Von Visionen keine Spur
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Den "größten Deal aller Zeiten": Das hatte Donald Trump beim Amtsantritt Israelis und Palästinensern versprochen. Aber anstatt für Frieden sorgt der US-Präsident für Unruhe – etwa mit der Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels.
Washington. Weißes Haus, 6. Dezember 2017. US-Präsident Donald Trump kündigt an, die Botschaft der Vereinigten Staaten in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen:
"Ich habe festgelegt, dass es an der Zeit ist, Jerusalem offiziell als Hauptstadt von Israel anzuerkennen. Israel ist eine souveräne Nation, und sie kann wie jede andere Nation ihre Hauptstadt bestimmen. Dies anzuerkennen, ist eine notwendige Bedingung, um Frieden zu erreichen."
Donald Trump spricht etwas mehr als elf Minuten lang. Das Wort "Frieden" benutzt er 14 Mal. Frieden zwischen Israelis und Palästinensern. Das ist für Trump der ultimative Deal. 70 Jahre nach Israels Staatsgründung ist dieser Frieden unerreicht. Mehrere US-Regierungen sind mit ihren Vermittlungsversuchen gescheitert. Donald Trump hat mehrfach versprochen: Er und sein Team würden das hinkriegen.
"And we will get it done."
Trumps Nahost-Bilanz ernüchternd
Doch rund zwei Jahre nach seinem Amtsantritt ist Trumps Nahost-Bilanz ernüchternd. Der damals vom US-Präsidenten angekündigte Friedensplan wurde immer noch nicht vorgelegt. Bei den Palästinensern blitzt Donald Trump im Moment ohnehin ab. Präsident Machmud Abbas hat den Kontakt zur US-Regierung abgebrochen. Ein einmaliger Vorgang - und eine Folge der Jerusalem-Entscheidung. Denn der US-Präsident kündigte an jenem Tag im Dezember 2017 einen jahrzehntealten Konsens der internationalen Gemeinschaft auf.
Fast alle Länder – auch Deutschland - erkennen Jerusalem als Hauptstadt von Israel nicht an und lassen ihre Botschaften in Tel Aviv. Sie fordern, dass sich Israelis und Palästinenser zunächst über den Status der Stadt einigen. Eine Stadt, die beide Seiten ganz oder in Teilen beanspruchen. Aber: kann es ohne eine Einigung zu Jerusalem überhaupt Frieden geben?
Zac Waller sagt: Dass Trump die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt habe, sei eine große Sache. Damit habe er sich dem Plan Gottes nicht in den Weg gestellt. Waller ist Musiker, US-Amerikaner und evangelikaler Christ. Er sitzt mit seiner Gitarre im Arm in einer kleinen Hütte auf einem Berg im Zentrum des von Israel besetzten Westjordanlandes. Hinter ihm verläuft der Zaun der israelischen Siedlung Har Bracha. Etwa einen Kilometer entfernt ist ein Vorort der palästinensischen Großstadt Nablus zu sehen.
Zac Waller hat lange Haare, trägt einen langen Bart und eine Schirmmütze. Seit 14 Jahren lebt er mit seiner Familie inmitten von jüdischen Siedlern in Har Bracha. Die Wallers glauben, dass sie Gottes Willen erfüllen, wenn sie als Christen den jüdischen Siedlern in der Landwirtschaft helfen. Laut Völkerrecht sind die Siedlungen illegal, weil sie auf besetztem Gebiet liegen. Doch für den US-Amerikaner Zac Waller ist es das Land, das Gott den Juden versprochen hat:
"Der Berg dahinten, das ist Elon Moreh. In der Bibel steht, wie Abraham seine Heimat verließ. Er kam in dieses Land, das Gott ihm zeigte. Er stieg auf den Berg, und Gott sagte: Das ist das Land, das ich dir und deinen Nachfahren gebe. Für immer. Manche Leute nennen diese Gegend 'Westjordanland'. In der Bibel heißt sie Judäa und Samaria. Das hier ist das Herzstück von Israel."
