Bahá’í-Religion in Israel
Der Schrein des Báb (im Hintergrund) ist das Herzstück der Bahá’í-Gärten in Haifa. © Anne Françoise Weber
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Neben Juden, Christen und Muslimen haben auch die Bahá’í in Israel heilige Stätten. Die Religionsgemeinschaft entstand im 19. Jahrhundert im Iran, verbreitete sich global und will "Einheit und Frieden in der Welt", aber ohne politische Einmischung.
Sama Sabet nähert sich dem Schrein. In ihm sollen die sterblichen Überreste von Religionsgründer Bahá’u’lláh liegen. Die elegant gekleidete Inderin arbeitet als Freiwillige im Weltzentrum der Bahá’í in Israel und führt mich heute durch die Gärten der Bahá’í im Norden der Stadt Akko: Zwischen bunten Blumenrabatten und sorgsam gestutzten Hecken geht ein Weg aus Kieselsteinen zu einem kleinen Gebäude mit einer goldverzierten Tür.
„Die Kieselsteine verlangsamen den Schritt. Sie erlauben es, ruhig zu werden und nachzudenken", sagt Sama Sabet. "Auch die physische Schönheit, der Duft, die Farben haben eine Wirkung auf die Seele. Das alles dient wirklich zur Vorbereitung der Person, die sich dem Schrein nähert.“
Bahá’u’lláh erklärt sich zur Manifestation Gottes
Dass Bahá’u’lláh, ein 1817 in Persien geborener Adliger, ausgerechnet in Akko begraben liegt, hat mit den politischen Mächten seiner Zeit zu tun.
Mírzá Husajn-Alí, wie er mit bürgerlichem Namen hieß, erklärte sich 1863 zur Manifestation Gottes. Er bezog sich dabei auf Lehren des sogenannten Báb.
Der Báb war ein persischer Kaufmann, der ausgehend von einer Strömung des schiitischen Islam seit 1844 das Kommen eines Gottesgesandten angekündigt hatte. Mit seiner Bewegung sammelte er Tausende Anhänger und erregte den Zorn der persischen Führung. Wenige Jahre später wurde er hingerichtet.
Bahá’u’lláh griff die Lehren des Báb auf, entwickelte sie weiter und wurde deswegen aus Persien verbannt. Er lebte zunächst in Bagdad und kam von dort als Gefangener des osmanischen Sultans an verschiedene Orte, zuletzt in die Festungsstadt Akko – zusammen mit seiner Familie und einigen Anhängern und Anhängerinnen.
"Zunächst als Gefangene", erklärt Sama Sabet. "Aber im Laufe der Zeit erweichten Bahá’u’lláhs Würde, seine Weisheit, sein edler Charakter das Herz der Bewohner und der Behörden. Er bekam die Erlaubnis, außerhalb des Gefängnisses zu leben. Bahá’u’lláh verbrachte die letzten Jahren seines Lebens in diesem Landhaus und wurde daneben auch begraben, in diesem Gebäude, das jetzt sein Schrein ist.“
Besuch des Schreins in Akko
Während der Corona-Pandemie war der Zugang nur für Bahá’í möglich, doch langsam werden die Regeln gelockert, auch Touristinnen sollen den Schrein in Akko zu bestimmten Zeiten wieder besuchen können. Wer hineingeht, muss wie vor dem Besuch einer Moschee die Schuhe ausziehen – und Fotos oder Tonaufnahmen sind nicht erlaubt.
Die Wände des Schreins sind unter dem Dach in einer Breite von rund einem Meter verglast, sodass viel Licht in den zentralen Raum fällt. In seiner Mitte wachsen Farne an dünnen Baumstämmen hoch. Eine Handvoll Bahá’í stehen oder sitzen auf den Perserteppichen, die den Boden bedecken. Manche haben kleine Gebetsbücher in der Hand. Eine Frau trägt ihren Säugling vor dem Bauch. Das Kind ist wach, aber mucksmäuschenstill, so wie alle hier.
