"Ein wunderbarer Mensch"
Hunderte waren in das Theater Tsawta in Tel Aviv gekommen, um Abschied von Amos Oz zu nehmen, der Ende Dezember gestorben war. Auf seiner Trauerfeier wurde sein Lebenswerk geehrt – ein Leben eng verknüpft mit seinem Land.
Hunderte von Israelis nahmen an der Abschiedsfeier in Tel Aviv für Amos Oz teil. Viele, die in den beiden überfüllten Säle des links-sozialistischen Theaters "Tsawta" keinen Platz fanden, verfolgten im Foyer die Trauerzeremonie.
Staatspräsident Reuven (Rubi) Rivlin, der im Saal neben der Witwe von Amos Oz saß, verbeugte sich kurz vor dem Sarg, zog eine schwarze Kopfbedeckung, eine Kippa, aus seiner Hosentasche und setze sie auf. Einige Zuhörer kicherten, woraufhin der traditionelle Rivlin spontan sagte: "Amos wäre damit einverstanden."
In seiner Trauerrede nannte Staatspräsident Reuven (Rubi) Rivlin, ein langjähriger Politiker der rechtsnationalen Likud-Partei, Amos Oz "einen wunderbaren Menschen", dessen Familien-Saga er gelesen hatte, als er noch Parlamentspräsident war.
"Eines Tages saß ich im Plenarsaal und las das Buch 'Geschichte von Liebe und Finsternis'. Ich las es, als ob es die zehn Gebote wären – vertieft in jede Zeile. Auf einmal blickte der linke Politiker Yossi Sarid über meine Schulter und sagte: 'Ich sehe, dass Du den Dostojewski des jüdischen Volkes liest.' Ich zog ihn neben mich und habe ihm einen Absatz vorgelesen, in dem Amos eine politische Versammlung des rechtsgerichteten Politikers Menachem Begin in Jerusalem beschrieb.
Als Kind hatte Amos daran mit seinem Großvater teilgenommen, aber auch viele Väter seiner Mitschüler. Dann sagte ich: 'Ich lese nicht den Dostojewski, ich lese eine Geschichte über mich. Ich selbst bin in diesem Buch. Amos schreibt über mich.' Sarid korrigierte mich daraufhin und sagte, 'Amos schreibt über uns'. Und wer hatte hier Recht? Wahrscheinlich wir beide."
Religiösen Fanatismus geächtet
Staatspräsident Rivlin ist nur vier Monate jünger als Amos Oz, der in Jerusalem nur drei Häuser weiter als er in einer konservativen Familie aufwuchs. Beide Jungs besuchten die national-religiöse Tachkemoni-Grundschule. Bereits als Kind lernte Amos, religiösen Fanatismus zu ächten, wie er 2016 erzählte:
"Meine Großmutter Shlomit, die vor fast 60 Jahren verstarb, lange vor den Auseinandersetzungen um die Heiligen Stätten in Jerusalem. Sie hatte möglicherweise die passende Lösung dafür. Als ich vier oder fünf war, erklärte mir Oma den Unterschied zwischen einem Juden und einem Christen so: 'Mein Junge, die Christen glauben, dass der Messias bereits einmal hier war und dass er eines Tages zurückkehren würde. Wir Juden hingegen glauben, dass der Messias noch nicht gekommen ist und noch kommen wird.
Über diesen Streit, mein Junge, floss so viel Blut durch Hass, Brutalität und Verfolgung. Warum können nicht alle einfach abwarten? Wenn der Messias kommen und sagen würde: 'Hallo, es ist gut euch wieder zu sehen', müssten die Juden konvertieren oder sich bei den Christen zumindest entschuldigen. Wenn andererseits der Messias sagen würde: 'Wie geht’s ihnen? Es ist nett euch kennenzulernen', würde die gesamte christliche Welt jüdisch werden müssen oder sich zumindest bei den Juden entschuldigen'."
Mit 14 Jahren verließ er Jerusalem
Nach dem Selbstmord seiner Mutter verließ Amos Klausner, so sein Geburtsname, mit 14 Jahren Jerusalem, zog in den Kibbutz Hulda und änderte seinen Familiennamen in "Oz", das auf Hebräisch "Kraft" bedeutet.
In dem neuen Buch "Was ist ein Apfel?", das in Israel gerade erschienen ist, erklärte er diesen neuen Namen.
"Vielleicht merkte ich, dass mir Kraft für den Umzug am meisten fehlte. Der Name Oz war ein wenig Wunschdenken und außerdem wollte ich nicht der Professorenfamilie angehören. Mein Vater litt darunter sehr, denn ich war damals Einzelsohn. Im Kibbutz nannte man mich 'Oz', noch bevor ich den Namen mit 16 offiziell änderte, aber dennoch fand man heraus, dass ich aus einer rechtsgerichteten Familie stammte und manche hielten mich daher für einen Spion."
