"Gewaltfreie Kommunikation und Humor"
Jón Gnarr trat seine Amtszeit mit dem Wunsch an, Spaß in die Politik zu bringen. In den vergangenen dreieinhalb Jahren hat er viel Gegenwind ertragen müssen, ist aber stolz, unpopuläre Reformen angegangen zu sein.
Christine Watty: Ich werde dafür sorgen, dass Reykjavik hip und cool wird! Das sagte Jón Gnarr nach seiner spektakulären Wahl zum Bürgermeister von Islands Hauptstadt im Jahr 2010. Außerdem wolle er versuchen, seinen Kram gut auf die Reihe zu kriegen, und vor allem einfach nett sein! Wie Gnarr zwischen Anarchismus und handfesten Problemen, Anfeindungen und dem eigenen Anspruch seine erste und vielleicht letzte Amtszeit, die in diesem Jahr endet, durchstand, wie er den Spaß in die Sache mit der Politik bringen wollte und was ihn eigentlich antreibt, darüber haben wir heute Vormittag mit ihm gesprochen. Denn Jón Gnarr befindet sich gerade in Berlin. Und meine erste Frage an ihn war: Ihr Credo lautet, es geht in der Politik um positive Einmischung und wir sollen uns alle einmischen. Nicht, um erfolgreich zu werden, sondern um Spaß zu haben! Haben Sie noch Spaß an der Politik nach drei Jahren Bürgermeisteramt?
Jón Gnarr: Ja, es sind ja schon dreieinhalb Jahre. In der Politik geht es in der Tat wie in allem anderen im Leben hauptsächlich um Kommunikation. Und wenn man dabei keinen Spaß hat, dann hat das Ganze keinen Sinn. Ja, ich habe noch jede Menge Freude und ich bin auch stolz darauf, dass ich dieses Stehvermögen hatte, das Ganze wirklich bis zum Ende durchzuhalten.
Watty: Jetzt würde wahrscheinlich nicht jeder Politiker nach einer längeren Amtszeit sagen, dass er noch Spaß hat. Wie haben Sie das geschafft, diesen Spaß aufrechtzuerhalten? Denn es gibt ja ein politisches System, es gibt andere Politiker, auf die man trifft, die einem womöglich genau versuchen, diesen Spaß zu verderben. Was ist Ihr Rezept für den Spaß in der Politik auch nach dreieinhalb Jahren?
Gnarr: Ja, ich würde sagen, mein Rezept besteht in gewaltfreier Kommunikation und Humor! Humor ist für mich ganz wichtig. Es ist auch Teil der guten Kommunikation. Es war natürlich von Anfang an klar, die da hatten was gegen mich, sie mochten mich nicht. Und sie haben teilweise recht aggressiv auf mich reagiert. Was habe ich gemacht: Ich habe nicht mit gleicher Münze zurückgezahlt, sondern habe etwas Nettes oder etwas Lustiges gesagt. Ich musste ihnen irgendwie auf die Sprünge helfen, indem ich etwas Lustiges sagte. Und ich habe ihnen letztlich zu verstehen gegeben, dass sie doch eigentlich alle ganz umgängliche, vernünftige Menschen sind, dass sie aber einfach gefangen sind in diesem System des Negativen und nur mühsam daherausgeraten.
Watty: Die Beste Partei ist aus einer Idee zu einem Sketch entstanden Sie haben damals eine Figur eines Politikers entworfen und plötzlich lief dieses große Projekt. Und als Sie gewählt wurden allerdings, da befand sich Island in einer schweren Finanzkrise und das war eigentlich überhaupt nicht humorvoll und lustig. Haben Sie diese Finanzkrise damals verstanden? Weil, man möchte ja immer von Politikern, dass sie alles verstehen, dass sie genau wissen, was zu tun ist. Wie ging das Ihnen damals?
Gnarr: Als ich das Amt antrat, hatte ich eigentlich nur sehr beschränktes Verständnis dessen, was da in der Finanzkrise vor sich ging. Ich hatte da wirklich sehr viel zu lernen, es dauerte viele lange Sitzungen, ehe ich mir das einigermaßen zurechtgelegt hatte, was da eigentlich los war. Und selbstverständlich, man hat am Anfang einer solchen Aufgabe immer wenig Ahnung von dem, was eigentlich auf einen wartet. So musste ich einen kommunalen Haushalt aufstellen, das war meine erste Aufgabe als Bürgermeister. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gab. Dann gab es das sehr ernste Problem der Energieversorgung von Reykjavik, Reykjavik Energie, der städtische Versorger war in schwerem Gewässer und wir mussten hier entscheiden, was zu tun ist, wir mussten einen Notfallrettungsplan aufstellen. Aber insgesamt ist eben das Bürgermeisteramt eine Aufgabe, ein Beruf wie jeder andere, wo ich mich eben bemüht habe, die Dinge so gut wie möglich zu bewältigen. Es geht wie immer an das, woran ich glaube, eben Kommunikation und Kooperation zwischen Menschen. Und mir wurde am Anfang vorgeworfen, du hast ja überhaupt keine Vision, du erwartest nur, dass die Beamten eben die Stadt leiten! Na ja, ganz so ist es nicht.
