"Homosexuelle sind frei in diesem Land"
Wohl in keinem Land liegen die Pole im Umgang mit Homosexualität so weit auseinander wie in Israel. Während Gay Pride in Tel Aviv Teil des Tourismusmarketing ist, gibt es bei der Veranstaltung in Jerusalem regelmäßig Proteste und massiven Polizeischutz.
Auf dem Meir-Garden-Platz in Tel Aviv haben sich zehntausende Menschen versammelt. Laute Musik wird gespielt. Viele sind bunt geschminkt. Unzähligen Regenbogen-Fahnen, die für Toleranz, Vielfalt und die Schwulen-und Lesbenbewegung stehen, wehen im Wind. Der Gay Pride Umzug, die "Parade des schwulen Stolzes", ist die größte öffentliche Veranstaltung der Stadt. Die Stadtverwaltung bekundet ihre Solidarität, indem sie einige Bürgersteige bunt streichen ließ und das Rathaus nachts in Regenbogenfarben anstrahlt.
Teilnehmer:
"Jeder kann machen was er möchte. Es ist demokratisch. Was will man mehr?"
"Ich bin ein großer Fan dieser Parade. Ich selbst bin zwar nicht lesbisch, aber ich unterstütze es und finde es gut. Diese Rechte sind unverzichtbar, überall auf der Welt und besonders hier in Israel."
"Es ist mein zweites Mal in Tel Aviv. Es ist ein wunderschöner Platz hier für die Parade. Die Homosexuellen sind frei in diesem Land."
Rund um die Parade gibt es eine ganze Woche mit Lesungen, Filmen, Diskussionen und nicht zu vergessen mit vielen Partys in den Clubs der Stadt. Die mittlerweile 16. Gay Pride Parade zieht durch die Straßen der Stadt bis zur Strand-Promenade und endet dort mit einem großen Fest im Charles-Clore-Garden mit Blick auf das Meer.
Israel ist sehr fortschrittlich im Umgang mit Homosexualität
Weit mehr als 100.000 Menschen sind für den Umzug nach Tel Aviv gekommen, unter ihnen zehntausende Touristen. Shai Doitsh ist Vorsitzender der israelischen Organisation der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen, kurz LGBT. Er erklärt, Israel gehöre zu den fortschrittlichsten Ländern überhaupt im Umgang mit Homosexualität.
"Unser Kampf ist ein anderer als der in anderen Ländern. Wir haben bereits die meisten der LGBT-Rechte. Wir können Kinder adoptieren. Wir können unseren Partner als Erben einsetzen und wir leisten den Wehrdienst, wie jeder andere auch."
Wie in vielen Ländern auch, haben es Homosexuelle außerhalb einer so weltoffenen Metropole wie Tel Aviv schwerer.
"Wir waren zunächst zufrieden mit Tel Aviv als einziger Stadt für die LGBT-Gemeinschaft. Aber in den vergangen Jahren gab eine Art Revolution - und jetzt haben wir 17 Gay Pride-Veranstaltungen im Land. Und Israel ist sehr klein. Wir haben gemerkt, dass wir unsere eigenen Städte als tolerante Plätze brauchen. Deshalb sorgen wir nun auch dort für Aktivitäten und LGBT-Gruppen."
Der gebürtige Israeli Karl Walter lebt in Tel Aviv und arbeitet als Reiseleiter, auch für Deutsche. Bei aller Offenheit und Toleranz sei es nicht leicht, sich in einer jüdischen Familie zu outen, sagt der 47-Jährige, das habe er bei sich selbst erlebt.
"Israel ist ein konservatives Land, familienorientiert - wenn jemand sich outet, ist es natürlich unangenehm für die Eltern. Eine lange Zeit redet man nicht davon - und wenn das Kind schon 35 ist, sagt die jüdische Mutter, treffe jemanden so wie du, aber du sollst Kinder bekommen, ich will Enkel haben."
Um den Kinderwunsch zu erfüllen, gibt es gute Möglichkeiten. Denn der israelische Gesetzgeber macht es homosexuellen Paaren wesentlich leichter, durch Adoption oder künstliche Befruchtung Eltern zu werden, als das in Deutschland der Fall ist.
Anat Nir ist eine der führenden LGBT-Aktivistinnen in Israel. Sie sagt, in einem Land, welches von Religion geprägt ist, sei eben vieles anders. Aber immerhin gebe es bereits zehn LGBT-Organisationen, denen auch religiöse Menschen angehören, die sich für ihre Anerkennung stark machen
"Wir haben eine Vielzahl von Sichtweisen - ultraorthodox, nicht so orthodox und auch etwas dazwischen. Es ist nicht schwarz-weiß. Und einige Synagogen fangen an, Schwule, Lesben und Transsexuelle zu akzeptieren. Wenn ich einer von ihnen bin und religiös bin und sie werfen mich aber aus einer Synagoge - baue ich vielleicht eine eigene Synagoge, in der das toleriert wird - und das verändert die Struktur der religiösen Institutionen."
In der palästinensischen Gesellschaft ist Homosexualität mit einem starken Tabu belegt. Doch auch für muslimische Homosexuelle gibt es Organisationen in Israel. Allerdings sei das Thema dort besonders schwierig, da es dann in erster Linie nicht um religiöse Fragen gehe, sagt Anat Nir.
"Das Problem ist sehr groß. Ich kenne zwei palästinensische Organisationen. Es ist großartig, was sie tun. Aber sie erkennen den israelischen Staat nicht an und auch die israelischen Organisationen nicht. Ich unterstütze Frieden. Ich möchte, dass es keine Besatzung mehr gibt. Und die Parade hat auch damit zu tun. Ich persönlich denke, wenn wir Menschenrechte verlangen, müssen wir sie auch geben."
Homosexuelle können sich kostenlos auf HIV testen lassen
In Jerusalem gibt es einen Treffpunkt für Menschen, die sich zu ihrer sexuellen Identität bekennen wollen: Das "Open House". In dem traditionsreichen Zentrum informiert der 26-jährige Ire Tom Canning über die schwul-lesbische Gemeinschaft in der von Religion geprägten Stadt:
"Jerusalem ist eine konservative Stadt, das bedeutet, alle Aktivitäten, die von der Norm abweichen, sind verpönt. Man sieht keine Männer, die sich küssen oder Hand und Hand auf der Straße gehen. Das sieht man aber auch zwischen Männern und Frauen nicht. Es ist eben diese Atmosphäre hier."
Im Open House können Homosexuelle sich kostenlos auf HIV testen lassen und bekommen psychologische Unterstützung. Im Gegensatz zu Tel Aviv ist die Szene in Jerusalem klein und intim.
"Man trifft hier dann eben in ein und derselben Szene-Bar schwule Palästinenser und orthodoxe Juden."
Das "Open House" ist auch für arabische Schwule einer der Orte, wo sie ihre Neigung offen zeigen können. Tom Canning weiß, dass es auch Liebesbeziehungen zwischen homosexuellen Juden und Palästinensern gibt.
"Es ist nicht so selten, aber es ist auch nicht sehr üblich, weil es kulturelle Unterschiede gibt. Die schwule Community hat jedoch die Fähigkeit, Grenzen auf vielen Wegen zu überwinden."
Und so geht Tom Canning sogar davon aus, dass sich ein homosexuelles palästinensisch-jüdisches Paar eher finden kann als ein heterosexuelles.