In einer Ecke des Raums führt ein mit Perlenschnüren verhängter Durchgang zum Sarkophag. Ehrfurchtsvoll nähern sich die Gläubigen. Manche knien dort nieder, wo eine Vase mit roten Rosen vor dem Sarkophag steht. Wenn sie wieder aufstehen, entfernen sie sich rückwärts, um der Grabstätte nicht den Rücken zuzuwenden.
Kern des Glaubens: Einheit der Menschheit
Nach dem Besuch des Schreins frage ich Sama Sabet nach dem Kern ihres Glaubens: „Ich denke, der Bahá’í-Glaube ist die Einheit der Menschheit", sagt sie. Nach diesem Glauben seien alle Religionen eins, sie speisen sich alle aus einer Quelle und sind inspiriert von dem einen gleichen Gott. "Alle Menschen sind eins, und es geht darum, unsere Vorurteile zu erkennen und abzubauen. Denn so lange wir nicht anerkennen, dass wir alle eins sind und diese gemeinsame spirituelle Identität akzeptieren, werden Einheit und Frieden in der Welt nicht möglich sein.“
Vertreterinnen anderer Religionen kritisieren bisweilen, dass die Bahá’í alles andere vereinnahmen. Darauf angesprochen, betont Sabet, dass die Bahá’í nicht behaupten, ihre Religion sei der einzig wahre Weg.
Weltweit gibt es etwa acht Millionen Bahá’í. Ungefähr ein Viertel davon lebt in Indien, einige Hunderttausend im Iran und kleinere Gruppen in so ziemlich allen Ländern der Erde. Sie alle wenden sich beim Gebet in Richtung des Schreins in Akko.
Bahá’í sollen nicht dauerhaft in Israel leben
Doch kein Bahá’í lebt dauerhaft in seiner Nähe – denn Religionsstifter Bahá’u’lláh hatte zu Lebzeiten schon erklärt, dass keine Gemeinschaft im damaligen Palästina bestehen solle. Heute wohnen nur rund 700 Bahá’í in Israel. Sie arbeiten als Freiwillige im Weltzentrum in Haifa und bleiben in der Regel für maximal fünf Jahre im Land.
„Weil Bahá’u’lláh gesagt hat, dass es hier keine Gemeinschaft geben soll, haben die meisten Bahá’í, die ihn in seinem Exil begleitet hatten, das Land verlassen", meint Sama Sabet.
Einige würden hierbleiben, das sei auch in Ordnung: "Bahá’í fühlen keine Feindschaft oder Hass gegen wen auch immer. Nur war das eben das Gesetz, das befolgt werden sollte – und sie haben sich dagegen entschieden. Aber das heißt nicht, dass sie die Gärten und den Schrein nicht besuchen dürfen. Die stehen allen offen. Wir haben keine negativen Gefühle oder Bitterkeit gegenüber anderen, auch nicht gegenüber den Menschen, die entschieden haben, hierzubleiben.“
Führungsgremium der Bahá’í sind neun Männer
Im Internet finden sich Webseiten, die für eine sesshafte Bahá’í-Gemeinschaft auch in Israel plädieren. Das ist auch als Kritik zu verstehen an dem internationalen Leitungsgremium der Bahá’í. Das sitzt in Haifa und heißt Universales Haus der Gerechtigkeit. Besetzt mit neun Männern. Frauen können hierfür, anders als auf den unteren Leitungsebenen, nicht gewählt werden.
Diskussionsbedarf gibt es auch bei den Bahá’í. Aber zumindest nach außen zeigt sich die Religionsgemeinschaft konfliktscheu. Das mag auch daran liegen, dass Zusammenhalt überlebenswichtig ist, weil ihre Anhänger und Anhängerinnen nicht nur in ihrem Herkunftsland Iran stark verfolgt werden. Jede Botschaft, die nach außen geht, soll kontrolliert werden – auch Medienberichte will das Weltzentrum stets vor der Veröffentlichung prüfen.
Für Forschende ist es nicht leicht, tiefer in die Gemeinschaft einzusteigen. Das hat Nimrod Luz festgestellt. Er ist Professor für Geografie am Kinneret College am See Genezareth und hat versucht, die Bahá’í in seine Forschung über religiöse Akteure in Akko zu integrieren.
