Claire Hajaj: Ismaels Orangen
Roman. Aus dem Englischen von Karin Dufner
Blanvalet-Verlag, München 2015
449 Seiten, 19,99 Euro
Zwischen den Welten
In ihrem Roman "Ismaels Orangen" gibt die Autorin Claire Hajaj Einblick in den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Wer eine Antwort auf die Frage sucht, wem das Land Israel gehört, wird sie in dem Buch finden.
Claire Hajaj war 17, als sie mit ihrem Vater zum ersten Mal nach Jaffa reiste. Er führte sie zu seinem Geburtshaus, das früher inmitten einer Orangenplantage gelegen hatte. Bis 1963 hatte die palästinensische Familie den Vertreibungsversuchen der Israelis standgehalten.
Der Vater klingelte. Eine Jüdin öffnete die Tür, bat beide ins Haus, doch er lehnte ab. Scham und Groll erkannte die Tochter im Gesicht des schweigenden Vaters.
Eine zweite Schlüsselszene prägte sich der Heranwachsenden tief ein: Ein Onkel, Arzt in Nazareth, schickte seine Kinder zum Studium nach Harvard und behauptete, er würde allen Besitz weggeben für ein Zelt in einem freien Palästina.
Die Trauer zerreißt Familien
Die Trauer um den Verlust von Grund und Boden, sagt Claire Hajaj, sei wie ein Virus, der von Generation zu Generation weitergegeben werde. Die Trauer zerreißt Familien, sie gebiert Lebenslügen. Claire Hajaj zeigt, wo Trennlinien auch innerhalb religiöser und ethnischer Gemeinschaften verlaufen.
Und sie schildert - anschaulicher als jedes Sachbuch es vermag und befreit vom Zwang zur Ausgewogenheit – die kleinen Gesten, in denen sich Verrat offenbart.
Wer eine Antwort auf die Frage sucht, wem das Land Israel gehört, wird sie im Roman finden. Das Augenmerk der Autorin - und das macht ihr Buch zu etwas Besonderem - bleibt deutlich gerichtet auf die Lehren, die Abrahams Söhne und ihre verstreut lebenden Nachkommen aus Ungleichbehandlung und Erniedrigung ziehen.
"Ismaels Orangen", sagt Claire Hajaj, stehen für das, "was heute gesät und morgen geerntet wird".
Für materiellen Verzicht und ein strikt auf die Zukunft orientiertes Leben einzutreten, wird ihr leicht als politischer Fehler und moralisches Versagen angekreidet. Dabei braucht es Persönlichkeiten wie sie, Autoren wie sie, denen die Unmöglichkeit, im palästinensisch-israelischen Konflikt Partei zu ergreifen, zur Lebensbedingung geworden ist.
"Ich werde nie wissen, was es heißt, sich wirklich jüdisch zu fühlen, denn Jude beziehungsweise Jüdin kannst du nur sein, wenn du dich vollständig zum jüdischen Volk bekennst. Das Gleiche gilt für die Palästinenser. Ich sitze einfach zwischen zwei Stühlen und werde mich nie für eine Seite entscheiden können."