Mehr als Schläfenlocken und barfüßige Palästinenser
Klischees und reißerische Texte: Deutsche Medien stellen den Alltag in Israel oft verzerrt dar, sagt die Journalistin Gisela Dachs. Dies habe auch mit dem gestiegenen wirtschaftlichen Druck auf die Medienhäuser zu tun, sagt sie.
Dezember 2017: Auf deutschen Straßen werden Israelfahnen verbrannt. Videoaufnahmen zeigen, wie arabische Gruppen ihrem Hass auf Israel freien Lauf lassen, und auf Trumps Entscheidung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen.
Kaum ein Konflikt zieht so schnell so heftige Reaktionen nach sich, wie der zwischen Israelis und Palästinensern. Eine Herausforderung für all jene, die darüber berichten, sagt Gisela Dachs. Die deutsche Journalistin, Autorin und Hochschuldozentin berichtet seit 1994 aus dem Nahen Osten, darunter lange für die Wochenzeitung "Die Zeit".
Ein Foto als "Medientrophäe"
Im Laufe der Jahre hat sie erlebt, welche Kraft Bilder haben. Die von Muhammed al-Durrah aus dem Jahr 2000 zum Beispiel: Ein kleiner Junge kauert an einer Wand hinter seinem Vater auf dem Boden. Es wird geschossen, eine Rauchwolke ist zu sehen. Dann sinkt der Junge zusammen. Dachs dazu:
"Bis heute ist nicht klar, ob er von israelischen Kugeln wirklich getroffen worden war, oder ob er ins Kreuzfeuer geriet und andere Kugeln schuldig waren, die den Jungen getötet hatten. Aber bei der Wirkung des Bildes hat es längst keine Rolle mehr gespielt. Denn dieses Bild von diesem Jungen wurde wirklich zu einer Medientrophäe, das sah man auf Briefmarken in Ägypten, das sah man auf unzähligen Graffitis in der arabischen Welt, und es war auch im Hintergrund sichtbar, als der jüdisch-amerikanische Journalist Daniel Pearl 2002 von Al Kaida enthauptet wurde.
Daran sieht man, was so ein Bild für eine Sprengkraft entwickeln kann, wie es eingesetzt werden kann. Deshalb: Die Verantwortung von Journalisten vor Ort halte ich schon noch mal für größer als woanders."
Gisela Dachs hat in Paris Philosophie und Literaturwissenschaften studiert und an der Universität Tel Aviv im Fach Kommunikationswissenschaft promoviert. Sie untersuchte die Mediennutzung von verschiedenen Einwanderern in Israel. Heute lehrt sie auch am DAAD Zentrum für Deutschlandstudien an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Zu ihren Themen zählen das Verhältnis von Europa und Israel sowie die Entwicklungen der deutschen Medienlandschaft.
Normale Bilder sind Mangelware
Ein realitätsgetreues Bild von Israel wollte sie selbst vermitteln, als sie 2016 den "Länderbericht Israel" bei der Bundeszentrale für politische Bildung herausgab. Die Suche nach Fotos für den Band gestaltete sich allerdings schwierig:
"Ich hab dann gesagt: Gut, das kann ja wohl nicht so schwer sein, dann suchen wir Bilder. Und hab dann erst gemerkt, wie schwierig es ist, in dem gesamten Fundus an Bildern über Israel, einschließlich der Agenturen, auch das, was man ansonsten einfach googeln kann, in diesem Fundus einfach wirklich normale Bilder zu bekommen: Bilder, die wirklich Alltagsszene in Israel darstellen, die nicht den ultraorthodoxen Juden, den Soldaten, oder eben dann den Siedler zeigen, oder den barfuß laufenden Palästinensern, was tatsächlich den Eindruck vermittelt, als wäre in Israel alles ganz anders."
