Israel

Juden sind nicht für Nahost verantwortlich

Ein Mann mit einer Kippa sitzt anlässlich einer Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Reichspogromnacht in der Synagoge in Dresden.
Juden würden häufig mit Israelis gleichgesetzt, kritisiert Ofer Waldman. © dpa / picture alliance / Sebastian Kahnert
Von Ofer Waldman |
Eine klare Unterscheidung zwischen Juden und Israelis, Volk und Staat, fehlt dem israelischen Musiker Ofer Waldman im öffentlichen Diskurs. Juden für die Politik Netanjahus haftbar zu machen, sei nicht nur undemokratisch, sondern auch gefährlich.
Was hat das 50. Jubiläum der israelisch-deutschen Beziehungen in diesem Jahr mit den Demonstrationen anlässlich des Gaza-Krieges im letzten Sommer gemeinsam? Die Antwort scheint offensichtlich: ob positiv oder negativ, beide haben Israel zum Gegenstand.
Schaut man allerdings näher hin, stellt man verblüfft fest: Tatsächlich ging es in beiden Fällen um Juden – ob positiv oder negativ. Bei den Feierlichkeiten im Mai wurde der deutsch-jüdischen Geschichte mit ihren Höhen und Tiefen, zwischen Heine und Buchenwald gedacht; auf den Demonstrationen in Berlin im letzten Juli und August wurden hauptsächlich anti-jüdische, ja antisemitische Hetzparolen gerufen.
Israelis und Juden, Israel und Judentum werden gleichgesetzt. Der Staat Israel wird demnach als die Vertretung aller Juden gesehen, umgekehrt werden Juden für die israelische Politik in Haftung genommen. Dabei lebt nicht einmal die Mehrheit der Juden in Israel, umgekehrt sind circa 20 Prozent der Israelis keine Juden.
Die Folgen dieser fehlerhaften Gleichsetzung sind indes gravierend.
Juden als moralisches Symbol
Dass die deutsch-jüdische Geschichte das dunkelste Kapitel der Menschheit beinhaltet und somit einen Grundstein der heutigen, kriegskritischen deutschen Identität bildet, steht außer Frage. In dieser deutschen Geschichtserzählung sind die Juden die vorstellbar unschuldigsten Opfer und müssen als Symbol der neugefundenen deutschen Moral herhalten.
Die Gleichsetzung von Israelis und Juden bewirkt indes die Erwartung, die Israelis sollten diesem Bild ebenfalls entsprechen und sich nichts zuschulden kommen lassen, um eben jenes deutsche moralische Symbol nicht zu gefährden.
Demzufolge wird Israel hierzulande zum Teil nach Maßstäben beurteilt, die an kein anderes Land, ob im Nahen Osten, an den Küsten des Mittelmeers oder anderswo, angelegt werden. Spätestens dann kollidiert die aggressive, militarisierte israelische Realität mit der pazifistischen Erwartungshaltung der Deutschen an die Juden. Zugespitzt formuliert, schöpft die Heftigkeit der Anti-Israel-Kritik aus der Erinnerung an den zweiten Weltkrieg.
Umgekehrt werden Juden oft für die israelische Politik haftbar gemacht. Dies ist verquer, denn es gibt weder eine jüdische Staatlichkeit, noch eine jüdische Staatsbürgerschaft. Juden dürfen nicht per se an Wahlen in Israel teilnehmen.
Nicht zur Differenzierung bereit
Sie für die Politik Netanjahus haftbar zu machen, ist undemokratisch und gefährlich, denn es liegt hernach nicht fern, ihre eigentliche Staatsbürgerschaft und ihre Loyalität ihrem jeweiligen Staat gegenüber, zum Beispiel Deutschland, infrage zu stellen. Eine solche Gleichsetzung spielt zudem in die Hände jener Politiker, die aus unterschiedlichen Gründen die jüdische Existenz in Europa infrage stellen.
Die gefährlichste Konsequenz der Gleichsetzung von Juden und Israelis lauert bereits im öffentlichen Diskurs: nämlich das Hereinziehen der Erinnerung an den Holocaust in den Sog tagtäglicher politischer Diskussionen.
Dass Juden sich dem Staat Israel kulturell und religiös verbunden fühlen, ist selbstredend. Jedoch nicht nur die Qualität politischer Diskussionen, sondern auch das gesellschaftliche Klima wird belastet durch ein Denken, das nicht zu differenzieren bereit ist. Diesem Denken sollte eine notwendige Unterscheidung zwischen Juden und Israelis, Volk und Staat, entgegengesetzt werden.
Dann fällt auch leichter, konsequent eine weitere, unabdingbare Unterscheidung zu beachten: zwischen berechtigter Israel-Kritik und antisemitischer Hetze.
Ofer Waldman, in Jerusalem geboren, war Mitglied des arabisch-israelischen West-Eastern-Divan Orchesters. In Deutschland erwarb er ein Diplom als Orchestermusiker und spielte unter anderem beim Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin sowie den Nürnberger Philharmonikern. Anschließend war er an der Israelischen Oper engagiert und absolvierte daneben ein Masterstudium in Deutschlandstudien an der Hebräischen Universität Jerusalem. Derzeit ist er Gastdoktorand an der Freien Universität Berlin und beschäftigt sich in Vorträgen und Texten mit den deutsch-jüdischen, deutsch-israelischen und israelisch-arabischen Beziehungen.
Ofer Waldman
Ofer Waldman© Kai von Kotze
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