Weit kam er dabei nicht – aber er versteht auch, warum die Bahá’í so vorsichtig sind: „Ich habe immer eine politische Dimension in meiner Forschung. Wozu sollten die Bahá’í das brauchen? Warum sollten sie in eine Diskussion gezogen werden, wie die Stadtverwaltung von Akko geführt werden sollte? Oder wenn, Gott bewahre, ich einen Bahá’í interviewe und er Kritik am Bürgermeister von Akko, Shimon Lankri, äußert. Das kann wirklich alles kaputtmachen. Sie brauchen das nicht.“
Kaum wahrnehmbar in Stadtgesellschaft
Ahmad Odeh, als Vertreter der arabischen Minderheit bis 2018 Mitglied des Stadtrats von Akko, bestätigt, dass die Bahá’í kaum wahrnehmbar sind: "Sie sind nicht in der Stadtgesellschaft von Akko aktiv. Sie halten sich an ihren Orten auf, leben in Frieden mit allen und mischen sich nicht ein. Sie haben weder negativen noch positiven Einfluss. Niemand bemerkt sie. Niemand hat Probleme mit ihnen.“
Professor Nimrod Luz versichert, aus touristischer Sicht würde Akko nur von den Bahá’í profitieren – wenn auch nicht alle ihrer heiligen Stätten stets zugänglich sind.
Zelle von Bahá’u’lláh im Gefängnis-Museum
Am Hafen von Akko liegt die alte Festung. Hier war im 19. Jahrhundert Bahá’u’lláh inhaftiert. Seine Zelle dürfen aber nur Bahá’í-Gläubige besuchen, erklärt mir der Wachmann am Eingang des heutigen Museums der Untergrund-Häftlinge.
Im ersten Stock erinnern verschiedene Räume an politische Häftlinge, die in den 1920ern durch Aktionen im Untergrund das britische Mandat beenden und einen jüdischen Staat herbeiführen wollten.
In einer Ecke ist eine kleine verschlossene Tür – dahinter befindet sich die Zelle, in der Bahá’u’lláh nach seiner Ankunft in Akko 1868 in osmanischer Festungshaft war. Nur ein dreisprachiges Schild über der Tür besagt, dass es sich um seine Zelle handelt. Tafeln mit Erklärungen wie in den anderen Räumen gibt es hier nicht.
Die Bahá’í betonen, dass zu besonderen Gelegenheiten auch dieser Raum Nichtgläubigen offensteht und er nicht so heilig sei wie die Schreine. Für Geograf Nimrod Luz ist dieser Ort dennoch ein Paradebeispiel für ihr Vorgehen in Israel. „Die Bahá’í haben die israelische Regierung darum gebeten, und sie hat ihnen innerhalb dieses Gefängnis-Museums einen eigenen Bereich gesichert, den die Bahá’í als heilige Stätte ansehen", erzählt er. "Wenn Bahá’í-Pilger nach Akko kommen, gehen sie dorthin. Das ist ein wunderbares Beispiel dafür, warum sie nicht allzu offen sind, wie sie mit den Behörden zusammenarbeiten. Hier kann man erklären, warum sie so zurückhaltend und auf die Folgen ihres Handelns bedacht sind."
Denn sie hingen vom Wohlwollen des Staates ab – sei es damals der osmanische Staat, die britische Mandatsverwaltung oder der israelische Staat – oder andere Staaten. "Sie sind überall eine Minderheit und an manchen Orten werden sie verfolgt. Also haben sie ihre Gründe, sich in Acht zu nehmen.“
Bahai-Gärten in Haifa als Touristen-Attraktion
Die Vorsicht bedeutet jedoch nicht, dass die Bahá’í in Israel unsichtbar wären. Im Gegenteil: In der Nachbarstadt Haifa ziehen sich die Gärten der Bahá’í über 19 Terrassen direkt durch die Stadtmitte. Ein prominentes Grundstück, dessen Kern ihnen schon seit mehr als 100 Jahren gehört.
