Israelische Sympathie für Ägyptens "Versuch der Demokratie"
Die gegenwärtige Situation in Ägypten stelle sich für Israel als "eher günstig" dar, meint Moshe Zimmermann. Die Politiker betrachteten die Ereignisse im Nachbarland vor allem unter dem Aspekt der eigenen Sicherheit, so der israelische Historiker.
Ute Welty: Entschieden ist, Mohammed Mursi ist nicht mehr ägyptischer Präsident, das Militär hat ihn abgesetzt. Entschieden ist noch nicht, ob die Situation nicht doch noch eskaliert. Aus mehreren Städten wurden bereits gewalttätige Zusammenstöße gemeldet. Die Situation in Syrien ist längst eskaliert, das Land befindet sich in einem blutigen Bürgerkrieg. Und mittendrin: Israel. Wie kompliziert diese Dreiecksgeschichte ist, zeigte sich schon im Mai: Mit Raketen auf Syrien hat Israel ein Zeichen setzen wollen gegen mögliche syrische Waffenlieferungen an die libanesische Hisbollah, Ägypten wertete das als Aggression. Und seit Mai ist eine Menge passiert in Ägypten, was den Nahen Osten noch fragiler macht, als es ohnehin schon der Fall ist. In dieser Situation spreche ich mit dem israelischen Historiker Moshe Zimmermann, der an der Hebräischen Universität Jerusalem deutsche Geschichte lehrt. Guten Morgen, Herr Zimmermann!
Moshe Zimmermann: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Haben Sie damit gerechnet, dass die Dinge so kommen, wie sie gekommen sind in den letzten Stunden, dass Mursi vom Militär abgesetzt wird?
Zimmermann: Es kommt darauf an, wann man mit was gerechnet hat. Dass sich etwas ändert oder ändern muss, hat man in den letzten Tagen schon begriffen. Ich persönlich habe gedacht, dass man den Mursi nicht sofort absetzt, sondern nur über vorgezogene Wahlen entscheidet und damit die Ära zum Ende bringt. Das Militär hat etwas radikaler gedacht, und so befinden wir uns in dieser Situation, wo ganz offen das Militär in Ägypten das Land beherrscht.
Welty: Die Reaktionen darauf sind ja ganz unterschiedlich, aber es scheint Besorgnis und Skepsis zu überwiegen. Wie sieht man das in Israel, und wie sieht das vor allem Ihr Ministerpräsident Benjamin Netanjahu? Was vermuten Sie?
Zimmermann: Bei uns verhalten sich die Politiker verdeckt. Man darf dazu nichts sagen, aber hinter den Kulissen wissen wir Bescheid. Für Israel ist nur eine Sache entscheidend, nicht die Demokratie, nicht die Art der Regierung, sondern die Sicherheit auf der Sinaihalbinsel und im Gazastreifen. Dafür sind die Militärs in Ägypten verantwortlich, so war es zur Zeit Mubaraks, so war es auch zur Zeit Mursis, und die Tatsache, dass jetzt das Militär direkt regiert, ist eigentlich für Israel eher günstig. Mit dem Militär hat man Kontakte, mit den Leuten dort hat man Kontakte. Man weiß Bescheid, mit wem man es zu tun hat. Und dann ist alles andere für die Israelis eher uninteressant.
Man muss aber auch betonen, die Israelis haben viel mehr Sympathie für Ägypten oder für das, was in Ägypten passiert als in Syrien. Syrien ist eine Diktatur, die ihre eigenen Leute, die eigene Bevölkerung niederschießt. Und in Ägypten ist es ein Versuch der Demokratie, wo man in den letzten zwei Jahren gezeigt hat, dass man sie ernst nehmen will. Und dafür hat man eher Sympathie in der Bevölkerung und auch in der israelischen Regierung.
Welty: Inwieweit könnten sich die ägyptischen Veränderungen auf Syrien auswirken, der Opposition dort vielleicht auch neuen Mut geben?
