Israel

Kultur in Zeiten des Krieges

Die Davidszitadelle in der Altstadt Jerusalems.
Auch die Grabungsstätte unter der Davidszitadelle war geöffnet. © Deutschlandradio Kultur / Philipp Eins
Von Philipp Eins |
Nur drei Wochen nach der Waffenruhe zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas lädt das "Open House Festival" Menschen aus aller Welt nach Jerusalem. Wie schnell kehrt wieder Normalität ein - und wie ist es um die Kulturszene der Stadt bestellt?
Es ist Mittagszeit in Jerusalem. Auf den ersten Blick hat sich das Leben hier kaum verändert: Dichter Verkehr schiebt sich durch die Straßen der westlichen Innenstadt, vorbei an mehrgeschossigen sandfarbenen Kalksteinhäusern und sommergrünen Parks, in denen Eltern mit ihren Kindern spielen. Cafés und Restaurants sind gut besucht, die Stimmung unter den Gästen ist ausgelassen.
Vergangenen Monat war das noch ganz anders: Der Krieg zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas im 90 Kilometer entfernten Gaza-Streifen lähmte den Alltag in Jerusalem. Einwohner blieben zu Hause in Reichweite der Luftschutzbunker, Urlauber stornierten ihre Flüge: Der Tourismus in Israel brach im Sommer um 40 Prozent ein. Das hatte auch Folgen für die Kunst- und Kulturszene: Museen und Galerien blieben zu großen Teilen leer.
Drei Wochen nach der Waffenruhe sollte das "Open House Festival" nun wieder Kulturinteressierte aus aller Welt nach Jerusalem locken: Rund 120 architektonisch bedeutsame Privathäuser und Synagogen, Dachgärten und Ausgrabungsorte waren an diesem Wochenende geöffnet – und zwar gratis. Archäologen führten durch die ansonsten streng verschlossene Grabungsstätte unter der Davidszitadelle, einem der Wahrzeichen der Stadt. Und die Architektin Bracha Chyutin gewährte Einblick in den neuen, von ihr entworfenen Campus im Van Leer-Institut für Israel-Studien.
Der Architekt Alon Ben Nun.
Der Architekt Alon Ben Nun.© Deutschlandradio Kultur / Philipp Eins
Der Architekt Alon Ben Nun hat das "Open House Festival" Jerusalem gemeinsam mit seiner Frau Aviva Levinson vor sieben Jahren gegründet. In einer so geschichtsträchtigen Stadt habe ein Architekturfestival eine ganz besondere Kraft:
"Was wirklich einzigartig ist in Jerusalem, ist die Überlagerung verschiedener architektonischer Stile aus allen historischen Epochen. In der Altstadt gab es mal einen Kaufmann, der den Keller in seinem Laden ausbauen wollte. Er begann zu graben – und durch Zufall fand man unter seinem Haus über 2000 Jahre alte architektonische Relikte. Das ist Jerusalem! Hier gibt es so viele Schätze zu entdecken – das ist das Spannende an dieser Stadt!"
Unsichtbare Spuren in der israelischen Gesellschaft?
Während die einen so schnell wie möglich zur Normalität zurück wollen, befürchten andere, dass der Gaza-Krieg unsichtbare Spuren in der israelischen Gesellschaft hinterlassen hat – so wie Itay Mautner. Der Künstler und Friedensaktivist ist Direktor des Jerusalemer Kultursommers, einem der bekanntesten Festivals der Stadt. Das Programm mit Ausstellungen, Performances und Lesungen musste er dieses Jahr absagen. Zu groß war noch im August die Gefahr durch Raketenbeschuss von der Hamas:
"Noch vor drei Wochen waren die Straßen hier wie leergefegt, niemand traute sich in die Stadt. Seit dem Waffenstillstand ist Jerusalem wieder belebter, die Menschen besuchen Museen und Ausstellungen, die Stimmung ist gut – aber nur oberflächlich. Denn etwas hat sich in der Stadt grundlegend geändert: Die Grenze zwischen Ost- und Westjerusalem ist plötzlich wieder sehr präsent!"