Nähe zu Evangelikalen beeinflusst Trump
Für Zac Waller bedeutet die Heilige Schrift mehr als das Völkerrecht. Waller und seine Familie stammen aus den Südstaaten der USA. Dort leben viele der etwa 100 Millionen evangelikalen Christen des Landes. Die meisten von ihnen haben bei den Präsidentschaftswahlen für Donald Trump gestimmt. Und für dessen evangelikalen Vizepräsidenten Mike Pence. Die große Nähe der US-Regierung zu den Evangelikalen ist nicht der einzige Grund für Trumps Nahostpolitik. Aber sie sei ein wichtiger Faktor, meint Zac Waller, denn ein pro-israelischer US-Präsident komme gut an bei den Evangelikalen:
"Ja, ich glaube, dass wir das Handeln der US-Regierung beeinflussen. Trump wurde ja gewählt, weil viele Evangelikale gesagt haben: Wir müssen was tun. Unserem Land geht es nicht gut. Und Trump weiß: Wenn er sich mit den Evangelikalen nicht gutstellt, dann wird er nicht wiedergewählt."
Im früheren britischen Mandatsgebiet Palästina – also zwischen dem Mittelmeer und dem Jordantal - leben heute etwa 6,5 Millionen Juden und 6,5 Millionen Araber. Die Vereinten Nationen fordern, dass die Palästinenser einen eigenen Staat bekommen – so wie die Israelis.
Eine Zwei-Staaten-Lösung also. Auch das war bisher in der Staatengemeinschaft Konsens. Doch Donald Trump sieht das nicht so eng. So etwa Anfang 2017 im Weißen Haus:
"Ich schaue mir eine Zwei-Staaten-Lösung an und eine Ein-Staaten-Lösung. Und ich mag das, was beide Seiten mögen. Ich kann mit beidem leben."
Gewalt im Gazastreifen nimmt zu
Neben Trump stand Benjamin Netanjahu. Der israelische Ministerpräsident hatte ein Lächeln im Gesicht. Dass ein US-Präsident die Zwei-Staaten-Lösung in Frage stellt, war in den vergangenen 25 Jahren unter Trumps Vorgängern undenkbar. Netanjahu und seine rechtsnationale Regierung lehnen einen palästinensischen Staat in den Grenzen ab, die vor dem Sechstagekrieg 1967 bestanden – also im Westjordanland, dem Gazastreifen und in Ost-Jerusalem. Volle Souveränität sollen die Palästinenser nach Ansicht von Netanjahu ohnehin nicht bekommen. Er argumentiert mit Israels Sicherheit – so auch beim Besuch im Weißen Haus Anfang 2017:
"In jedem Friedensvertrag muss Israel die Sicherheit im gesamten Westjordanland kontrollieren. Wenn wir das nicht tun, wissen wir, was geschieht. Wir bekommen einen weiteren radikal-islamischen Terrorstaat. Dann explodiert der Frieden, dann explodiert der Nahe Osten."
Wie ein palästinensischer Staat unter diesen Voraussetzungen aussehen könnte, lässt Netanjahu bislang offen. Eine Vision, wie Juden und Araber zwischen Mittelmeer und Jordan leben sollen – gemeinsam oder getrennt - hat er ebenfalls nicht formuliert. Auch Donald Trump hat das bisher nicht getan.
Wenn es um den Nahen Osten geht, fällt häufig das Wort "Friedensprozess". Zur Wahrheit gehört, dass es diesen Friedensprozess nicht mehr gibt. Die letzten Verhandlungen zwischen Netanjahu und dem palästinensischen Präsidenten Abbas liegen elf Jahre zurück. Und seit Donald Trumps Jerusalem-Entscheidung vor einem Jahr hat die Gewalt im Nahen Osten massiv zugenommen. Am Grenzzaun zwischen Israel und dem Gazastreifen kommt es immer wieder zu schweren Zusammenstößen zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten. Sogar ein Krieg drohte.
Saeb Erekat: "I am feeling well. I run seven kilometers every day. I have a new lung. A new heart."
