Der Traum vom Frieden
Die Staatsform von Israel? Abgehakt. Zugang zu heiligen Stätten? Abgehakt. Die Grenzen von Israel und Palästina? Abgehakt. Zumindest nach der Diskussion von palästinensischen und israelischen Schülern. Die bewiesen bei einer Veranstaltung der Friedensbewegung "Minds of Peace", dass eine Annäherung der verfeindeten Nationen möglich sein kann.
"This is the second half of the 29th congress where Israeli and Palestinian highschool kids negotiate solutions of the conflict. This was the most amazing congress that we have done yet. I think the leadership and the adults should see what is happening here."
Unter dem Applaus der rund 100 Jugendlichen, 15-bis 17-jährige Israelis und Palästinenser, eröffnete Sapir Handelman von "Minds of Peace" das Treffen, das er als das bisher erfolgreichste der Organisation bezeichnete. Denn junge Leute bewiesen den Erwachsenen und den politischen Führern, dass es möglich ist, Lösungen für jedes Problem zu finden, das bislang einen Frieden zwischen beiden Völkern verhindere.
Emotionale Debatte über die Festlegung der Grenzen
Anfang Februar waren sich die Schüler vom Gymnasium Herzliya in Tel Aviv und der Jerusalem School im Ostjerusalemer Stadtteil Beit Hanina zum ersten Mal begegnet und hatten sich unter anderem darauf verständigt, dass eine Föderation die beste Form einer israelisch-palästinensischen Staatlichkeit wäre, dass Jerusalem die gemeinsam verwaltete Hauptstadt sein und Gläubige aller Religionen ungehinderten Zugang zu ihren jeweiligen heiligen Stätten haben sollten.
Nun also ging es in die zweite Verhandlungsrunde, in der die Grenzen der jeweiligen Staaten festgelegt werden sollten. Erwartungsgemäß gab es unterschiedliche Meinungen, die auch sehr emotional vorgetragen wurden, aber immer wieder gelang es den beiden jungen Moderatoren, die Wogen zu glätten und zu sachlicher Debatte zurückzukehren.
"One of the biggest problems with the 47-suggestion (...) Please calm down."
Das Geheimnis bestehe darin, kompromissbereit zu sein, erklärt Lo’ai, der 17-jährige palästinensische Moderator. Dies sei für ihn die bislang wichtigste Erkenntnis.
"Wir diskutieren über die Grenzen, sie wollen die von 1949, wir die von 1947, also den UNO-Teilungsplan, den wir für fairer halten. Auch wenn wir noch keine Übereinkunft erzielt haben, weil unsere und ihre Vorstellungen unterschiedlich sind, so zeigt sich, dass alle sehr ernsthaft bemüht sind, uns vielleicht doch noch zu einigen. Denn wir sollten schon einen Kompromiss finden und heute nicht auseinander gehen und denken, dass wir als Jugendliche nicht in der Lage wären, uns auf etwas zu einigen."
Palästinenser und Israelis akzeptieren Kompromiss
Umso größer dann der Jubel, als wirklich ein beidseits akzeptierter Kompromiss gefunden war.
"So Gaza of 47 is part of the Palestinian state, the Westbank is also part of the Palestinian state, and only 4 percent with all the big settlements will be part of Israel – do everybody accept?"
Der 15-jährige Ido aus Tel Aviv hatte am ersten Treffen noch als Zuschauer teilgenommen – und war so begeistert, dass er nun ebenfalls Teil der Verhandlungsgruppe sein wollte. Gespräche, Annäherung und schließlich der feste Wille beider Seiten sei der einzige Weg, den Konflikt zu lösen, ist er überzeugt.
"Wir haben uns etwas näher kennen gelernt, das finde ich sehr wichtig, und wir konnten feststellen, dass wir uns gar nicht so sehr unterscheiden. Sie hören dieselbe Musik wie wir, lachen über dieselben Dinge wie wir, wir sind uns im Grunde doch ziemlich ähnlich und ganz und gar nicht anders, wie viele Leute uns weismachen wollen."
Adva Selzer leitet im Gymnasium Herzliya Tel Aviv den Kurs "Kritisches Denken und palästinensisch-israelischer Konflikt", in dem die Schüler mit den Aspekten der israelischen Besatzungspolitik bekannt gemacht werden und lernen, welche Folgen dies für die palästinensische Bevölkerung hat. Mit diesem Wissen haben die israelischen Jugendlichen dann Vorschläge erarbeitet, wie nicht nur die Härten der Besatzung gemildert, sondern die Konflikte insgesamt gelöst werden könnten.
"Sie haben verstanden, dass es so nicht weitergehen kann und wir etwas verändern müssen, und dafür sind sie zu großen Kompromissen bereit. Sie sehen es auch gar nicht als Verzicht, sondern als Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. Und wenn man etwas nicht als Verzicht, sondern als Gerechtigkeit empfindet, dann kann man es umso leichter auch leisten."
Auch an der Jerusalem School in Beit Hanina gibt es ein Unterrichtsfach "Einführung in den Frieden", erzählt die Lehrerin Lisa Talesnik. Die Schüler studieren und diskutieren gewaltfreie Revolutionen, mit denen weltweit bereits repressive Regime überwunden werden konnten. Die palästinensischen Jugendlichen sollen sich nicht länger als Opfer fühlen, sondern darin bestärkt werden, nach Wegen für einen gewaltfreien Wandel und ein friedliches Miteinander mit Israel zu suchen.
"Unsere Schüler besuchen diese Friedensklassen zwei Jahre lang, und die Lehrer sind gegenwärtig dabei, einen Lehrplan von der Grund- bis zur Oberstufe zu entwickeln, mit dem die Schüler lernen, die Welt nicht mit den Augen von Kriegern und Generälen, sondern mit den Augen von Friedenshelden zu sehen. Das ist ein komplett neuer Lehrplan, der auf friedliche Revolutionen und nicht auf Gewalt gerichtet ist."
Für den Frieden in Nahost reichen Politiker nicht
Endlich aufzuhören, sich gegenseitig die Schuld für Zwietracht und Gewalt zuzuschieben, ist für die 16-jährige Juli vom Herzliya-Gymnasium Tel Aviv nicht nur Gebot der Stunde, sonder auch starke Motivation, mit ihren neuen Freunden aus Beit Hanina in Kontakt und Gespräch zu bleiben.
"Ich habe nicht so viele Erfahrungen und ich weiß nicht, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Aber trotzdem will ich, dass es vorangeht in Richtung einer gemeinsamen Zukunft und ich hoffe, dass wir das schaffen. Wenn es nur ein kleines Stück besser wird, dann wäre ich schon sehr glücklich."
Für Sapir Handelman von der Organisation "Minds of Peace" brachte das Treffen der Schüler aus Tel Aviv und Ostjerusalem die Bekräftigung seiner Überzeugung, dass ein Frieden nicht allein von Politikern etabliert werden kann, sondern vor allem von den Zivilgesellschaften beider Seiten gewollt und eingefordert werden muss. Die Schüler des israelischen Herzliya-Gymnasiums und der palästinensischen Jerusalem School wollen diesen Weg künftig gemeinsam gehen, wie sie zum Abschluss des Treffens noch einmal lautstark bekräftigt haben.
"So let us talk about it, tell the people if we’ve done it everyone can do it and let us make change and let it really happen!"