"Islamophobie ist mehr als eine Angst vor einer Religion"
Die Forderung nach Integration hält die Bloggerin und Journalistin Kübra Gümüsay für falsch. Stattdessen solle man partizipieren und einen Beitrag zur Gesellschaft leisten - das bringe auch Fortschritt.
Liane von Billerbeck: Integration, die wird als Forderung ja manchmal sogar als Bedingung gestellt für das gelungene Zusammenleben zwischen Einheimischen und Einwanderern. Integration wird aktiv von denen gefordert, die aus der Fremde kommen. Sie sollen sich einfinden in die deutsche Mehrheitsgesellschaft, sie sollen deutsch lernen, sie sollen die Werte und Kultur Deutschlands annehmen. Dennoch bleibt die Vorstellung für viele Migranten illusorisch.
Wir fragen in dieser Woche in unserer Reihe "Ist Integration in Deutschland eine Utopie?". Heute ist die Journalistin und Bloggerin Kübra Gümüsay meine Gesprächspartnerin, die sich auf den Fotos zu ihren "taz"- und "ZEIT"-Kolumnen sichtbar unterscheidet, denn sie trägt Kopftuch. Mit Kübra Gümüsay habe ich vor unserer Sendung gesprochen, sie war in New York am Telefon. Ich grüße Sie!
Kübra Gümüsay: Hallo, schönen guten Tag!
von Billerbeck: Sie sind 1988 in Hamburg geboren, haben Politikwissenschaften studiert, sind Journalistin und Bloggerin, haben einen deutschen Pass, sprechen deutsch - Sie müssen sich doch gar nicht integrieren, oder?
Gümüsay: Das würde man immer schön glauben, kommt man aber in bestimmte Orte, hört dann von vielen Alten, ach, du bist gar nicht deutsch, beziehungsweise, wenn ich dann nachfrage, warum bin ich denn nicht deutsch in deinen Augen - ja, weil du Kopftuch trägst. Und daran merkt man, es gibt keine Checkliste Deutschland, wo man bestimmte Punkte abarbeiten muss, und dann als integriert gilt, nein, es die Sachen sind undefiniert. Und deshalb ist auch die Forderung Integration immer so eine vage Forderung, vor allem auch eine falsche, wie ich finde.
von Billerbeck: Welche Forderung wäre denn Ihre?
Gümüsay: Ich würde fordern, dass Menschen partizipieren müssen. Denn wenn wir über Integration sprechen, dann heißt das ja immer, man soll Teil eines großen Ganzen werden. Da ist erstens die Frage, was ist das große Ganze, und zweitens, wie werde ich Teil des großen Ganzen. Muss ich etwas aufgeben? Muss ich mich verändern? Und ich denke, die richtige Forderung wäre Partizipation.
Denn wenn man zum Beispiel Integrationsvorbilder anschaut, Fatih Akin, der Regisseur, der als Integrationsvorbild gilt. Aber wenn man sich seine Geschichte anschaut, dann sieht man, er hat sich nicht integriert, nein, was er gemacht, ist, er hat partizipiert in der Gesellschaft. Er hat mit seiner Kunst, mit seinen Filmen einen großen gesellschaftlichen Beitrag geleistet und dadurch fortschrittlich in dieser Gesellschaft geschaffen. Er hat partizipiert und war letztendlich integriert. Deshalb finde ich die Forderung nach Partizipation eigentlich die richtige Forderung.
Sie bedeutet auch noch gesellschaftlichen Fortschritt. Integration, wenn man es in seiner alten Sprache sozusagen verstehen würde, würde bedeuten, dass die Gesellschaft still bleibt. Die Menschen passen sich an, geben Dinge auf und werden Teil eines großen Ganzen. Wenn man aber Partizipation fordert, dann bewegen alle mit, alle bringen Ideen ein, sie bringen Farben ein, bringen Innovationen ein. Und die Gesellschaft insgesamt entwickelt sich immer weiter und es gibt gesellschaftlichen Fortschritt.
von Billerbeck: Wer ist denn bei der Partizipation in der Bringschuld? Der Migrant oder die Gesellschaft?