Er fühle sich gut, sagt Saeb Erekat er laufe jeden Tag sieben Kilometer. Für einen Mann mit dieser Krankenakte sieht er ziemlich gesund aus. Seit 25 Jahren ist Saeb Erekat Chefunterhändler der Palästinenser. Vor einem Jahr hat er eine neue Lunge bekommen. Er sitzt in einem schweren Ledersessel in seinem Büro in Ramallah. Hinter ihm an der Wand hängt ein großes Foto der Altstadt von Jerusalem.
"Ich bin dem Tod von der Schippe gesprungen. Eine Lungentransplantation und eine OP am offenen Herzen an nur einem Tag – das ist keine einfache Sache. Auf dem Weg in den Operationssaal fühlte ich große Traurigkeit. Dass ich vielleicht gehen muss, ohne das zu erreichen, wonach ich mein Leben lang strebe. Ich habe nur eine Sache auf meiner Agenda: Ich möchte Frieden schließen."
Saeb Erekat hat in den USA studiert. Dort ließ er sich auch operieren. Aber von der Regierung der Vereinigten Staaten hat er genug, sagt er. Von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, der den vom US-Präsidenten angekündigten Friedensplan mit entwickeln soll. Und vor allem von Donald Trump.
"Der frühere US-Präsident Theodor Roosevelt hat einmal gesagt: Das Weiße Haus ist ein Gebäude von internationaler Moral. Und das stimmt. Weil die Macht mit einer großen Verantwortung einhergeht. Aber das Weiße Haus braucht gestandene Staatsmänner. Und nicht Immobilienmakler wie Trump."
Vertretung der Palästinenser in Washington geschlossen
Das Verhältnis zwischen der US-Regierung und der Führung der Palästinenser in Ramallah ist auf dem Tiefpunkt. Die Palästinenser weigern sich nach der Jerusalem-Entscheidung, mit Trump und seinem Team auch nur zu reden. Die USA wiederum haben harte Sanktionen gegen die Palästinenser verhängt, angeblich, weil diese den Kontakt abgebrochen haben. Die Vertretung der Palästinenser in Washington wurde geschlossen. Gelder der USA an das UN-Hilfswerk für die Palästinenser wurden gestrichen. Saeb Erekat hat vor der Amtsübernahme durch Trump mit den US-Regierungen von vier Präsidenten verhandelt: George Bush senior, Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama.
"Die Grundhaltung war immer: Zwei Staaten entlang der Grenzen von 1967, ein Tausch von Gebieten, wo diese Grenze nicht eingehalten werden kann. Verhandlungen über die Frage von palästinensischen Flüchtlingen und Wasserressourcen. Dann kam die Trump-Regierung. Ich habe diese Leute 37 Mal getroffen. Jedes Mal haben sie sich geweigert, zu sagen: Wir wollen zwei Staaten entlang der Grenze von 1967. Jedes Mal haben sie sich geweigert, zu sagen: Israelische Siedlungen sind illegal und stehen dem Frieden im Weg. Es ist ganz klar: Diese Menschen haben sich disqualifiziert, irgendeine Rolle im Friedensprozess zu spielen."
Überdeutlich– so sieht es Erekat – habe sich Trump auf die Seite der Israelis geschlagen. Doch die Führung der palästinensischen Autonomiebehörde spielt aktuell eben auch keine tragende Rolle mehr. Der palästinensische Präsident Machmud Abbas genießt in der palästinensischen Bevölkerung nur noch wenig Rückhalt. Er ist mittlerweile 83 Jahre alt, gesundheitlich angeschlagen und weigert sich, den Weg freizumachen für einen Nachfolger. Die letzten Wahlen liegen zwölf Jahre zurück. Und dann sind da noch die zwei Millionen Palästinenser im Gazastreifen. Sie werden von der islamistischen Hamas regiert – und nicht von der rivalisierenden Fatah-Partei von Abbas. Versuche, den Machtkampf zwischen der Hamas und der Fatah zu beenden, sind mehrfach gescheitert. Das macht den Nahost-Konflikt noch komplizierter.
