Víkingur Ólafsson, Klavier
Island Symphonie Orchester
Leitung: Daníel Bjarnason
Luftrealität und Klangwunder
Das Island Symphonie Orchester und Víkingur Ólafsson waren auf Tournee - das Finale fand im Berliner Konzerthaus statt. Dabei spielten sie Daníel Bjarnasons Klavierkonzert "Processions", Anna Þorvaldsdóttirs "Aeriality" und Sibelius' 5. Sinfonie.
Gern von "der Natur" anregen lässt sich die isländische Komponistin Anna Þorvaldsdóttir. Doch sie bittet darum, nicht falsch verstanden zu werden. Sie malt mit ihrer Musik keine Naturgemälde, und sie geht auch nicht spazieren, um sich von der romantischen Stimmung an einem See anregen zu lassen. Das wäre doch zu viel des "nordischen" Klischees. Vielmehr beobachtet Anna Þorvaldsdóttir in der Natur, in der Landschaft bestimmte Phänomene, die sie in musikalische Strukturen umsetzt, oder die Ausgangspunkt sind für bestimmte Klangstrukturen.
"Aeriality" zum Beispiel ist eine zart flimmernde Klangfläche, die sich permanent verändert wie das Bild einer Landschaft: Am Horizont hat sie einen Charakter, von oben aus dem Flugzeug gesehen kann dieselbe Landschaft ganz anders erscheinen. So entsteht die "Aeriality" - die "Wirklichkeit der Luft". Musik ist schließlich nichts anderes als bewegte Luft. Die dennoch größte Emotionen auslösen kann.
So wie vor gut zehn Jahren, als in Island die Banken in die Krise gerieten, die Menschen demonstrierten und das Parlament die Regierung stürzte. In einem kleinen Land wie Island mit seinen rund 350 000 Einwohnern und seiner skandinavisch-familiären Konsenskultur hatte es so etwas noch nie gegeben. Mitten in dieser Zeit spielte das Island Symphonie Orchester die Uraufführung von Daniel Bjarnasons Klavierkonzert "Processions". Das hatte der Dirigent und Komponist seinem Freund Víkingur Ólafsson auf den Leib geschrieben.
Fortschritt marschiert im Kreis
Ein sehr originelles und für kontinentaleuropäische Ohren ungewohntes Stück "traditioneller" Konzertmusik. Fortschritt läuft im Kreis, meint Daníel Bjarnason, alles kehrt wieder. Auch die russische Klavierromantik, die in diesem Werk durchscheint, wie auch viele andere Stile und Epochen, und dennoch ist es ganz eigentümliche Musik, die so nur in Island entstehen konnte. Nicht zuletzt in einer Zeit, als die Menschen nach Sinn und Ruhe und Schönheit suchten, wo doch die politische und finanzielle Welt sich im Schlingern befand.
Finnisch-isländische Traditionen
Das Island Symphonie Orchester hat eine starke Tradition finnischer Chefdirigenten. Nach Peter Sakari und Osmo Vänskä wird im kommenden Jahr Eva Ollikainen diese Funktion übernehmen - da verwundert es nicht, dass Daníel Bjarnason und das Orchester sich für eine Sinfonie von Jean Sibelius als Abschlusswerk ihres Gastspiels in Berlin entschieden haben.
Die Sinfonie der Zugvögel
Die Fünfte gilt als eine besonders schöne und charakteristische im Schaffen des Vaters der Finnischen Musikkultur. In ihr führt uns der Komponist aus den Tiefen des Zweifels und der Verunsicherung hinauf in die Höhe des erhabenen Klangs, der wieder aus der Natur stammt. Das Hauptthema des Finalsatzes soll Sibelius niedergeschrieben haben, als er am Himmel einen Keil von Zugvögeln beobachtete. Auch das ist keine Beschreibung und kein kreativer Spaziergang, sondern ein Phänomen der Natur, das ein Künstler in emotional ergreifende Klänge übertragen hat.
Konzerthaus Berlin
Aufzeichnung vom 17. November 2019
Aufzeichnung vom 17. November 2019
Anna Þorvaldsdóttir
"Aeriality" für Orchester
"Aeriality" für Orchester
Daníel Bjarnason
"Processions" für Klavier und Orchester
"Processions" für Klavier und Orchester
Jean Sibelius
Sinfonie Nr. 5 Es-Dur op. 82
Sinfonie Nr. 5 Es-Dur op. 82