Zimmermann: Das sind zwei sehr unterschiedliche Szenen. Also in Ägypten hat das Volk die Macht. Eine Demonstration findet statt und man schießt nicht. Auch die Erfahrung, die Mubarak hatte, zeigt: Schießen ist nicht die Lösung. Dafür wird man in Ägypten bestraft. In Syrien ist es ganz anders. Dort hat man schon 100.000 Leute ermordet, und die Regierung bleibt im Amt. Der Assad ist noch immer der Diktator. Also die Syrer können aus der Erfahrung der Ägypter kaum etwas lernen, weil eben dort die Diktatur eine echte Diktatur ist. Das ist kein Mursi und das ist auch kein Mubarak, was man mit Assad in Syrien hat.
Welty: So, wie Sie es beschreiben, könnte es gut sein, dass die Entwicklung in Syrien Ihnen mehr Sorge macht als die in Ägypten. Ist das so?
Zimmermann: Da muss man zwischen Regierung und, sagen wir mal, Durchschnittsisraeli unterscheiden. Das sind interne Sachen, und diese internen Fragen sowohl in Ägypten als auch in Syrien berühren Israel nicht so direkt. Für die Regierung ist es etwas ganz anderes. Die Regierung malt immer eine Situation der Bedrohung und der Umkreisung. Und dann ist all das, was in Syrien, im Libanon, in Ägypten passiert, selbstverständlich für Israel sehr bedrohlich. Man muss davon ausgehen, es gibt einen Zusammenhang zwischen der Art der Regierung und der Beziehung zu Israel. Israel hat mit Ägypten Frieden geschlossen, mindestens formal ist das eine sehr entscheidende Sache, und mit Syrien noch nicht.
Und deswegen ist mit Syrien die Spannung viel größer. Israel besitzt ein syrisches Territorium, die Golanhöhen, die Syrer haben darauf Anspruch, und all das, was in Syrien kommt, gleich ob es die eine oder die andere Alternative zu Assad ist, besteht immer ein Wunsch der Syrer, diese Gebiete zurückzuerhalten. Die haben auch einen engen Kontakt zu Libanon, zur Hisbollah, die sich ganz deutlich als Feind Israels zeigt. Und deswegen ist mit oder ohne Versuch der Revolution in Ägypten oder auch in Syrien die Situation im Norden Israels für Israel bedrohlicher als im Süden, das heißt an der Grenze zu Ägypten.
Welty: Moshe Zimmermann, Historiker an der Hebräischen Universität Jerusalem. Ich danke sehr für dieses Gespräch!
Zimmermann: Ich bedanke mich!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Moshe Zimmermann: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Haben Sie damit gerechnet, dass die Dinge so kommen, wie sie gekommen sind in den letzten Stunden, dass Mursi vom Militär abgesetzt wird?
Zimmermann: Es kommt darauf an, wann man mit was gerechnet hat. Dass sich etwas ändert oder ändern muss, hat man in den letzten Tagen schon begriffen. Ich persönlich habe gedacht, dass man den Mursi nicht sofort absetzt, sondern nur über vorgezogene Wahlen entscheidet und damit die Ära zum Ende bringt. Das Militär hat etwas radikaler gedacht, und so befinden wir uns in dieser Situation, wo ganz offen das Militär in Ägypten das Land beherrscht.
Welty: Die Reaktionen darauf sind ja ganz unterschiedlich, aber es scheint Besorgnis und Skepsis zu überwiegen. Wie sieht man das in Israel, und wie sieht das vor allem Ihr Ministerpräsident Benjamin Netanjahu? Was vermuten Sie?