Ein Einkaufszentrum in Ramallah. Die Stadt nördlich von Jerusalem war einst ein Dorf. In den vergangenen Jahrzehnten hat sie sich zu einer De-facto-Hauptstadt der Palästinenser entwickelt. Was ein Mann wie Saeb Erekat niemals laut zugeben würde. Denn zur Hauptstadt eines palästinensischen Staates soll einmal Ost-Jerusalem werden, das Israel annektiert hat.
In einem Café rauchen Männer Wasserpfeife. An einem anderen Tisch sitzen zwei Palästinenserinnen. Was halten sie von Donald Trump? Eine der Frauen antwortet:
"Oh mein Gott. Der Mann ist der schlimmste Albtraum, den es je gab. Er ist ein schlechter Mann. Für die Palästinenser ist er ein Erzfeind. Und ich glaube, wir werden wegen ihm viele Katastrophen erleben."
Die Frau ist Mitte 30 und arbeitet als Angestellte in Ramallah. Würde sie eine Zwei-Staaten-Lösung akzeptieren? Dieses Modell würde ihr, der Palästinenserin, einen eigenen Staat geben. Der an der Seite des jüdischen Staates Israel existieren würde.
"Nun ja, politisch könnte das klappen. Wir könnten das eine Weile so machen. Aber eines Tages wird es ein Heimatland sein. Nur für die Palästinenser. Weil es nun einmal das palästinensische Land ist. Die Israelis sind aus der ganzen Welt hier hergekommen. Also werden sie zurückgehen müssen. Weil es nicht ihre Heimat ist, sondern unsere."
Das Existenzrecht Israels erkennt diese Palästinenserin also nicht an. Sie spricht den Juden ihre historische Verbindung zum Land ab. Eine extreme Meinung, die laut Umfragen in der palästinensischen Bevölkerung keine Mehrheit hat. Auch Saeb Erekat, der Chefunterhändler, teilt die Meinung der Frau nicht.
Jüngere Palästinenser – wie die Frau Mitte 30 im Einkaufszentrum - sind mit dem Versprechen auf einen eigenen Staat aufgewachsen. Mit dem Versprechen der Verträge von Oslo, die vor 25 Jahren unterzeichnet wurden. Ein Versprechen, das sich bisher nicht erfüllt hat. Der Frust darüber stärkt die Extremen.
Und trotzdem: Laut einer aktuellen Umfrage des palästinensischen PSR-Instituts – das von der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt wurde – sprechen sich 47 Prozent der Palästinenser weiterhin für eine Zwei-Staaten-Lösung aus. Also für einen palästinensischen Staat an der Seite Israels. Auch die Hälfte der israelischen Bevölkerung favorisiert nach wie vor dieses Modell.
Zustimmung für Zwei-Staaten-Lösung – nicht überall
Sondra Baras fährt in die israelische Siedlung Itamar im besetzten Westjordanland. Die streng-religiöse Jüdin stammt ursprünglich aus den USA. Sie leitet einen Verein, der Christen aus den USA und israelische Siedler zusammenbringen will. Gleich will Baras einen Bibelvortrag vor einer Touristengruppe halten. Zuerst aber muss die Israelin den Kontrollposten am Eingang zur Siedlung passieren. Dort stehen schwer bewaffnete Wachmänner mit langen Bärten und Holzfällerhemden.
Nach ein paar Minuten hat Sondra Baras die eigentliche Siedlung verlassen. Sie fährt einen steilen Berg hinauf. Am Straßenrand stehen Wohnwagen und Hühnerställe. Dies sind die Außenposten von Itamar. Und die sind sogar nach israelischem Recht illegal, sagt Sondra Baras:
"Streng genommen ist das meiste hier nicht legal. Aber bei all dem drückt die israelische Regierung, nun ja, ein Auge zu. Die Bewohner haben Stromleitungen bekommen, die Armee ist hier, um sie zu beschützen. Das ist kein Ort, wo die Regierung jemals eine Räumung angestrebt hat."
