Islamkolleg in Osnabrück

Imame made in Germany

16:43 Minuten
Gläubige beten mit Sicherheitsabstand in der Moschee des Islamischen Kulturzentrum.
Der Bedarf an in Deutschland ausgebildeten muslimischen Geistlichen ist groß, die Skepsis gegenüber diesen Imamen in manchen Gemeinden aber auch. © dpa / picture alliance / Ole Spata
Von Ita Niehaus |
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Nach vielen Jahren Vorlauf wird nun das Islamkolleg in Osnabrück eröffnet. Die Teilnehmer sollen hier zu Imamen und Seelsorgern ausgebildet werden. Bisher kommen die meisten muslimischen Geistlichen aus dem Ausland.
Mitten in der Innenstadt von Osnabrück liegt das Islamkolleg Deutschland – nur wenige Schritte entfernt vom Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück. Besucher sind gleich mitten in einem großen, hellen Veranstaltungsraum mit Bücherregalen an den Wänden. Der Raum ist gleichzeitig auch eine Art Fachbibliothek. Rechts davon gehen einige kleine Büros ab.

Zehn Jahre Vorlauf

Bülent Ucar, Direktor des Islamkollegs Deutschland, kann es kaum erwarten: Mehr als zehn Jahre hat er sich für diese praxisorientierte, zweijährige Ausbildung von muslimischen Geistlichen stark gemacht. Denn an den Zentren für Islamische Theologie in Deutschland können nur Theologinnen und Theologen ausgebildet werden, die nicht die tagtägliche Arbeit mit den Gläubigen in den Moscheen verrichten.
Die Innenräume des Islamkolleg Deutschland in Osnabrück. Hier sollen Frauen und Männer ausgebildet werden. An den Wänden stehen Bücherregale, in der Mitte ein Tisch, an der eine Frau sitzt.
Die Innenräume des Islamkolleg Deutschland in Osnabrück. Hier sollen Frauen und Männer ausgebildet werden.© Ita Niehaus
"Das ist ein Meilenstein, ein ganz wichtiger Punkt in der Geschichte der Muslime in Deutschland, dass es jetzt möglich ist, sich auch in Deutschland zu einem Imam ausbilden zu lassen." Und zwar auf Deutsch, verbandsübergreifend und unabhängig.
Bülent Ucar möchte einen in Deutschland beheimateten, weltoffenen Islam vermitteln: "Der Islam wird immer wieder als eine Religion von Gewalt, Terror, Extremismus dargestellt. Und uns ist wichtig, so wie die meisten Muslime ihre Religion wahrnehmen - nämlich als eine Religion der Liebe, der Barmherzigkeit und des Friedens – dass das auch in dieser Form in die Gemeinden weitergetragen wird und im Idealfall nach außen kommuniziert wird."

35 Frauen und Männer in der Ausbildung

Eröffnet wird das Islamkolleg Deutschland zwar erst morgen, aber bereits am heutigen Montag beginnt die erste Blockveranstaltung für die 35 Kollegiatinnen und Kollegiaten. Einige von ihnen werden persönlich anwesend sein, andere sind online mit dabei. Predigtlehre, Koranrezitation, Seelsorge und Gemeindepädagogik stehen unter anderem auf dem Lehrplan. Gut die Hälfte der Kollegiaten fängt mit der Imamausbildung an, die anderen muslimischen Geistlichen wollen sich weiterbilden.
Das Interesse sei groß, sagt Ucar, es sei jedoch nicht so einfach, qualifizierte Bewerber zu finden. Vorausgesetzt werde ein abgeschlossenes Studium der Islamischen Theologie. Nicht jeder Theoretiker aber sei auch geeignet für den Dienst in der Gemeinde:
"Diese Menschen müssen eine gewisse Offenheit mitbringen. Sie müssen klarkommen mit Jugendlichen, mit Männern, mit Frauen, mit Erwachsenen, mit älteren Menschen. Und sie müssen natürlich auch auf Nichtmuslime zugehen können. Wir leben in einer Gesellschaft, die sehr stark säkular und teilweise auch christlich geprägt ist."

"Es gibt keinen Super-Imam"

Mehmet Akif Dökmetas aus Hameln in Niedersachsen hat lange auf so ein Qualifizierungsangebot gewartet. Der junge Mann, geboren und aufgewachsen in Deutschland, hat bereits Erfahrungen als Imam und Seelsorger gesammelt und ist nun auf Honorarbasis im Jugendstrafvollzug beschäftigt. Dökmetas kann sich gut vorstellen, später einmal als Gefängnisseelsorger zu arbeiten – hauptamtlich.
"Ich war immer dafür: 'Made in Germany Imame'. Aber jetzt in deutscher Sprache, dass das Anerkennung gewinnt. Das ist für mich wichtig."
Denn mit dem Generationenwandel in den Gemeinden verändern sich die Erwartungen an muslimische Geistliche. Das beobachtet auch Mehmet Akif Dökmetas.
"Es gibt nie einen Super-Imam, aber wenn man die Gemeinden betrachtet, macht der Imam fast alles. Er ist Sozialarbeiter, Pädagoge, Erzieher, er predigt. Und deswegen finde ich jetzt bei der Ausbildung gut, dass man von jedem etwas hat: Soziale Arbeit, Gemeindepädagogik - das war bisher alles nur 'learning by doing' in Gemeinden."