Gümüsay: Ich glaube, das ist eine Bringschuld von beiden Seiten. Es ist nie so, dass nur eine Seite in der Verantwortung steht, etwas zu tun, sondern beide Seiten. Denn manchmal ist es so, dass sich Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund sehr darum bemühen, Teil der Gesellschaft zu werden, aktiv zu werden, stoßen aber immer wieder auf Zurückweisung und hören dann auf.
Es gab einmal eine Freundin, die wirklich sehr, sehr aktiv war über viele Jahre hinweg in verschiedenen Jugendorganisationen sich aktiv beteiligt hat, und ein Erlebnis hat sie so sehr geschmerzt. Sie war in einer Schwimmhalle, und sie trägt ein Kopftuch und hatte dann einen Burkini an, die muslimische Version eines Schwimmanzugs und wurde dann von den Frauen im Schwimmbad ausgelacht, ausgebuht und letztendlich gezwungen, aus der Schwimmhalle zu gehen. Und das ist eigentlich nur ein klitzekleines Erlebnis mit wirklich nur ganz wenigen Menschen, aber allein dieses Erlebnis hat sie so sehr geprägt und innerlich verletzt, dass die danach wirklich sich total zurückgezogen hat.
Das ist natürlich eine Seite. Dann gibt es aber auch Leute. die überhaupt gar nicht den Sinn darin sehen, sich aktiv zu beteiligen, quasi für ihren Platz zu kämpfen, ja, sich zu überwinden und sich einzubringen. Und das ist ein anderes Problem, und ich glaube, das auf beiden Seiten da viel Veränderungsbedarf besteht.
von Billerbeck: Es gibt ein Buch derzeit von drei jungen Frauen aus Migrantenfamilien, und darin prägen sie den Begriff "Neue Deutsche". Was halten Sie davon, von diesem Begriff, den sie für sich in Anspruch nehmen?
Gümüsay: Ich glaube, es gibt viele, viele Ansätze, wie man mit Identität umgehen kann, und ich finde, "wir neuen Deutschen", das ist ein sehr schöner Schritt, denn er geht einen Schritt vorwärts, einen Schritt sozusagen raus in die Mehrheitsgesellschaft, ein Schritt, der sehr mutig ist.
Denn ich habe zum Beispiel früher mich auch immer als Deutsche, Deutsche, Deutsche bezeichnet, war quasi Missionarin und habe allen Menschen um mich herum mit Migrationshintergrund erzählt, warum sie alle Deutscher sind und dass sie sich deutscher fühlen sollen, und dann hatte ich so, ja, wirklich verletzende Erlebnisse, wo mir gesagt wurde, ich wäre nicht Deutsche, und dann habe ich mich gefühlt wie quasi das Kind, das irgendwann erfährt, dass es eigentlich ein Adoptivkind ist und gar nicht richtig dazugehört.
Und alle wussten es, aber niemand hat es mir gesagt. Und dann habe ich zum Beispiel für mich gewählt, dass Nationen nur Kategorien sind, und so wie ich mich nicht entscheiden muss, welche Farbe meine Lieblingsfarbe ist, muss ich mich nicht entscheiden, ob ich zu Deutschland gehöre oder zur Türkei und mich einfach in dieser Kategorie nicht entscheiden.
von Billerbeck: Sie könnten sich ja dem Ganzen auch entziehen, indem Sie schlicht sagen, ich bin Hamburgerin.
