dass es nicht nur eine Aktions-Reaktions-Spirale gibt, sondern dass es auch durchaus tolle Versuche gibt, mit audiovisuellen Mitteln Erzählungen über das Internet zu transportieren, die einen Eigenwert haben und die sich nicht nur an dem abarbeiten, was Dschihadisten vorgeben.
Welty: Haben Sie dafür ein Beispiel?
Günther: Dafür habe ich ein schönes Beispiel. Das ist das so genannte oder sich selbst so nennende Satirekalifat, "Datteltäter", ein muslimisches Satirekollektiv, die also zu Themen von Alltagsdiskriminierung, Rassismus, aber auch so leichte Themen oder vermeintlich leichte Themen wie Dating zum Beispiel unter Muslimen behandeln und damit eine Erzählung transportieren, die für sich selbst stehen kann und die sich also nicht immer nur in der Defensive befindet und das weiterführt, dass sie als Muslime sich gewissermaßen immer wieder distanzieren müssen von den Extremisten, die ihre Religion für sich in Anspruch nehmen, sondern zu sagen, wir als Muslime, wir haben etwas zu bieten, das für sich selbst stehen kann und das so attraktiv ist, dass wir gar nicht auf die Dschihadisten gucken müssen und an denen abarbeiten müssen.

Wenn sich Menschen zurückgedrängt fühlen

Welty: Aber wie groß ist denn die Chance, mit dieser Reaktion oder mit dieser alternativen Erzählung, diesem alternativen Narrativ dem Dschihad auch tatsächlich etwas entgegenzusetzen?
Günther: Na ja, die Chance ist sicherlich groß insofern, als dass man der Polarisierung in unseren Gesellschaften entgegenwirken kann, wenn man also es schafft, die Frage zu beantworten, wie wollen wir eigentlich miteinander leben, wie wollen wir als Muslime, wie wollen wir uns als Gesellschaft insgesamt zueinander verhalten?
Dann gräbt man ja gewissermaßen automatisch den Extremisten in unseren Gesellschaften, sei es von rechts, von links oder von religiös motivierter Seite, gräbt man ja das Wasser ab, denn die profitieren ja im Wesentlichen davon, dass sich Menschen zurückgedrängt fühlen, dass sie ihre Bedürfnisse eben nicht erfüllt sehen in unseren Gesellschaften, sondern sie dort abgeholt werden, wo die Extremisten gewissermaßen mit ihren sehr, sehr einfachen Antworten warten.
Welty: Und die erreichen auch dieselbe Zielgruppe?
Günther: Das lässt sich schwer messen, wen die Satiriker oder Künstler oder Sozialaktivisten tatsächlich erreichen. Man kann natürlich was über Klickzahlen sagen auf YouTube, man kann was sagen über die Kommentare auf YouTube und Facebook, und wenn man sich diese Kommentare anguckt und sich mit den Leuten unterhält, die also dort aktiv sind, dann ist es schon so, dass sie auch Menschen aus der sympathisierenden Szene erreichen und sich mit denen dann auch in Diskussionen auseinandersetzen.
Ein tolles Beispiel dafür ist ein sozialarbeiterisch geleitetes Projekt in Wien, die mit der gleichen Bildsprache, die der Islamische Staat oder andere dschihadistische Gruppen benutzen, professionelle Videos auf YouTube gestellt haben und da eine andere Geschichte erzählen, nämlich die Geschichte, dass es legitim ist für Jugendliche Wut zu haben auf die Welt, sich aufzuregen über die Ungerechtigkeiten, aber dass der Kampf auf dem Wege des Dschihad dafür der falsche Weg ist, sondern dass es andere Wege geben muss.
Welty: Was weiß man überhaupt über die Zielgruppe von Dschihadisten?
Günther: Na ja, also das Publikum, das dschihadistische Gruppierungen von sich aus versuchen zu erreichen, ist ein relativ diverses. Man versucht ja, möglichst breit zu streuen, und dementsprechend gibt es ganz unterschiedliche Arten der Ansprachen, und das reicht von Texten bis hin zu Videos, und innerhalb der Videos haben Sie auch eine große Diversität, die wir sehen.
Da sind also explizite Kampfaufrufe, explizite Darstellungen von Gewalt dabei. Da sind aber auch, wie gesagt, Gerechtigkeit und Utopieerzählungen dabei, wo gewissermaßen für jeden etwas dabei sein kann, also für diejenigen, die theologisch interessiert sind bis hin zu denjenigen, die eher gewaltaffin sind und die man sozusagen dort abholt, die sich selbst gar nicht primär als Muslime verstehen, sondern vielleicht eher diese Ideologie suchen, um ihr Handeln zu legitimieren. Also das ideale Zielpublikum gibt es, glaube ich, nicht, sondern Dschihadisten suchen, wie andere politische und soziale Bewegungen auch, eine möglichst breite Masse für ihre Ziele zu gewinnen.

Dschihadisten legitimieren sich durch Rückgriff auf Geschichte

Welty: Inwieweit ergeben sich auch Zusammenhänge aus der islamischen Geschichte und der islamischen Tradition?
Günther: Die Zusammenhänge werden ja von den Dschihadisten selbst hergestellt. Sie suchen ja eine Legitimation ihres eigenen Handelns durch Rückgriff auf die islamische Geschichte, und diese Rückgriffe sind sehr, sehr vielfältig und zum Teil auch innerhalb der Videos wirklich versteckt, und insofern ist es ja auch interessant, sich mal die verschiedenen Bedeutungsebenen gewissermaßen anzuschauen, die hier kommuniziert werden, und da kann man sehr, sehr viel entschlüsseln.
Und ich denke, dass sich das dem normalen Zuschauer gewissermaßen gar nicht so auf den ersten Blick erschließt, dass die Botschaften aber trotzdem transportiert werden, selbst wenn man das nicht auf den ersten Blick erkennt, was hier eigentlich gesagt werden soll und mit welchen Zeichen und Symbolen gespielt werden soll, verfängt das trotzdem. Man muss ja auch bedenken, Dschihadisten wollen, wie andere politische Kommunikatoren auch, verstanden werden, und dementsprechend müssen sie natürlich Zeichen benutzen oder eine Sprache benutzen, die von ihrem Publikum verstanden werden kann.
Welty: Die Nachwuchsforschergruppe rund um Christoph Günther trifft sich ab heute in Mainz und zwar am Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Johannes-Gutenberg-Universität, und es geht um die audiovisuellen Botschaften des Dschihad. Herr Günther, ich danke Ihnen erst mal für diesen Einblick!
Günther: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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