Israel-Kritik

Für mehr Liberalität und Universalismus!

Ein Teil der Mauer zwischen Israel und den Palästinensischen Autonomiegebieten, aufgenommen bei Bethlehem am 08.07.2011.
Die Soziologin Eva Illouz übt scharfe Kritik an der israelischen Gesellschaft. © picture-alliance / dpa / Abed Al Hashlamoun
Von Carsten Hueck |
Diskriminierung, Rassismus, Missachtung von Bürgerrechten - die Soziologin Eva Illouz geht mit der israelischen Gesellschaft und Politik hart ins Gericht. Doch ihre Essay-Sammlung ist kein Israel-Bashing, sondern kluge Israel-Kritik mit Herz.
Sie schreibt über die Liebe und das Internet, über Gefühle im Kapitalismus und über "Shades of Grey": die 1961 in Marokko geborene Eva Illouz ist eine der einflussreichsten Soziologinnen der Gegenwart. Die ZEIT zählt sie gar zu den Intellektuellen, die das Denken der Zukunft verändern werden. Ihr neues Buch "Israel" ist eine Sammlung von 14 Essays aus den Jahren 2011 bis 2014, bis auf drei liegen sie zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vor, und vermitteln einen Eindruck von der Autorin: ihrer genauen Beobachtungsgabe und analytischen Schärfe, ihrem Wertesystem und ihrem politischen Engagement. Denn Eva Illouz zeigt hier Entwicklungen der israelischen Gegenwartsgesellschaft auf, die nach ihrem Dafürhalten dringend korrekturbedürftig sind.
Das große Plus ihrer Betrachtungen ist, dass sie Kritik von innen übt. Seit Jahrzehnten lebt und arbeitet Eva Illouz in Israel. Sie stammt aus einer jüdisch-orthodoxen Familie, hat ihre Frömmigkeit während des Studiums in Frankreich und den USA immer mit dem Gebrauch der Vernunft und dem Einsatz für Menschenrechte verbinden können. Erst in Israel war ihr das nicht mehr möglich. Sie erfuhr, dass der jüdische Charakter des Staates zu einer Aufhebung der Grenzen von privatem und öffentlichem Leben führt, Ungleichheit zwischen seinen Bürgern und eine zunehmend extremistische Politik hervorbringt.
Strikte Trennung von Juden und Nichtjuden
Als Gegenmodell führt die Soziologin den französischen Säkularismus ins Feld und ein universalistisches Wertesystem. Juden aus orientalischen Ländern sei es nach ihrer Einwanderung in Frankreich innerhalb einer Generation gelungen, in sozial angesehene Positionen zu gelangen. In Israel hingegen bestünde auch heute noch ein Rassismus der herrschenden, aus Europa stammenden Juden (Aschkenasim) gegenüber denjenigen, die aus Nordafrika oder dem Irak (Mizrachim) stammen.
Die Diskriminierung der nichtjüdischen Israelis sei noch heftiger, so Illouz. Ihre Thesen untermauert sie mit Fallgeschichten: Arabische Israelis dürften den Staat nicht repräsentieren, ihr Zugang zu Land, Bürgerrechten und Bildung ist eingeschränkt. "Weil der jüdische Glaube die Juden streng von den Nichtjuden abschirmt, fehlt dieser Religion jede Richtschnur für ein liberales Gemeinwesen", so ihr Befund. Eva Illouz macht sich stark für die Einhaltung von Menschenrechten, Liberalität, und Universalismus - all das, was den Juden in ihrer Geschichte geholfen habe. Im jüdischen Staat, so die bittere Erkenntnis der Autorin, fehle es aber genau daran.
Pures Israel-Bashing ist unter ihrem Niveau. Eva Illouz liebt das Land und fordert deswegen eine Neudefinition jüdischer Existenz und Identität in der Moderne, flexible Gesellschaftsverträge, den Abbau militärischer Dominanz, der Orthodoxie als Staatsreligion, der Politik der ethnischen Exklusivität und des Ressentiments und der Instrumentalisierung von Trauer und Angst. Wenn Israel-Kritik, dann bitte so: nicht polemisch, sondern erklärend dicht am Gegenstand, klug und mit Herz.

Eva Illouz: Israel. Soziologische Essays
Aus dem Englischen von Michael Adrian
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015
228 Seiten, 18 Euro

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