20 Prozent Frauenanteil

Unter den Kollegiaten sind etwa 20 Prozent Frauen. Elif Demirhan-Coban, 41 Jahre alt, vierfache Mutter und Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache, möchte an einer Ausbildung für Seelsorgerinnen und Seelsorger teilnehmen.
"Ich habe viel Kontakt mit Leuten. Sie haben sich mir anvertraut, sie fanden mich vertrauensvoll, haben mir ihr Herz ausgeschüttet, und da habe ich gesagt, ich mache die Seelsorgerausbildung, damit ich das auch professionell machen kann."
Viele Frauen engagieren sich in den Gemeinden vor allem ehrenamtlich. Musliminnen, die als Imamin das Gebet auch vor gemischtgeschlechtlichen Gruppen leiten, sind immer noch die Ausnahme in Deutschland. Das Islamkolleg bietet die Imam-Ausbildung trotzdem für Männer und Frauen an.
Rauf Ceylan, Religionssoziologe am Osnabrücker Institut für Islamische Theologie, bezweifelt jedoch, dass Imaminnen von den Gemeinden eingestellt werden, "weil der Imam-Beruf nach wie vor sehr männerdominiert ist. Das war auch die Kritik, die vom Bund liberaler Muslime kam - warum der Begriff Imam nicht gegendert worden ist, und stattdessen zum Beispiel von Seelsorgerinnen und Seelsorgern gesprochen wird. Und tatsächlich ist das noch eine Diskussionsfrage in Deutschland."

Nur wenige Verbände unterstützen das Islamkolleg

Bülent Ucar, Direktor des Islamkollegs Deutschland, macht sich vor allem über die Berufsperspektiven der Absolventen Gedanken. Werden sie von den Gemeinden überhaupt akzeptiert? Bisher unterstützen nur wenige Moscheeverbände das Islamkolleg. Zu den Unterstützern gehören die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken, der Verband "Muslime in Niedersachsen" und der Zentralrat der Muslime.
Andere Islamverbände signalisieren wenig Kooperation, haben teilweise auch schon eigene Ausbildungsangebote, wie der umstrittene deutsch-türkische Islamverband DITIB. Der Bedarf an in Deutschland ausgebildeten muslimischen Geistlichen ist zwar groß, die Skepsis in so mancher Gemeinde aber auch.
Befürchtet wird unter anderem, dass am Islamkolleg Deutschland ein "Staatsislam" vermittelt wird. Ein Grund: Das Kolleg wird mit insgesamt fünfeinhalb Millionen Euro vom Bund und vom Land Niedersachsen gefördert.
Der niedersächsische Wissenschaftsminister Björn Thümler weist diese Kritik zurück: "Einen Staatsislam kann und wird es auch nicht geben, man könnte das höchstens als Patenmodell bezeichnen. Dass hier gemeinsam der Bund und das Land ein Patenmodell bauen, um überhaupt die Möglichkeit zu schaffen, dass Imame hier ausgebildet werden können. Weil sie wissen, dass die Gemeinden selber nicht über die notwendigen Finanzmittel verfügen."
Bülent Ucar fügt hinzu: "Unser Auftrag ist, zu zeigen, dass wir tatsächlich unabhängig sind von jeder staatlichen Beeinflussung. Unser Angebot ist das, was die Muslime mehrheitlich kennen. Wir möchten Muslime nicht belehren. Wir möchten muslimischen Gemeinden nichts aufoktroyieren, sondern die Arbeit lediglich professionalisieren und optimieren."

Bezahlung der Imame noch ungeklärt

Auch über die Frage, wer die "Imame made in Germany" bezahlen soll, wird noch diskutiert. Ein tragfähiges Konzept läge noch nicht vor, sagt Rauf Ceylan: "Es führt kein Weg daran vorbei: Wenn Moscheen einen guten Imam haben möchten, dann müssen auch die Mitglieder etwas tiefer in die Tasche greifen, also mit 40 oder 100 Euro. Und wenn Sie eine Gemeinde von 200, 300 haben, dann ist das auch sehr realistisch. Deswegen bin ich sehr gespannt, ob die Gemeinden bereit sind, tiefer in die Tasche zu greifen."
Trotz dieser Probleme: Der Religionssoziologe Rauf Ceylan ist von dem Modellprojekt überzeugt. "Dass wir Imame, Seelsorgerinnen, Imaminnen ausbilden, die nicht nur auf Augenhöhe mit den Imamen sind, die aus der Türkei kommen, sondern darüber hinaus Imame, die eine Brückenfunktion übernehmen können, die wissen, wie die Gesellschaft hier funktioniert – auf die Qualität kommt es an."
Mit einer guten Ausbildung allein sei es aber nicht getan, meint Kollegdirektor Bülent Ucar. Er schlägt vor, Gemeinden, die in Deutschland ausgebildete Imame einstellen, staatlich zu fördern. Zum Beispiel bei der Professionalisierung der bisher oft ehrenamtlich geleisteten sozialen Arbeit.
"Nur so wird man tatsächlich in Deutschland unabhängige Strukturen auf die Beine stellen können und nur so werden auch die Personen, die wir jetzt ausbilden, mittel- und langfristig in den Gemeinden mit dieser finanziellen Unterstützung eingestellt werden können."
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