Amos Oz verkörperte in seinem Leben und Wirken die Geschichte Israels: Als Kind erlebte er die Staatsgründung 1948, als Reservesoldat kämpfte er 1967 und 1973. Als Friedensaktivist gehörte er 1977 zu den Gründern der Friedensbewegung Schalom Achschaw (Frieden jetzt) und beteiligte sich 2003 am Entwurf eines Friedensabkommens im Rahmen der israelisch-palästinensischen "Genfer Initiative".
Kurz nach Ende des Sechs-Tage-Kriegs von 1967 organisierte der damals junge Schriftsteller Gespräche mit Uniformierten aus den Kibbutzim. Er sagte damals:
"Plötzlich war ich dort der Sieger, der Eroberer mit der Uzi-Maschinenpistole. Die Menschen in der Altstadt von Jerusalem hatten Angst vor mir. Ich stand an der Klagemauer und war bewegt, denn sie war für mich ein wichtiges jüdisches Symbol. Dennoch fühlte ich mich als Fremder in einem fremden Land."
Sein letzter Wunsch blieb unerfüllt
Denn die Bewohner der offiziell "befreiten" Altstadt von Jerusalem waren alle Araber.
1982 unternahm Amos Oz eine Reise durch Israel. Seine Begegnungen veröffentlichte er in dem Buch "In the Land of Israel". Er besuchte auch die Siedlung Tekoa südlich von Bethlehem, woher nach der Überlieferung der Prophet Amos stammte. Dort kam er mit Dani, einem 22-jährigen Siedler, ins Gespräch.
Oz: "Dani, glaubst Du, dass dieser Ort uns gehört?"
Dani: "Ja. Aber Du weißt, dass die Araber das anders sehen."
Oz: "Wer hat Recht? Wir oder die Araber?"
Dani: "Wir und sie. Aber ich glaube, wir etwas mehr."
Oz: "Und stört es dich nicht auf einem Stück Land zu wohnen, das vielleicht von Arabern konfisziert wurde?"
Dani: "Schau mal, wie leer es hier ist. Es gibt genug Platz."
Oz: "Und was würdest Du tun, wenn die Siedlung geräumt wird?"
Dani: "Ich würde gehen. Aber das wird Unruhen auslösen."
Oz: "Lohnt sich ein Krieg wegen der Siedlungen?"
Dani: "Bisher war der Grund aller Kriege, weil die Araber Israel vernichten wollten, nicht wegen der Siedlungen. Wenn diese Siedlung einen Krieg auslösen könnte, hätte ich damit ein Problem."
Dani: "Ja. Aber Du weißt, dass die Araber das anders sehen."
Oz: "Wer hat Recht? Wir oder die Araber?"
Dani: "Wir und sie. Aber ich glaube, wir etwas mehr."
Oz: "Und stört es dich nicht auf einem Stück Land zu wohnen, das vielleicht von Arabern konfisziert wurde?"
Dani: "Schau mal, wie leer es hier ist. Es gibt genug Platz."
Oz: "Und was würdest Du tun, wenn die Siedlung geräumt wird?"
Dani: "Ich würde gehen. Aber das wird Unruhen auslösen."
Oz: "Lohnt sich ein Krieg wegen der Siedlungen?"
Dani: "Bisher war der Grund aller Kriege, weil die Araber Israel vernichten wollten, nicht wegen der Siedlungen. Wenn diese Siedlung einen Krieg auslösen könnte, hätte ich damit ein Problem."
An seinem Lebensabend war Amos Oz weltbekannt
Amos Oz suchte zuletzt 2002 durch sein Buch "Wie man Fanatiker kuriert" die gemäßigten jüdischen Siedler umzustimmen, wie er in seinem letzten Buch erzählte:
"Ich wandte mich in diesem Buch weitgehend an die national-religiösen Leser, weil ich das Gefühl habe, die nächsten Schriftsteller und moderne Denker würden von diesen Siedlern kommen. Die nicht wenigen Briefe, die ich von Siedlern und Siedlerinnen bekomme, beweisen, dass sie mir zuhören."
An seinem Lebensabend war Amos Oz weltbekannt. Er blieb dennoch sehr bescheiden, vor allem was seinen Einfluss als moralische Instanz betrifft, wie er in seinem letzten Buch sagte.
"Einige Premierminister luden mich zu Gesprächen ein und fragten, 'Wo haben wir uns geirrt?' und 'Was sollen wir nun tun?'. Sie alle sagten: 'Du liegst zwar ganz falsch, aber deine Formulierungen sind toll!' Ich möchte nur einmal erleben, dass mir ein israelischer Premier sagen würde: 'Amos Oz, Du bist ein schlechter Redner, Du schreibst wirklich beschissen, aber Du hast Recht, in dem was Du sagst.' Nur das möchte ich noch hören, bevor ich diese Welt verlasse."
Seinen letzten Wunsch erlebte Amos Oz nicht mehr. Er wurde im Kibbutz Hulda beigesetzt, wo er 35 Jahre gelebt hatte. Seine Beisetzung wurde lediglich musikalisch umrahmt und endete mit dem israelischen Lied "Nacht in Galiläa" (komponiert in Oz' Geburtsjahr 1939), die die Witwe Nili auf der Flöte spielte.