Gümüsay: Ja, das könnte ich auch, allerdings ist es halt quasi nur eine von vielen lokalen Identitäten, die ich dann hätte, und letztendlich ist dann auch der Fragesteller, der fragt, woher ich komme oder wer ich bin, auch mit dieser Antwort nicht wirklich zufrieden.
von Billerbeck: Ein Thema, das bei Ihnen doch bestimmt immer gefragt wird, wenn man eine Frau sieht, eine junge Frau mit Kopftuch, das ist die Frage nach der Religion, die berühmte Gretchenfrage. Welche Rolle spielt die in diesen Debatten?
Gümüsay: In letzter Zeit immer mehr. Denn der Islam in Deutschland ist immer wieder Thema. Und in der Wissenschaft sagt man, dass die Religion rassifiziert wurde, das heißt, der Islam ist nicht eine Religion, die man theologisch diskutiert, und Menschen, die religiös sichtbar sind durch das Kopftuch oder durch ein Kreuz et cetera, et cetera werden sozusagen nicht mehr als Menschen, die zufällig eine bestimmte Religion haben, gesehen, sondern Religion wird zur Rasse.
Also, das kann man daran erklären, wie Freundinnen zum Beispiel von mir, die aus dem Iran kommen und vor dem Schah-Regime geflohen sind und wirklich sich überhaupt nicht als Muslime identifizieren würden, aufgrund ihres Aussehens als Muslime bezeichnet werden und wie Muslime behandelt werden. Das heißt, sie trinken vielleicht Alkohol und essen Schweinefleisch und werden dann gefragt, warum sie das tun, dass sie das nicht dürfen. Oder werden dann auch mal als Muslime beschimpft und als Verrückte beschimpft. Oder Freundinnen, die aus Palästina kommen und Christen sind, werden auch wie Muslime behandelt. Aber nicht als Muslime, sozusagen, als Menschen einer bestimmten religiösen Orientierung, sondern als Menschen, die diskriminiert werden aufgrund ihrer Religion.
Deshalb würde ich sagen, dass heute Islamophobie mehr ist als eine Angst vor einer Religion. Sie ist ein Hass auf eine ganze Menschengruppe und ein Hass, den man nicht ablegen kann. Also, wenn ich mein Kopftuch ablegen würde, würde ich immer noch den gleichen Hass sehen oder fühlen von islamophoben Menschen, denn er bezieht sich nicht auf die Religion, sondern auf meine Rasse, sozusagen.
von Billerbeck: Wir fragen, ob Integration in Deutschland eine Utopie ist, dieser Tage. Wann ist oder wann wäre Integration denn Ihrer Meinung nach denn gelungen für die eine wie für die andere Seite.
Gümüsay: Ich glaube, Integration wäre dann gelungen in Deutschland, wenn es wirklich egal ist, wie man aussieht. Wenn es wirklich egal ist, ob jemand ein Kopftuch trägt oder nicht, welche Augenfarbe oder Haarfarbe man hat. Deutschland wäre ein Land, dass eine positive multikulturelle Gesellschaft hat, wenn man am Flughafen in Berlin eine Kopftuchträgerin hat, die den Pass kontrolliert. Dass sozusagen der Staat auch an sich die kulturelle Gesellschaft, die wir inzwischen haben, widerspiegelt.
Wenn wir wirklich verschiedene Menschen verschiedener Herkünfte in verschiedenen Positionen sehen, ohne dass das dann ein Problem ist. Ein Beispiel: Ich sollte mal in eine Sendung eingeladen werden und sollte die Jugend repräsentieren. Und die Freundin, die in der Redaktion arbeitete, hat später gesagt, dass man sich dann am Ende gegen mich entschieden hat mit der Begründung, wir sind in Deutschland noch nicht so weit, eine Kopftuchträgerin in einer Sendung zu haben und sie nicht über das Kopftuch sprechen zu lassen. Wenn es irgendwann möglich ist, dann haben wir ein positives Miteinander erreicht. Wenn es irgendwann möglich ist, eine Schwarze in einer politischen Talkshow zu haben und die über Wirtschaftsökonomie reden zu lassen, dann haben wir das alles erreicht, glaube ich.
von Billerbeck: Das sagt Kübra Gümüsay, Journalistin und Bloggerin. Sie beschloss unsere Reihe über die Frage "Integration. Ist sie in Deutschland eine Utopie?" Ich hoffe, Frau Gümüsay, wir hören uns wieder, und dann reden wir beispielsweise über Fußball!