Viele der israelischen Siedlungen im Westjordanland sind nach dem gleichen Muster entstanden. Erst kommen einfache Wohnwagen. Dann kommt die israelische Armee. Später Wasser- und Stromleitungen. Häuser. Und schließlich, das ist die Hoffnung der Siedler, wird der Ort von Israel offiziell anerkannt. Sondra Baras findet das gut so. Sie lebt in einer anderen Siedlung, nicht weit von hier, seit 34 Jahren.
US-Botschafter unterstützt Israels Siedlungspolitik
Geht es nach Baras, soll die israelische Regierung die Siedlungen in den kommenden Jahren kräftig ausbauen. Früher riskierte Israel bei diesem Vorhaben Spannungen mit der US-Regierung. Doch Donald Trump hält sich mit öffentlicher Kritik zurück. Trumps Botschafter in Jerusalem ist der Geschäftsmann David Friedman. Ein erklärter Anhänger von israelischen Siedlungen im Westjordanland, die er auch finanziell unterstützte.
Sondra Baras: "Wir haben eine sehr positive Einstellung zu Trump. Na klar, er ist etwas stürmisch und verrückt. Aber wenn ich mir seine Politik und seine Aussagen anschaue, dann steht er ohne Zweifel auf der Seite von Israel. Und das ist eine Gelegenheit, die wir nicht verpassen dürfen."
Etwas später steht Sondra Baras auf einem Berg oberhalb der Siedlung Itamar. Ein kalter Wind weht über den Gipfel. Baras hält eine wuchtige Bibel in der Hand. Vor ihr steht eine christliche Besuchergruppe aus Malaysia. Sondra Baras hat die gleiche Haltung wie der evangelikale Christ Zac Waller aus der Siedlung Har Bracha: In der Bibel stehe, dass Gott dieses Land den Juden versprochen hat. Und deshalb gehöre dieses Land den Juden und damit dem Staat Israel. Das Völkerrecht erkennt auch sie nicht an.
"Ich sage Ihnen, was wir wollen. Das Land Israel gehört uns. Wir sollten das ganze Land kontrollieren. Punkt. Ich will gleiche Rechte für die Palästinenser. Sie sollen ein gutes Leben haben. Aber das hier muss ein jüdischer Staat sein. Das hier gehört alles uns."
Was passiert bei einer Ein-Staaten-Lösung?
Sondra Baras, die jüdische Siedlerin aus dem Westjordanland, fordert eine Ein-Staaten-Lösung. Einen jüdischen Staat. Das Westjordanland soll Israel annektieren. Aber: Bekämen in diesem Modell die Palästinenser tatsächlich die israelische Staatsbürgerschaft? Könnten sie zum Beispiel an Wahlen für das israelische Parlament teilnehmen?
"Ich weiß nicht. Wir müssten uns das anschauen. Wir dürfen ihnen dieses Recht nur Schritt für Schritt einräumen. Ich kann Ihnen aber sagen, dass es ein Recht gibt, das die Palästinenser niemals haben werden: Ein Recht zurückzukehren. Nur Juden, egal wo sie leben, haben das Recht, nach Israel zu kommen und die Staatsbürgerschaft zu erhalten. Israel ist ein jüdischer Staat. Also müssen wir die Einwanderung einschränken."
Würde Sondra Baras ihre knallharte Meinung dem Chefunterhändler der Palästinenser präsentieren, würde er den Raum wohl bereits nach wenigen Sekunden verlassen.
"Schauen Sie. Mein Präsident kann Ramallah nicht verlassen, ohne vorher die Genehmigung des israelischen Armeekommandeurs in der Siedlung Beit El einzuholen. Ich hätte heute nicht von Jericho nach Ramallah kommen können, um sie zu treffen, wenn die Israelis mir das nicht gestattet hätten. Wir leben unter Besatzung. Menschen wie Benjamin Netanjahu wollen die Zwei-Staaten-Lösung zerstören. Er glaubt, dass es einen Staat mit zwei Systemen geben kann. Aber das ist Apartheid. Und das ist nicht tragfähig", sagt Saeb Erekat.
