"Islamophobie" in Deutschland?
In den 80er-Jahren gab es eine Debatte um die sogenannte Ausländerfeindlichkeit. Man hatte erkannt, dass Migranten es schwer haben und wollte Vorurteile abbauen. Dann kam eines Tages ein kluger Mensch und stellte die Dinge richtig.
Ausländerfeindlichkeit gebe es kaum. Was das alte Europa nicht haben wolle, sei vielmehr die Armut - die eben häufig mit Ausländern zusammen einwandere. Ein Fremder mit einem schönen Vermögen oder einer ausgezeichneten Qualifikation, die es ihm ermögliche, zum Beispiel in Deutschland gutes Geld zu verdienen, würde mit offenen Armen empfangen. Niemand nehme Anstoß an seiner Hautfarbe oder seiner Herkunft.
Heute, 20 Jahre später, ist uns wieder so ein Schlagwort dabei im Weg, die wahren Zusammenhänge zu erkennen. Gemeint ist die Islamophobie, zu Deutsch: Angst vor dem Islam. Es ist nicht wahr, dass irgendein Mensch in Europa Angst vor dem Islam hat. Wo er sichtbar wird durch Moscheen, verschleierte Frauen und bärtige Imame, ruft der Islam bei Europäern keine Angst hervor, sondern eher eine diffuse Abneigung. Und diese Abneigung gilt nicht dem Koran oder den muslimischen Glaubensinhalten - sie gilt der eklatanten Rückständigkeit, die mit Einwanderern oder Arbeitsemigranten aus Südostanatolien oder dem arabischen Raum so oft zusammen ins Land dringt.
Es wird in Europa als rückständig empfunden, wenn Frauen ins Haus gesperrt, junge Leute zwangsverheiratet, westliche Bildungsinhalte abgelehnt und Arbeitsvollzüge eines Gebetes wegen unterbrochen werden. All diese Fragen der Lebensführung sind sozialer Natur, mit Religion werden sie bloß ummantelt, ohne letztlich mit ihr zu tun zu haben.
Wenn man die Dinge so sieht, kommen ganz andere Fragen und Antworten auf den Tisch. Ein Burka-Verbot zum Beispiel erhält plötzlich Sinn, wenn man es als Versuch der Europäer begreift, ihr Straßenbild, das Teil der Öffentlichkeit ist, gegen ein Symbol zu verteidigen, das nichts anderes bedeutet als die äußerst rückständige Überzeugung, dass Frauen in der Öffentlichkeit nichts zu suchen hätten.
Und eine Familienehre, die vermittels der Jungfräulichkeit der Töchter bewahrt werden muss, welch letztere dann der verschärften Kontrolle von Vätern und Brüdern zu unterwerfen seien – auch eine solche Ehre ist ein "Wert", dessen Rückständigkeit nicht in der Religion, sondern in sehr diesseitigen patriarchalischen Machtverhältnissen wurzelt.
Zuweilen hört man im Fernsehen oder auf Konferenzen europäische Christen verschämt gestehen, nicht besonders religiös zu sein. Es folgt dann ein Kompliment an die hier lebenden Muslime, die sich ja nun einer sehr viel "tieferen Religiosität" befleißigten. Aber auch diese "tiefere Religiosität" ist nichts anderes als Rückständigkeit. Es wird immer vergessen, dass jede Religion, auch die christliche selbstverständlich, von einem Herrschaftssystem durchzogen ist, das die Seelen der Gläubigen bezwingen, sie der Kontrolle der Schriftgelehrten unterwerfen und zu diesem Zweck mit Schuldgefühlen anfüllen will.
"Tiefere Religiosität" bedeutet nichts anderes, als dass der Griff des Klerus auf die Seelen der Gläubigen noch fest ist, dass sie es noch nicht gelernt haben, sich von den Herrschaftsansprüchen der Religion zu lösen. Nichts anderes hat die europäische Aufklärung ins Werk gesetzt. Sie hat nicht die Religion abschaffen wollen, sehr wohl aber den Herrschaftsanspruch ihrer Apparate.
Der südostanatolische Hirtensohn, der nach Deutschland kommt, um hier Geld zu verdienen, kann nichts für seine Rückständigkeit. Er wurde da hineingeboren. Er muss nun seine Lebensführung mit den hiesigen Verhältnissen und Gesetzen abstimmen, und es ist die Pflicht des Gastlandes, es wäre Pflicht der integrierten, aufgeschlossenen, nicht-mehr-rückständigen Glaubensbrüder und Landsleute, die es ja auch gibt, ihm dabei zu helfen.
Und ein europäischer Staat darf sehr wohl gegen Symbole der Rückständigkeit kämpfen. Zar Peter der Große, ein Staatsmann, dessen Sehnsucht es war, Russland in die Moderne zu führen, hat schon vor 300 Jahren diesen Kampf gekämpft. Als Symbol für die russische Rückständigkeit störten ihn besonders die Rauschebärte der Männer. Er verfügte die Rasur und schnitt selbst Bärte ab. Die gänzlich Uneinsichtigen strafte er mit einer Bartsteuer.