Ich glaube letztlich, eine Stadt wird durch Profis geführt und die Politiker, ja, die bringen eine gewisse Zielvorstellung mit und die müssen sie auch versuchen umzusetzen, aber im Wesentlichen wird die Hauptarbeit durch Profis eben geleistet und die Politiker sollten sich nicht allzu sehr einmischen in das, was Tag für Tag geschieht. Ich kann es vergleichen mit dem, was ich früher gemacht habe, Fernsehproduktionen: Da schreibe ich eine Art Drehbuch und ich spiele die Hauptrolle, aber alles andere überlasse ich den Menschen. Ich stelle einen Kameramann an, ich muss nicht wissen, welche Linse er verwendet, welches Objektiv. Nein, ich vertraue ihm und so mache ich das auch mit allen anderen Aufgaben. Und so kann ich also sagen, ja, es ist einfach ein Job, eine Aufgabe, die man so wie jede andere angeht. Ich könnte zum Beispiel hier auch morgen in Berlin als Taxifahrer anfangen und das wäre die ersten Tage über wahrscheinlich sehr, sehr schwierig, sich überhaupt zurechtzufinden. Aber ich bin sicher, viele Menschen fangen so eben in fremden Städten an, sie suchen sich ihren Weg. Und nach und nach bewältigen sie ihre Aufgabe. Und so ist das immer im Leben.
Mehr Teilhabe an Politik ist Erleichterung für alle
Watty: Wir sprechen im "Radiofeuilleton" im Deutschlandradio Kultur mit Jón Gnarr, dem Bürgermeister von Reykjavik und jetzt auch Buchautor. Und Sie haben gerade was gesagt, was auch in Ihrem Buch zur Sprache kommt, dass Sie nämlich immer sich eingestehen, wenn Sie etwas nicht wissen, und das auch öffentlich geäußert haben. Ich habe mich gefragt, ob das eigentlich das Problem der Politiker weltweit sogar ist, auch zum Beispiel hier in Deutschland, dass das eigentlich eben nicht erlaubt ist! Wir wollen immer, dass Politiker allmächtige Personen sind, die sich vor nichts fürchten, die immer alles wissen. Würden Sie sagen, wir haben im Moment die Politiker und die verkrusteten politischen Systeme, die wir verdienen, weil wir gar nicht fähig sind, Politiker auch Menschen sein zu lassen?
Gnarr: Ja, ich glaube, es ist da eine Art Teufelskreis entstanden, den wir selbst geschaffen haben. Politik ist ja doch ein feindseliges Umfeld, es geht da sehr hart zur Sache, es ist gewalttätig. Viele werden sich nicht davon angezogen fühlen, die meisten werden abgeschreckt sein. Wenn man zum Beispiel als Teenager, von früh an im Fernsehen die Politik betrachtet, dann wird man nicht sagen, oh, das möchte ich auch mal werden! Der Archetyp des Politikers, den gibt es eigentlich gar nicht. Ich glaube, Politik besteht im Wesentlichen in Kooperation und Kommunikation zwischen Menschen. Und das muss man zugänglicher machen. Wenn man mehr Menschen daran die Teilhabe ermöglicht, dann ist das eine Erleichterung für alle. Sogar für die heutigen professionellen Politiker. So, wie es jetzt läuft, ist es eigentlich ein Widersinn, Demokratie kann nicht funktionieren, wenn nur wenige daran teilhaben. Ich glaube, diese Beste Partei, meine Partei hat gezeigt, dass so etwas möglich ist. Und wir haben es unter Beweis gestellt.
Watty: Jetzt klingt das alles so schön und so richtig auch und stimmig in sich. Gibt es trotzdem Dinge, an denen Sie dann auch in den letzten Jahren verzweifelt sind, weil Sie es eben nicht bewältigen konnten, weil Sie nicht so einfach eine gute Lösung durch Kommunikation finden konnten? Oder schauen Sie zurück und sind eigentlich mit den Erfolgen, die Sie und die Beste Partei erzielt haben für Reykjavik, zufrieden?