Gümüsay: Ja, gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Wir fragen in dieser Woche in unserer Reihe "Ist Integration in Deutschland eine Utopie?". Heute ist die Journalistin und Bloggerin Kübra Gümüsay meine Gesprächspartnerin, die sich auf den Fotos zu ihren "taz"- und "ZEIT"-Kolumnen sichtbar unterscheidet, denn sie trägt Kopftuch. Mit Kübra Gümüsay habe ich vor unserer Sendung gesprochen, sie war in New York am Telefon. Ich grüße Sie!
Kübra Gümüsay: Hallo, schönen guten Tag!
von Billerbeck: Sie sind 1988 in Hamburg geboren, haben Politikwissenschaften studiert, sind Journalistin und Bloggerin, haben einen deutschen Pass, sprechen deutsch - Sie müssen sich doch gar nicht integrieren, oder?
Gümüsay: Das würde man immer schön glauben, kommt man aber in bestimmte Orte, hört dann von vielen Alten, ach, du bist gar nicht deutsch, beziehungsweise, wenn ich dann nachfrage, warum bin ich denn nicht deutsch in deinen Augen - ja, weil du Kopftuch trägst. Und daran merkt man, es gibt keine Checkliste Deutschland, wo man bestimmte Punkte abarbeiten muss, und dann als integriert gilt, nein, es die Sachen sind undefiniert. Und deshalb ist auch die Forderung Integration immer so eine vage Forderung, vor allem auch eine falsche, wie ich finde.
von Billerbeck: Welche Forderung wäre denn Ihre?
Gümüsay: Ich würde fordern, dass Menschen partizipieren müssen. Denn wenn wir über Integration sprechen, dann heißt das ja immer, man soll Teil eines großen Ganzen werden. Da ist erstens die Frage, was ist das große Ganze, und zweitens, wie werde ich Teil des großen Ganzen. Muss ich etwas aufgeben? Muss ich mich verändern? Und ich denke, die richtige Forderung wäre Partizipation.
Denn wenn man zum Beispiel Integrationsvorbilder anschaut, Fatih Akin, der Regisseur, der als Integrationsvorbild gilt. Aber wenn man sich seine Geschichte anschaut, dann sieht man, er hat sich nicht integriert, nein, was er gemacht, ist, er hat partizipiert in der Gesellschaft. Er hat mit seiner Kunst, mit seinen Filmen einen großen gesellschaftlichen Beitrag geleistet und dadurch fortschrittlich in dieser Gesellschaft geschaffen. Er hat partizipiert und war letztendlich integriert. Deshalb finde ich die Forderung nach Partizipation eigentlich die richtige Forderung.
Sie bedeutet auch noch gesellschaftlichen Fortschritt. Integration, wenn man es in seiner alten Sprache sozusagen verstehen würde, würde bedeuten, dass die Gesellschaft still bleibt. Die Menschen passen sich an, geben Dinge auf und werden Teil eines großen Ganzen. Wenn man aber Partizipation fordert, dann bewegen alle mit, alle bringen Ideen ein, sie bringen Farben ein, bringen Innovationen ein. Und die Gesellschaft insgesamt entwickelt sich immer weiter und es gibt gesellschaftlichen Fortschritt.
von Billerbeck: Wer ist denn bei der Partizipation in der Bringschuld? Der Migrant oder die Gesellschaft?