Als Bahá’u’lláh 1892 starb, übergab er die Religionsgeschäfte an seinen ältesten Sohn Abdu’l Bahá. Der kaufte Land auf dem Berg Karmel – damals noch unter den Osmanen – und überführte dorthin die Überreste des Báb aus Persien. Die liegen jetzt in einem Schrein mit goldener Kuppel. Auf dem Gelände befinden sich auch das Weltzentrum der Bahá’í und der Sitz des Universalen Hauses der Gerechtigkeit.
Noga Collins-Kreiner, Geografie-Professorin an der Universität Haifa, erklärt, warum die Bewohner der drittgrößten Stadt Israels mit dieser massiven Präsenz einverstanden sind. Der Bau der Gärten habe den Tourismus in Haifa gefördert. "Es dürfte eine der wenigen Städte weltweit sein, bei der ein Symbol einer anderen Religion auf jeder Tourismus-Broschüre zu sehen ist. So haben die Bevölkerung und die Stadtverwaltung von Haifa und sogar Geschäftsinhaber viel gewonnen.“
Rund eine Million Pilgerinnen und Touristen haben die Stätten in Haifa und Akko, seit 2008 UNESCO-Weltkulturerbe, vor der Corona-Pandemie jährlich besucht.
Finanziert werden die Gärten von den Bahá’í selbst – zu den religiösen Pflichten gehören neben Gebeten, Pilgerfahrt und Fasten auch Spenden. Sama Sabet betont aber, dass diese freiwillig sind: „Niemand kann für andere entscheiden, was und wieviel sie geben sollen. Keine Bahá’í-Institution wird eine Person zwingen, dieses Gesetz zu befolgen. Sie informieren darüber, aber wenn es um die Tat geht, macht man das mit sich und Gott aus. Denn wir Bahá’í glauben, dass wir im Zeitalter der Reife sind. Menschen sollten wissen, was zu tun richtig ist.“
Ich muss der Gemeinschaft dienen
Die Bahá’í tun sehr viel für ihre Gemeinschaft. Das zeigt sich auch daran, dass so viele Freiwillige im Weltzentrum in Haifa für meist ein bis fünf Jahre unentgeltlich mitarbeiten. Unter ihnen ist auch Farah Jarah, eine junge Jordanierin, die in der Öffentlichkeitsarbeit tätig ist.
Für sie ist die Idee des Dienens zentral in ihrem Glauben: „Im Bahá’í-Glauben sehe ich, dass das Individuum nicht getrennt ist von einer Gemeinschaft. Wenn ich mich selbst entwickeln will, muss ich auch meine Gemeinschaft entwickeln. Ich muss die Verbesserung der Welt erreichen." Es gehe nicht nur darum, sich spirituell und als Bahá’í weiterzuentwickeln. "Ich muss auch meiner Gemeinschaft dienen und sichergehen, dass wir alle auf diesem Weg weitergehen und unsere Gemeinschaften weiterentwickeln.“
Bahá’í betonen gern, dass sich ihre lokalen Gemeinden für alle Menschen in der Nachbarschaft einsetzen. Oft geht es dabei um Bildung oder Umweltschutz. Weil es in Israel keine sesshafte Bahá’í-Gemeinschaft gibt, fällt die Graswurzelarbeit vor Ort weg – bei interreligiösen Begegnungen engagieren sich die Bahá’í jedoch auch hier, ohne je politisch Position zu ergreifen.
Ein dritter großer Schrein entsteht zurzeit auf einem Gelände zwischen Haifa und Akko. Er soll die Gebeine von Abdu’l Bahá aufnehmen, dem 1921 in Akko verstorbenen ältesten Sohn von Religionsgründer Bahá’u’lláh. Ein Großbrand auf der Baustelle hat Anfang April die Arbeiten zurückgeworfen, aber die Bahá’í betonen, dass der Bau weitergeht. Und in Haifa und Akko freut man sich, dass demnächst eine weitere Attraktion Touristen und Pilgerinnen anziehen wird.
Die Geografin Noga Collins-Kreiner hat viel zu Konflikten über religiöse Bauten geforscht. Was sie über die Stadt Haifa sagt, scheint für alle Bahá’í-Stätten in Israel zu gelten: „Ich nenne das hier eine Liebes- oder Erfolgsgeschichte. Davon haben wir nicht so viele im Heiligen Land.“