Über 400.000 israelische Siedler leben mittlerweile im Westjordanland. In über 200 Siedlungen und Außenposten. Manche sagen: Der Siedlungsbau ist so weit fortgeschritten, dass im Westjordanland gar kein palästinensischer Staat mehr entstehen kann. Doch Saeb Erekat, der auf dem Weg zum möglichen Frieden schon mehrfach scheiterte, bleibt optimistisch.
"Die Israelis sind doch nicht blöd. Was sollen sie mit mir und den anderen Palästinensern machen? Wenn es nicht in einem Jahr geschieht, oder in zwei, dann wird es in zehn oder 50 Jahren geschehen. Israelis und Palästinenser werden sich auf eine Zwei-Staaten-Lösung einigen."
Netanjahu konzentriert sich auf Israels Erzfeind Iran
Die Wörter "Ein- oder Zwei-Staaten-Lösung" nimmt der israelische Premierminister gar nicht in den Mund. Wenn Netanjahu vor den Vereinten Nationen spricht, konzentriert er sich auf Israels Erzfeind: Iran. Und erwähnt die Palästinenser nur am Rande. Im Gegensatz zu Premierministern wie Jitzhak Rabin oder Ehud Olmert hat sich Benjamin Netanjahu nie an einem großen Wurf versucht: Nämlich an einem Friedensvertrag mit den Palästinensern. Seiner Popularität hat das nicht geschadet. Im Gegenteil. Netanjahu ist neben dem Staatsgründer David Ben Gurion der Ministerpräsident mit der längsten Amtszeit in der Geschichte von Israel.
Ein Café im Zentrum von West-Jerusalem. Michael Oren liebt diese Stadt. Dass Donald Trump vor einem Jahr die US-Botschaft nach Jerusalem verlegt hat, hat er gefeiert. Auch Oren stammt ursprünglich aus den USA und war jahrelang der israelische Botschafter in Washington. Heute ist er Vizeminister im Büro von Benjamin Netanjahu. Michael Oren bestreitet nicht, dass ein Friedensabkommen mit den Palästinensern für Israel aktuell keine Priorität hat:
"Unsere Umfragen zeigen: Die wichtigste Sache für die Israelis ist Sicherheit. Unsere Bürger verlangen Schutz vor der Hamas und vor Terroranschlägen. Wichtig sind den Israelis auch niedrige Lebenshaltungskosten. Der Punkt, der den Israelis am wenigsten bedeutet: Das ist der Friedensprozess mit den Palästinensern. Gerade einmal vier Prozent der Israelis sagen, dass ihnen diese Sache ein zentrales Anliegen ist."
Junge Israelis erinnern sich nicht an Verträge von Oslo
Es gibt Beobachter, die sagen: Die Israelis hätten die Palästinenser vergessen. Sie hätten sich mit dem Konflikt arrangiert. Die Zahl der Terroranschläge ist zurückgegangen. Die Wirtschaft wächst. Israel – so kann man es sehen – hat also gar keinen Anreiz, die Besatzung des Westjordanlandes zu beenden, um Frieden mit den Palästinensern zu schließen. Michael Oren weist diese Sichtweise zurück:
"In Israel leben so viele junge Menschen wie in keinem anderen industrialisierten Land. Unsere jungen Leute erinnern sich nicht an die Verträge von Oslo vor 25 Jahren. Aber sie erinnern sich, wie sich Israel aus dem Libanon zurückgezogen hat, im Jahr 2000. Sie erinnern sich, wie sich Israel aus dem Gazastreifen zurückgezogen hat im Jahr 2005. Beide Rückzüge sollten dem Frieden dienen. Den haben wir aber nicht bekommen. Wir bekamen tausende Raketen, die auf Israel geschossen wurden. Wenn Sie also heute diesen jungen Israelis sagen: 'Israel sollte weiteres Land aufgeben, um Frieden zu erreichen!' - Die halten sie für verrückt."