Gümüsay: Ich glaube, das ist eine Bringschuld von beiden Seiten. Es ist nie so, dass nur eine Seite in der Verantwortung steht, etwas zu tun, sondern beide Seiten. Denn manchmal ist es so, dass sich Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund sehr darum bemühen, Teil der Gesellschaft zu werden, aktiv zu werden, stoßen aber immer wieder auf Zurückweisung und hören dann auf.
Es gab einmal eine Freundin, die wirklich sehr, sehr aktiv war über viele Jahre hinweg in verschiedenen Jugendorganisationen sich aktiv beteiligt hat, und ein Erlebnis hat sie so sehr geschmerzt. Sie war in einer Schwimmhalle, und sie trägt ein Kopftuch und hatte dann einen Burkini an, die muslimische Version eines Schwimmanzugs und wurde dann von den Frauen im Schwimmbad ausgelacht, ausgebuht und letztendlich gezwungen, aus der Schwimmhalle zu gehen. Und das ist eigentlich nur ein klitzekleines Erlebnis mit wirklich nur ganz wenigen Menschen, aber allein dieses Erlebnis hat sie so sehr geprägt und innerlich verletzt, dass die danach wirklich sich total zurückgezogen hat.
Das ist natürlich eine Seite. Dann gibt es aber auch Leute. die überhaupt gar nicht den Sinn darin sehen, sich aktiv zu beteiligen, quasi für ihren Platz zu kämpfen, ja, sich zu überwinden und sich einzubringen. Und das ist ein anderes Problem, und ich glaube, das auf beiden Seiten da viel Veränderungsbedarf besteht.
von Billerbeck: Es gibt ein Buch derzeit von drei jungen Frauen aus Migrantenfamilien, und darin prägen sie den Begriff "Neue Deutsche". Was halten Sie davon, von diesem Begriff, den sie für sich in Anspruch nehmen?
Gümüsay: Ich glaube, es gibt viele, viele Ansätze, wie man mit Identität umgehen kann, und ich finde, "wir neuen Deutschen", das ist ein sehr schöner Schritt, denn er geht einen Schritt vorwärts, einen Schritt sozusagen raus in die Mehrheitsgesellschaft, ein Schritt, der sehr mutig ist.
Denn ich habe zum Beispiel früher mich auch immer als Deutsche, Deutsche, Deutsche bezeichnet, war quasi Missionarin und habe allen Menschen um mich herum mit Migrationshintergrund erzählt, warum sie alle Deutscher sind und dass sie sich deutscher fühlen sollen, und dann hatte ich so, ja, wirklich verletzende Erlebnisse, wo mir gesagt wurde, ich wäre nicht Deutsche, und dann habe ich mich gefühlt wie quasi das Kind, das irgendwann erfährt, dass es eigentlich ein Adoptivkind ist und gar nicht richtig dazugehört.
Und alle wussten es, aber niemand hat es mir gesagt. Und dann habe ich zum Beispiel für mich gewählt, dass Nationen nur Kategorien sind, und so wie ich mich nicht entscheiden muss, welche Farbe meine Lieblingsfarbe ist, muss ich mich nicht entscheiden, ob ich zu Deutschland gehöre oder zur Türkei und mich einfach in dieser Kategorie nicht entscheiden.
von Billerbeck: Sie könnten sich ja dem Ganzen auch entziehen, indem Sie schlicht sagen, ich bin Hamburgerin.
Gümüsay: Ja, das könnte ich auch, allerdings ist es halt quasi nur eine von vielen lokalen Identitäten, die ich dann hätte, und letztendlich ist dann auch der Fragesteller, der fragt, woher ich komme oder wer ich bin, auch mit dieser Antwort nicht wirklich zufrieden.
von Billerbeck: Ein Thema, das bei Ihnen doch bestimmt immer gefragt wird, wenn man eine Frau sieht, eine junge Frau mit Kopftuch, das ist die Frage nach der Religion, die berühmte Gretchenfrage. Welche Rolle spielt die in diesen Debatten?