Am Ende, nach langer Suche, hat Gisela Dachs sie dann doch gefunden, die Bilder, die Cafés mit säkularen Israelis ohne Kippa zeigen, Araberinnen ohne Kopftuch, Markzszenen, Graffitis in Tel Aviv, Feierlustige und Demonstranten, französische Boule-Spieler in Netanja, eine Surferin und eine Familie beim Schabbat-Essen.
Reißerische Texte verzerren das Bild
Aber eben auch Siedler, Religiöse und Soldaten sind in dem Buch zu sehen. Auch sie gehörten schließlich zum Israelbild. Gisela Dachs kritisiert, dass ansonsten aber kaum etwas anderes gezeigt wird. Sie ist überzeugt, dass die Medienkrise die Berichterstattung beeinflusst und das Bild so verzerrt:
"Ganz oft passiert wirklich, dass in den Titeln, in den Titelunterschriften, bei Bild und bei Bildunterschriften ein Dreh reinkommt, was sich eigentlich mit dem Text gar nicht deckt. Aber das ist, was den Leuten dann oft bleibt. Man schaut eigentlich nur die Überschrift an, wie oft macht man das. Und da muss man die Frage stellen, wie weit wollen jetzt Medien ihr 'mehr denn je'. Die Medienkrise spielt auch eine Rolle, Texte zu verkaufen. Ich meine, man kann auch sagen: Ist langweilig, wer liest das noch. Also man muss reißerische Titel machen, damit man die Texte verkauft."
Wie ein reißerischer Titel aussehen kann, zeigte kürzlich das Online-Magazin "Bento": "Israel sucht Freiwillige, die Jagd auf Flüchtlinge machen", stand über einem Text, in dem es um Israels Umgang mit afrikanischen Flüchtlingen ging. Von einer geplanten Bürgerwehr war die Rede. Einige Tage später machte Tagesschau.de den Faktencheck und titelte "Keine Prämien für ‚Jagd auf Flüchtlinge‘". Die Recherchen brachten ans Licht, dass Israel eine Stellenausschreibung veröffentlicht hatte und Migrations-Inspektoren mit Arbeitserfahrung suchte, die für ihre Arbeit bezahlt werden sollten. Keine Bürgerwehr, keine Jagd, keine Prämie. Bento änderte später Text und Titel und verwies im Korrekturhinweis unter dem Text darauf, dass auch die israelischen Zeitungen darüber berichtet hatten.
Korrespondenten greifen lokale Berichterstattung auf
Gisela Dachs kennt das Phänomen: Kritische Berichterstattung, die – sofern korrekt – auch erwünscht sei, basiere auf kritischer Berichterstattung lokaler Journalisten.
"Auslandskorrespondenten in Israel schaffen in der Regel keine eigenen Scoops. Das sind keine eigenen Rechercheleistungen. Das heißt: Sie übernehmen, was eine freie Gesellschaft bereits nach oben spült, oder was Journalisten hier bereits gefunden haben. Bei dem Argument zu sagen: Man hat es aber nebenan mit Gesellschaften zu tun, wo es diese Medien so nicht gibt. Und dann stellt sich die Frage, was ist dann da die Aufgabe? Soll man dann hier nur die Gesellschaft widerspiegeln? Oder soll man da auch kritisch rangehen? Macht man es nicht, weil man an die Informationen nicht rankommt? Weil es gefährlich ist, an die Infos ranzukommen? Also sich im Gazastreifen mit der Hamas auseinanderzusetzen, ist keine einfache Geschichte. Oder macht man es nicht, weil man sowieso sagt: Naja, die sind sowieso so, wie sie sind, braucht man ja gar nicht groß hier Ansprüche stellen?"
Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind. Den Palästinensern auf Augenhöhe begegnen, sie als Akteure und Politiker wahrnehmen, dafür plädiert Gisela Dachs.
In Zeiten von steigendem Antisemitismus in Europa scheint es wichtiger denn je, stärker darüber nachzudenken.