Barbara Sichtermann, Jahrgang 1943, lebt als freie Autorin in Berlin. Sie ist Kolumnistin der Wochenzeitung "Die Zeit". Ihre letzten Buchveröffentlichungen: "Lebenskunst in Berlin" (mit Ingo Rose) und "Romane vor 1900" mit (Joachim Scholl) und "Das Wunschkind" (Mitautor Klaus Leggewie).
Heute, 20 Jahre später, ist uns wieder so ein Schlagwort dabei im Weg, die wahren Zusammenhänge zu erkennen. Gemeint ist die Islamophobie, zu Deutsch: Angst vor dem Islam. Es ist nicht wahr, dass irgendein Mensch in Europa Angst vor dem Islam hat. Wo er sichtbar wird durch Moscheen, verschleierte Frauen und bärtige Imame, ruft der Islam bei Europäern keine Angst hervor, sondern eher eine diffuse Abneigung. Und diese Abneigung gilt nicht dem Koran oder den muslimischen Glaubensinhalten - sie gilt der eklatanten Rückständigkeit, die mit Einwanderern oder Arbeitsemigranten aus Südostanatolien oder dem arabischen Raum so oft zusammen ins Land dringt.
Es wird in Europa als rückständig empfunden, wenn Frauen ins Haus gesperrt, junge Leute zwangsverheiratet, westliche Bildungsinhalte abgelehnt und Arbeitsvollzüge eines Gebetes wegen unterbrochen werden. All diese Fragen der Lebensführung sind sozialer Natur, mit Religion werden sie bloß ummantelt, ohne letztlich mit ihr zu tun zu haben.
Wenn man die Dinge so sieht, kommen ganz andere Fragen und Antworten auf den Tisch. Ein Burka-Verbot zum Beispiel erhält plötzlich Sinn, wenn man es als Versuch der Europäer begreift, ihr Straßenbild, das Teil der Öffentlichkeit ist, gegen ein Symbol zu verteidigen, das nichts anderes bedeutet als die äußerst rückständige Überzeugung, dass Frauen in der Öffentlichkeit nichts zu suchen hätten.
Und eine Familienehre, die vermittels der Jungfräulichkeit der Töchter bewahrt werden muss, welch letztere dann der verschärften Kontrolle von Vätern und Brüdern zu unterwerfen seien – auch eine solche Ehre ist ein "Wert", dessen Rückständigkeit nicht in der Religion, sondern in sehr diesseitigen patriarchalischen Machtverhältnissen wurzelt.
Zuweilen hört man im Fernsehen oder auf Konferenzen europäische Christen verschämt gestehen, nicht besonders religiös zu sein. Es folgt dann ein Kompliment an die hier lebenden Muslime, die sich ja nun einer sehr viel "tieferen Religiosität" befleißigten. Aber auch diese "tiefere Religiosität" ist nichts anderes als Rückständigkeit. Es wird immer vergessen, dass jede Religion, auch die christliche selbstverständlich, von einem Herrschaftssystem durchzogen ist, das die Seelen der Gläubigen bezwingen, sie der Kontrolle der Schriftgelehrten unterwerfen und zu diesem Zweck mit Schuldgefühlen anfüllen will.
"Tiefere Religiosität" bedeutet nichts anderes, als dass der Griff des Klerus auf die Seelen der Gläubigen noch fest ist, dass sie es noch nicht gelernt haben, sich von den Herrschaftsansprüchen der Religion zu lösen. Nichts anderes hat die europäische Aufklärung ins Werk gesetzt. Sie hat nicht die Religion abschaffen wollen, sehr wohl aber den Herrschaftsanspruch ihrer Apparate.
Der südostanatolische Hirtensohn, der nach Deutschland kommt, um hier Geld zu verdienen, kann nichts für seine Rückständigkeit. Er wurde da hineingeboren. Er muss nun seine Lebensführung mit den hiesigen Verhältnissen und Gesetzen abstimmen, und es ist die Pflicht des Gastlandes, es wäre Pflicht der integrierten, aufgeschlossenen, nicht-mehr-rückständigen Glaubensbrüder und Landsleute, die es ja auch gibt, ihm dabei zu helfen.
Und ein europäischer Staat darf sehr wohl gegen Symbole der Rückständigkeit kämpfen. Zar Peter der Große, ein Staatsmann, dessen Sehnsucht es war, Russland in die Moderne zu führen, hat schon vor 300 Jahren diesen Kampf gekämpft. Als Symbol für die russische Rückständigkeit störten ihn besonders die Rauschebärte der Männer. Er verfügte die Rasur und schnitt selbst Bärte ab. Die gänzlich Uneinsichtigen strafte er mit einer Bartsteuer.
Barbara Sichtermann, Jahrgang 1943, lebt als freie Autorin in Berlin. Sie ist Kolumnistin der Wochenzeitung "Die Zeit". Ihre letzten Buchveröffentlichungen: "Lebenskunst in Berlin" (mit Ingo Rose) und "Romane vor 1900" mit (Joachim Scholl) und "Das Wunschkind" (Mitautor Klaus Leggewie).

Barbara Sichtermann© privat