Gümüsay: In letzter Zeit immer mehr. Denn der Islam in Deutschland ist immer wieder Thema. Und in der Wissenschaft sagt man, dass die Religion rassifiziert wurde, das heißt, der Islam ist nicht eine Religion, die man theologisch diskutiert, und Menschen, die religiös sichtbar sind durch das Kopftuch oder durch ein Kreuz et cetera, et cetera werden sozusagen nicht mehr als Menschen, die zufällig eine bestimmte Religion haben, gesehen, sondern Religion wird zur Rasse.
Also, das kann man daran erklären, wie Freundinnen zum Beispiel von mir, die aus dem Iran kommen und vor dem Schah-Regime geflohen sind und wirklich sich überhaupt nicht als Muslime identifizieren würden, aufgrund ihres Aussehens als Muslime bezeichnet werden und wie Muslime behandelt werden. Das heißt, sie trinken vielleicht Alkohol und essen Schweinefleisch und werden dann gefragt, warum sie das tun, dass sie das nicht dürfen. Oder werden dann auch mal als Muslime beschimpft und als Verrückte beschimpft. Oder Freundinnen, die aus Palästina kommen und Christen sind, werden auch wie Muslime behandelt. Aber nicht als Muslime, sozusagen, als Menschen einer bestimmten religiösen Orientierung, sondern als Menschen, die diskriminiert werden aufgrund ihrer Religion.
Deshalb würde ich sagen, dass heute Islamophobie mehr ist als eine Angst vor einer Religion. Sie ist ein Hass auf eine ganze Menschengruppe und ein Hass, den man nicht ablegen kann. Also, wenn ich mein Kopftuch ablegen würde, würde ich immer noch den gleichen Hass sehen oder fühlen von islamophoben Menschen, denn er bezieht sich nicht auf die Religion, sondern auf meine Rasse, sozusagen.
von Billerbeck: Wir fragen, ob Integration in Deutschland eine Utopie ist, dieser Tage. Wann ist oder wann wäre Integration denn Ihrer Meinung nach denn gelungen für die eine wie für die andere Seite.
Gümüsay: Ich glaube, Integration wäre dann gelungen in Deutschland, wenn es wirklich egal ist, wie man aussieht. Wenn es wirklich egal ist, ob jemand ein Kopftuch trägt oder nicht, welche Augenfarbe oder Haarfarbe man hat. Deutschland wäre ein Land, dass eine positive multikulturelle Gesellschaft hat, wenn man am Flughafen in Berlin eine Kopftuchträgerin hat, die den Pass kontrolliert. Dass sozusagen der Staat auch an sich die kulturelle Gesellschaft, die wir inzwischen haben, widerspiegelt.
Wenn wir wirklich verschiedene Menschen verschiedener Herkünfte in verschiedenen Positionen sehen, ohne dass das dann ein Problem ist. Ein Beispiel: Ich sollte mal in eine Sendung eingeladen werden und sollte die Jugend repräsentieren. Und die Freundin, die in der Redaktion arbeitete, hat später gesagt, dass man sich dann am Ende gegen mich entschieden hat mit der Begründung, wir sind in Deutschland noch nicht so weit, eine Kopftuchträgerin in einer Sendung zu haben und sie nicht über das Kopftuch sprechen zu lassen. Wenn es irgendwann möglich ist, dann haben wir ein positives Miteinander erreicht. Wenn es irgendwann möglich ist, eine Schwarze in einer politischen Talkshow zu haben und die über Wirtschaftsökonomie reden zu lassen, dann haben wir das alles erreicht, glaube ich.
von Billerbeck: Das sagt Kübra Gümüsay, Journalistin und Bloggerin. Sie beschloss unsere Reihe über die Frage "Integration. Ist sie in Deutschland eine Utopie?" Ich hoffe, Frau Gümüsay, wir hören uns wieder, und dann reden wir beispielsweise über Fußball!
Gümüsay: Ja, gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.