Zimmermann: Bei uns verhalten sich die Politiker verdeckt. Man darf dazu nichts sagen, aber hinter den Kulissen wissen wir Bescheid. Für Israel ist nur eine Sache entscheidend, nicht die Demokratie, nicht die Art der Regierung, sondern die Sicherheit auf der Sinaihalbinsel und im Gazastreifen. Dafür sind die Militärs in Ägypten verantwortlich, so war es zur Zeit Mubaraks, so war es auch zur Zeit Mursis, und die Tatsache, dass jetzt das Militär direkt regiert, ist eigentlich für Israel eher günstig. Mit dem Militär hat man Kontakte, mit den Leuten dort hat man Kontakte. Man weiß Bescheid, mit wem man es zu tun hat. Und dann ist alles andere für die Israelis eher uninteressant.
Man muss aber auch betonen, die Israelis haben viel mehr Sympathie für Ägypten oder für das, was in Ägypten passiert als in Syrien. Syrien ist eine Diktatur, die ihre eigenen Leute, die eigene Bevölkerung niederschießt. Und in Ägypten ist es ein Versuch der Demokratie, wo man in den letzten zwei Jahren gezeigt hat, dass man sie ernst nehmen will. Und dafür hat man eher Sympathie in der Bevölkerung und auch in der israelischen Regierung.
Welty: Inwieweit könnten sich die ägyptischen Veränderungen auf Syrien auswirken, der Opposition dort vielleicht auch neuen Mut geben?
Zimmermann: Das sind zwei sehr unterschiedliche Szenen. Also in Ägypten hat das Volk die Macht. Eine Demonstration findet statt und man schießt nicht. Auch die Erfahrung, die Mubarak hatte, zeigt: Schießen ist nicht die Lösung. Dafür wird man in Ägypten bestraft. In Syrien ist es ganz anders. Dort hat man schon 100.000 Leute ermordet, und die Regierung bleibt im Amt. Der Assad ist noch immer der Diktator. Also die Syrer können aus der Erfahrung der Ägypter kaum etwas lernen, weil eben dort die Diktatur eine echte Diktatur ist. Das ist kein Mursi und das ist auch kein Mubarak, was man mit Assad in Syrien hat.
Welty: So, wie Sie es beschreiben, könnte es gut sein, dass die Entwicklung in Syrien Ihnen mehr Sorge macht als die in Ägypten. Ist das so?
Zimmermann: Da muss man zwischen Regierung und, sagen wir mal, Durchschnittsisraeli unterscheiden. Das sind interne Sachen, und diese internen Fragen sowohl in Ägypten als auch in Syrien berühren Israel nicht so direkt. Für die Regierung ist es etwas ganz anderes. Die Regierung malt immer eine Situation der Bedrohung und der Umkreisung. Und dann ist all das, was in Syrien, im Libanon, in Ägypten passiert, selbstverständlich für Israel sehr bedrohlich. Man muss davon ausgehen, es gibt einen Zusammenhang zwischen der Art der Regierung und der Beziehung zu Israel. Israel hat mit Ägypten Frieden geschlossen, mindestens formal ist das eine sehr entscheidende Sache, und mit Syrien noch nicht.
Und deswegen ist mit Syrien die Spannung viel größer. Israel besitzt ein syrisches Territorium, die Golanhöhen, die Syrer haben darauf Anspruch, und all das, was in Syrien kommt, gleich ob es die eine oder die andere Alternative zu Assad ist, besteht immer ein Wunsch der Syrer, diese Gebiete zurückzuerhalten. Die haben auch einen engen Kontakt zu Libanon, zur Hisbollah, die sich ganz deutlich als Feind Israels zeigt. Und deswegen ist mit oder ohne Versuch der Revolution in Ägypten oder auch in Syrien die Situation im Norden Israels für Israel bedrohlicher als im Süden, das heißt an der Grenze zu Ägypten.
Welty: Moshe Zimmermann, Historiker an der Hebräischen Universität Jerusalem. Ich danke sehr für dieses Gespräch!
Zimmermann: Ich bedanke mich!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.