Gnarr: Im Großen und Ganzen sind für mich die wirklichen Enttäuschungen ausgeblieben. Und ich habe doch im Wesentlichen die Ziele erreicht, die ich mir vorgenommen habe. Es gab natürlich gewisse Augenblicke, wo Land unter herrschte, wo man im Schrecken war und sagte, wie zum Teufel komme ich jetzt aus dieser Lage wieder heraus! Aber dann haben wir uns gegenseitig unterstützt. Meine Rolle war eigentlich diejenige des Mannes an der Bühnenrampe, der die Prügel einstecken muss. Gut, ich habe mein ganzes Leben lang Prügel eingesteckt, aber in meinem Rücken konnten die Menschen eben in aller Ruhe an der Lösung der Probleme arbeiten. Natürlich bekommt man das mit, was alles losgelassen wird über einen, was die Zeitungen so daherfaseln, das alles kann natürlich schon an die Nieren gehen, aber wir haben das alles irgendwie weggesteckt.
Und die Umfragen zeigen ja, dass 37 Prozent der Wahlberechtigten vor der Bekanntgabe meines Verzichts auf eine zweite Amtszeit gewillt waren, die Beste Partei zu wählen, erneut zu wählen. Das heißt, wir waren ziemlich erfolgreich und mein Hauptziel war es ja auch, die Moral der Menschen oben zu halten, diese Zuversicht, das optimistische Zukunftsverlangen in den Menschen zu bestärken. Und die Isländer sind ja, die Menschen in Reykjavik sind ja im Grunde optimistische und stolze Menschen. Sie sind stolz auf die Beste Partei und das ist irgendwie das Björk-Gefühl, wissen Sie, wenn man sagt, ja, ich komme aus Island, dann heißt es gleich, ah, Björk! Ja! Wir sind also stolz darauf, dass wir aus Reykjavik kommen, wir Reykjavik-Menschen sind auch stolz auf die Beste Partei, und es ist ja keineswegs nur ich, es ist nicht das Ich, sondern es ist das Wir, das hier zusammensteht und das eben dieses Selbstbewusstsein und diesen Stolz verkörpert.
"Ich tue das, was ich für richtig halte"
Watty: Aber wie haben Sie es geschafft, dass dieses Gefühl jetzt auch noch da ist, obwohl die Beste Partei natürlich auch unpopuläre Entscheidungen treffen musste und es Kürzungen gab im Sozial- und Bildungsbereich, glaube ich, in der Stadt? Wie haben Sie geschafft, dass das nicht passiert, was wir von anderen Orten, auch natürlich aus Deutschland kennen, dass das sofort dafür sorgt, dass die Partei nicht mehr gut angesehen ist?
Gnarr: Nun, es gelang mir, indem ich versuchte, eben die Menschen zu treffen, ihnen zu erklären, zu sagen, Leute, das ist die Situation, wir können es uns einfach nicht leisten, so weiterzumachen wie bisher, was ist zu tun? Und gerade wenn es darum geht, in der Bildungspolitik was zu ändern, da war ich öfters gezwungen, Schulen zusammenzulegen. Und im Bildungsbereich etwas zu tun, bringt sofort Widerstand vonseiten der Lehrer oder der Eltern. Ich hatte hitzige Debatten mit Eltern und mit Lehrern. Aber obwohl sie alle dagegen waren, diese Maßnahmen durchzuführen, mussten sie doch erkennen: Es war notwendig, weil wir einfach nicht mehr das Geld hatten.
Wenn man am Schulsystem etwas zu ändern versucht, dann ist das wirklich eine Riesenaufgabe für jeden Politiker. Denn ein Bildungswesen verändern zu wollen, ist, als wollte man einen Friedhof verlegen: Man bekommt von denen, die drin sind, keinerlei Hilfe, für die etablierten Politiker ist das hoch riskant, denn dadurch verlieren sie Wählerstimmen. Nun, für mich war es kein Problem, weil ich sagte, ich tue das, was ich für richtig halte. Und das war auch der große Vorzug der Besten Partei, dass wir eben imstand waren, dieses Risiko, nicht wiedergewählt zu werden, einzugehen. Und es hat sich auch ausgezahlt.
Watty: Danke schön an Jón Gnarr, dessen erste und also, wie gehört, auch letzte Amtszeit als Bürgermeister von Reykjavik in diesem Jahr zu Ende geht. Sein Buch heißt "Hören Sie gut zu und wiederholen Sie. Wie ich einmal Bürgermeister wurde und die Welt veränderte", erschienen bei Klett-Cotta. Und das Gespräch übersetzt hat für uns Johannes Hampel. Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.