Ismail Kadare: Geboren aus Stein. Ein Roman und autobiographische Prosa.
Aus dem Albanischen von Joachim Röhm
S. Fischer, Frankfurt/Main 2019
288 Seiten, 23 Euro
Balkanische Grotesken
05:23 Minuten
In "Geboren aus Stein" versammelt der Albaner Ismael Kadare Texte, die seine Familiengeschichte mit der seines Landes verknüpfen. Es entsteht das Bild einer archaischen Clan-Gesellschaft, die durch die sozialistische Diktatur grotesk überformt war.
Im Zweiten Weltkrieg blieb das Haus der Kadares im südalbanischen Gjirokastra verschont. Doch am Ende des Jahrhunderts, nachdem die Familie das labyrinthische Gebäude in der Innenstadt verkauft hatte, brannte es aus und stürzte in sich zusammen. Es sah aus wie nach einem Bombenangriff, und tatsächlich lag diese Assoziation nahe, da zu dieser Zeit, 1999, Bomber der Nato das Land überflogen, um Belgrad zu bombardieren.
Es ist die Kunst des immer wieder und ganz zurecht als Nobelpreiskandidaten gehandelten albanischen Autors Ismail Kadare, die eigene Familiengeschichte unaufdringlich mit der Geschichte seines Landes zu verknüpfen. Der Band "Geboren aus Stein" versammelt autobiografische Texte aus verschiedenen Bänden der albanischen Werkausgabe. Sie sind zwischen 1984 und 2013 entstanden, umfassen also den Epochenbruch und das Ende der Diktatur Enver Hoxhas.
Absurdeste Diktatur aus Kinderperspektive
Die Geschichten reichen zurück in die Nachkriegskindheit des 1936 geborenen Autors, um von dort aus in die Nachwendezeit zu springen. Das Leben als Schriftsteller in der absurdesten und hartnäckigsten sozialistischen Diktatur Osteuropas gerät dadurch nur von den Rändern her in den Blick.
Kadare schreibt aus der Perspektive des Kindes, das bei ersten angeberischen Schreibversuchen, die nur aus Klappentexten und Selbstanpreisungen bestanden, die Fortschritts- und Siegespropaganda übererfüllte. Das ist so komisch wie harmlos, doch die Verhältnisse werden rasch spürbar, als der Junge zusammen mit einem Freund Münzen aus Blei gießt und aus der Schule heraus als Geldfälscher verhaftet wird.
Höhepunkt Roman über die Mutter
Die Sprache, das Geld und die Liebe – das ist der Dreischritt des Erwachsenwerdens, wie ihn Kadare in "Eine Geschichte aus drei Zeiten" nachzeichnet. So wie es beim Schreiben und beim Geldfälschen um die Pervertierung der Wünsche geht, endet auch die erste Liebe tragisch: die Jungs, die dort gemeinsam ein Mädchen anhimmeln, beschließen, sie "zu packen", wie es ein Älterer auf dem Schulhof ihnen suggeriert. Was das heißt, wissen sie nicht, als sie versuchen, ihr unter den Rock zu fassen.
Höhepunkt des Bandes ist ein kleiner, knapp hundertseitiger Roman über die Mutter, die nur "die Puppe" heißt. Er beginnt mit ihrem Tod im Jahr 1994. Puppe heißt die Mutter wegen ihrer maskenhaften Undurchschaubarkeit und weil sie sich von den Enkelinnen geduldig Schleifen und Spangen im Haar befestigen lässt, als wäre sie deren Spielfigur.
Das Bild der Mutter weitet sich zur Geschichte des viel zu großen Hauses, in das sie als Braut einzog und von dem sie ihr Leben lang "aufgefressen" wurde. Sie ist die Fremde, die aus einer anderen Familie stammt, die sich in diesem Gemäuer zurechtfinden muss und darin allmählich selbst versteinert.
Geschichten sind fast ein wenig zu leicht
Beiläufig zeichnet Kadare das Bild einer archaischen Clan-Gesellschaft, die vom Überwachungsstaat und dem Misstrauen der Machthaber überformt wird. Aus dieser Konstellation macht er balkanische Grotesken. Seine heiteren Geschichten sind manchmal fast ein wenig zu leicht und augenzwinkernd, als wäre das alles nur ein schlechter Scherz gewesen – als sei auch die eigene Schriftstellerei nichts als ein kindlicher Witz, aus dem dann aber doch der Ernst des Lebens erwuchs.