Tel Aviv im Oktober. Ein großer Abend für das israelische Institut für nationale Sicherheitsstudien, INSS. Die Einrichtung steht politisch eher links von Israels rechtsnationaler Regierung. Viele der Forscher hatten früher hochrangige Posten in Israels Armee. Nach zwei Jahren Vorbereitung liefert das INSS das, was die US-Regierung von Donald Trump der Welt bisher schuldig geblieben ist: Einen Plan für eine mögliche Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern.
Demokratie in Israel bedroht?
Auf dem Podium steht Amos Yadlin, der Direktor des Forschungsinstitutes und der frühere Chef des israelischen Militärgeheimdienstes:
"In meinen 40 Jahren bei der Armee habe ich mein Bestes gegeben, diesen Staat zu beschützen. Eine existenzielle Bedrohung sind die iranischen Ambitionen auf eine Atomwaffe. Und ich kann ganz klar sagen: Israel hat eine Strategie, mit dieser Bedrohung umzugehen. Es gibt aber noch eine weitere Bedrohung in Bezug auf die Palästinenser. Israels DNA ist bedroht. Ein jüdischer und demokratischer Staat zu sein. Und hier hat Israel keine Strategie. Die israelische Politik nimmt diese Bedrohung nicht ernst."
Ohne einen palästinensischen Staat wird eine Ein-Staaten-Lösung wahrscheinlicher. Israel könnte dann allen Palästinensern die israelischen Staatsbürgerschaft gewähren. Das Dilemma: Es gäbe dann keine oder nur noch eine kleine jüdische Mehrheit – und das in einem Staat, der den Anspruch hat, jüdisch zu sein. Die Alternative: Israel verwehrt den Palästinensern bei einer Ein-Staaten-Lösung elementare Rechte wie das Wahlrecht. Wäre dann aber keine Demokratie mehr.
Amos Yadlin und seine Kollegen am israelischen Institut für nationale Sicherheitsstudien fordern, dass Israel endlich handelt. Und alles unternimmt, um sich langfristig von den Palästinensern zu trennen. Notfalls ohne deren Zustimmung. Wenn dabei am Ende ein palästinensischer Staat entsteht, haben sie jedoch keine Einwände.
Ihr Plan ist komplex. Die großen israelischen Siedlungen sollen weiter ausgebaut werden, nicht jedoch kleine Siedlungen im Zentrum des Westjordanlandes. Das vielleicht schwierigste Thema wird im Plan der Wissenschaftler aber nicht erwähnt: Jerusalem. Und wieder stellt sich die Frage: Kann es ohne eine Einigung zu Jerusalem jemals Frieden geben?
Saeb Erekat, der Chefunterhändler der Palästinenser, sagt: Es mache keinen Sinn, einen palästinensischen Staat zu haben, ohne Ost-Jerusalem als Hauptstadt.
"Jerusalem bedeutet für mich: Meine Kultur. Mein Glaube. Meine Religion. Meine Psychologie. Meine Geschichte und Zukunft."
Liebe für Jerusalem verbindet Israelis und Palästinenser
Die Ironie der Geschichte ist, dass die gemeinsame Liebe für Jerusalem Israelis und Palästinenser eigentlich verbindet. Michael Oren, der israelische Vizeminister im Büro von Benjamin Netanjahu wird genauso emotional wie Saeb Erekat, wenn er über Jerusalem spricht.
Michael Oren: "Ich liebe Jerusalem. Das geht gar nicht anders. Als ich vor 40 Jahren nach Israel kam, zog ich nach Jerusalem. Weil Jerusalem Israel ist."
New York im September. Vollversammlung der Vereinten Nationen. Donald Trump hat sich gerade erneut mit Israels Premier Netanjahu getroffen:
"Es gibt nichts, was ich lieber sähe als Frieden zwischen Israel und den Palästinensern. Ich würde sagen, es ist der schwerste Deal der Welt. Es ist mein Traum, diesen Deal hinzukriegen. Jerusalem war immer der Grund, warum so ein Deal gescheitert ist. Aber Jerusalem ist nun vom Tisch. Israel hat Jerusalem bekommen. Das bedeutet, dass Israel jetzt auch etwas unternehmen muss, das gut ist für die andere Seite."