Während des Gaza-Krieges habe es kaum noch Austausch zwischen Israelis und Palästinensern gegeben, berichtet Mautner – auch nicht unter den Künstlern. Gerade sie müssten sich aber dafür einsetzen, dass die Bereitschaft zum Dialog in der Stadt nicht weiter sinkt.
Gemeinsamer Auftritt am Damaskustor
Um einen solchen Dialog bemüht sich die Künstlerin Rinat Edelstein seit vielen Jahren. Auf ihrem Manofim-Festival, an dem auch in diesem Oktober wieder rund 50 Galerien und Kulturinstitute teilnehmen, zieht sie durch die Jerusalemer Stadtbezirke, um dort zeitgenössische Malerei und Video-Performances lokaler Künstler auszustellen. Sie würde gerne mit Malern aus dem Osten der Stadt zusammenarbeiten – aber das ist nicht so einfach:
"In der Malerei gibt es kaum Kontakt zwischen israelischen und palästinensischen Künstlern. Das Verhältnis ist sehr angespannt: Unsere Einladungen, am Manofim-Festival teilzunehmen, wurden von den Palästinensern immer abgelehnt. Der Grund ist: Die Künstler wollen keine Hilfe von der israelischen Stadtverwaltung annehmen, die sie als Besatzungsmacht sehen. Und viele der Kulturinstitute, die bei unserem Festival mitmachen, werden nun mal mit öffentlichen Geldern gefördert. Gemeinsame Aktionen – die gibt es eigentlich nur in der Musikszene."
Die Künstlerin Rinat Edelstein.
Die Künstlerin Rinat Edelstein.© Deutschlandradio Kultur / Philipp Eins
Tatsächlich konnte Rinat Edelstein israelische und palästinensische Musiker dazu bewegen, zur Eröffnung des Manofim-Festivals im Oktober einen gemeinsamen Auftritt am Damaskustor nördlich der Altstadt zu geben.
Und auch Itay Mautner setzt bei seinen künstlerischen Aktionen auf die Musik. Kurz nach dem Waffenstillstand Ende August ließ er das seit Langem geplante Jerusalem Sacred Music Festival stattfinden – mit Musikern auch aus muslimischen Ländern:
"Mit dem Sacred Music Festival wollten wir einen Heilungsprozess in Gang bringen. Jerusalem sollte fünf Tage lang eine offene Stadt für Menschen aus aller Welt sein – egal ob Moslems, Christen oder Juden. Und tatsächlich kamen dort ganz unterschiedliche Künstler zusammen – zum Beispiel das muslimische Orchester Chabab Al Andalous aus Marokko und der jüdische Sänger Rabbi Haim Louk. Hunderte Besucher, Moslems und Juden, waren bei dem gemeinsamen Auftritt dabei. Es war ein großer Erfolg!"
"Im Krieg ist kein Platz für Fragen"
Das Konzert war ausverkauft und wurde sogar im israelischen Fernsehen übertragen, sagt Mautner. Der Erfolg habe ihm Mut für ein nächstes Projekt gemacht: Für die Kampagne "We are here" ließ er vor wenigen Tagen Plakate in ganz Jerusalem aufhängen, auf denen sich Israelis und Palästinenser in einem säkularen Gebet gegen Gewalt aussprechen. Für ihn ist das die Aufgabe, die Künstlern in Jerusalem derzeit zukommt: die Menschen zu ermuntern, inne zu halten – und Fragen zu stellen.
"Im Krieg ist kein Platz für Fragen. Du hast eine klare Mission: dein Land zu verteidigen. In der Kunst ist es genau andersherum: Wenn du die Dinge nicht hinterfragst, kannst du nichts Interessantes erschaffen. Hier liegt die Kraft der Kunst: Räume aufzumachen für Komplexität und Vielschichtigkeit. Ich glaube, nur wo es Fragen gibt, da ist auch Hoffnung."