Der korrupteste aller nördlichen Staaten
Island wurde als Land am heftigsten von der Veröffentlichung der Panama-Papers erschüttert, der Regierungschef trat zurück. Darüber hinaus ist - zum Leidwesen vieler Bürger - allerdings nicht viel passiert, hat Carsten Schmiester herausgefunden.
Am 12. April vergangenen Jahres hatte Baldur Hafstad genug – und ging auf die Straße. Mit Tausenden ähnlich erbosten Isländern. Die "Panama Papers" hatten einen Sumpf aus Korruption und Steuertricksereien offengelegt, hatten bewiesen, was lange vermutet worden war: Die Reichen der Insel hatten ihre Millionen zum großen Teil gut getarnt in ausländischen Steuerparadiesen geparkt, zur ungestörten Vermehrung. Schluss damit, forderte auch Baldur:
"Wir müssen demonstrieren, bis all das hier geregelt ist. Wir werden weiter darauf drängen, Neuwahlen zu haben und zwar früher, als eigentlich vorgesehen. Wir haben Gunnlaugsson schon zum Rücktritt gezwungen. Jetzt müssen wir weitermachen. Wir brauchen einen klaren Schnitt. So wie jetzt kann es ja nicht weitergehen."
Zumindest für Sigmundur Gunnlaugsson traf das zu. Der ehemalige Regierungschef von der Fortschrittspartei war das erste und einzig hochkarätige "Opfer" der "Panama Papers", gestolpert über undurchsichtige Beteiligungen an einer Offshore-Briefkastenfirma.
Aber er arbeitet an seinem Comeback, hat gerade eine neue politische "Bewegung" gegründet, die "Fortschrittsgesellschaft", aus der eine neue Partei werden soll. Sein Fall spricht Bände, denn es ist eigentlich gar keiner, also kein "Fall" im Sinne von "Sturz".
Die Karriere schien beendet - von wegen
Das gilt noch mehr für Bjarni Benediktsson, Chef der ebenfalls durch die "Panama-Papers" belasteten Unabhängigkeitspartei. Auch seine politische Karriere schien beendet, als die Piraten in Umfragen vor den auf Ende Oktober 2016 vorgezogenen Neuwahlen uneinholbar vorne lagen.
Doch die Meinungsforscher hatten sich geirrt: Bei der Wahl wurden die Piraten nur drittstärkste Kraft, und erst seit Anfang dieses Jahres hat Island wieder einen richtigen Regierungschef. Und der heißt - Benediktsson! Bis heute hält er den Trubel um die "Panama Papers" für übertrieben:
"Kein Zweifel, die Leute haben damals behauptet, dass 80 Milliarden isländische Kronen zum Großteil auf Offshore-Konten lagen, deshalb wurde das alles so heftig debattiert. Aber im Untersuchungsbericht steht, dass es seit 25 Jahren immer nur zwischen drei und sechs Milliarden waren ..."
"Nur" höchstens 50 statt knapp 700 Millionen
Also umgerechnet "nur" höchstens etwa 50 statt knapp 700 Millionen Euro. Und deshalb die ganze Aufregung? Sie hat sich dann auch schnell wieder gelegt und war nicht einmal nach den für die meisten Isländer enttäuschenden Neuwahlen wieder aufgeflammt. Was Gunnar Jónsson nicht wundert. Er sitzt für die Piraten im Parlament von Reykjavik und klingt resigniert:
"Was du hier erlebst, das ist eine Regierung nach der anderen, die unsere Politik verwässert; Themen wie 'Transparenz' oder 'Verantwortlichkeit'. Keine der anderen Parteien will das und ihre Politiker sind Profis, wir dagegen nur Amateure, die gerade erst anfangen, während sie ihre Politik schon seit Jahrzehnten machen."
Im Norden nichts Neues, sagt der Pirat und will trotz alledem die Hoffnung auf bessere Zeiten nicht komplett aufgeben ...
"Vielleicht kommt ja noch einmal ein Schlusspunkt, an dem die Leute endgültig genug haben und wieder auf die Straße gehen. So wie zur Wirtschaftskrise 2008, als wir die Regierung gekippt haben. Damals waren alle betroffen, aber sonst ist es hier sehr leicht, nur einzelnen Gruppen zu schaden und dann protestiert keiner, denn jeder denkt nur an sich selbst!"
"Island ist 2016 korrupter geworden"
"Island ist 2016 korrupter geworden", lautet die Überschrift eines Berichtes im alternativen Blatt "Reykjavik Grapevine". Paul Fontaine hat ihn geschrieben und sich dabei auf Informationen von "Transparency International" berufen, der internationalen Nichtregierungsorganisation, die sich dem Kampf gegen Korruption verschrieben hat.
Danach ist die Insel zwar keine völlige Katastrophe, aber doch der korrupteste aller nördlichen Staaten: Öffentliche Einrichtungen in Finanznot, Medien am Gängelband der Besitzer, schlecht koordinierte Regierungspolitik, stark geschwundenes Vertrauen in die Politik und ...
"... die reichsten Leute hier finden immer noch Wege, ihre Vermögen hin- und herzuschieben. Das hat sich überhaupt nicht verändert", sagt Fontaine:
"Die Familienclans passen sehr darauf auf, dass sie ihre Vermögen schützen und mehren. Das kann im kleinen Rahmen passieren. So besitzt Bjarni Benediktssons Onkel zum Beispiel eine Firma namens ISS, die sämtliche Regierungsgebäude reinigt. Aber es geht auch größer: Hier gibt es Abgeordnete im Parlament mit besten Verbindungen zu den Bossen der Fischindustrie. Sie verabschieden dann Gesetze, die der Industrie nützen, etwa durch die Senkung der Unternehmenssteuern."
Filz und Betrug haben laut Fontaine eine lange Tradition auf Island, die "Panama Papers" waren da wohl nur eine kurzfristige Störung.