Israelischer Militärhistoriker: Angriff auf den Iran wäre sinnlos

Um das iranische Atomprogramm zu stoppen, erwägt die israelische Regierung Militärschläge auf Nuklearanlagen - womöglich schon in diesem Frühjahr. Der Militärtheoretiker Martin van Creveld zweifelt an der Effektivität eines solchen Angriffs.
Jörg Degenhardt: Werden nach einer Eskalation der Worte und nach einer Reihe von Sanktionen tatsächlich die Waffen sprechen? Oder kann dies noch verhindert werden? Westliche Regierungen befürchten, dass der Iran sein Atomprogramm für die Entwicklung von Nuklearwaffen verwendet, Teheran bestreitet das. Der geistliche Führer Ayatollah Ali Chamenei warnt die USA und Israel eindringlich vor einem Krieg.

Die Bodenstreitkräfte des Landes üben bereits für den Ernstfall. Israel hat nach Einschätzung von US-Präsident Obama noch keine Entscheidung über einen Angriff auf Einrichtungen des umstrittenen iranischen Atomprogramms getroffen.

Martin van Creveld ist am Telefon. Der Militärhistoriker und -theoretiker hat lange Jahre in Israel, in Jerusalem an der Hebräischen Universität, aber auch in Großbritannien und den Vereinigten Staaten gelehrt. Guten Morgen, Herr van Creveld!

Martin van Creveld: Guten Morgen!

Degenhardt: Wie ernst ist die Situation zwischen Israel und dem Iran? Stehen die Zeichen tatsächlich auf Krieg?

van Creveld: Wissen Sie, wenn ich das wirklich wüsste, hätte ich es Ihnen noch nicht gesagt. Also, so ist es, nicht wahr …

Degenhardt: … dann beschreiben Sie uns doch bitte die Stimmung …

van Creveld: … wenn es wirklich Pläne gäbe für einen Angriff, hätte ich es Ihnen nicht gesagt. Hätte ich gesagt, nein, so ernst ist es nicht, es gibt noch Zeit. Und dann hätte ich natürlich die Überraschung benutzt, also …

Degenhardt: … wie ist die Stimmung in Ihrem Land, was sagen Ihre Landsleute? Ist die Öffentlichkeit auf einen Krieg eingestellt?

van Creveld: Ach, das ist wieder sehr schwierig zu sagen. Israelis sehen die Welt immer durchs Visier des Gewehrs und sie sind auf der anderen Seite sehr kriegerisch. Also: Wir haben keine Wahl, wir müssen die Iraner ausschalten, diese Leute da in Teheran sind verrückt, sie bedrohen unser Bestehen und so weiter. Und auf der anderen Seite haben sie Angst, denn keiner weiß natürlich, wie das auslaufen kann und was die Iraner tun können und so weiter. Also, es ist sehr doppelseitig.

Degenhardt: US-Präsident Obama hat mehrfach die Israelis vor einem militärischen Vorgehen gegen Iran gewarnt. Könnte Israel überhaupt ohne die Unterstützung der USA einen Militärschlag führen gegen Teheran?

van Creveld: Ja, Israel könnte einen Militärschlag liefern. Aber die Frage ist, wie groß wird er sein, und auch, wie effektiv? Und auch, was danach passiert. Also, wir können angreifen, ja, wir können wahrscheinlich Schaden anrichten. Aber was passiert danach, was passiert, wenn gegen die meisten Voraussagungen es in einen regionalen Krieg sich umwandelt? Also, das sind ernste Fragen. Und was wird Israel machen, wenn wir also in einen regionalen Krieg verwickelt sind und keine amerikanische Unterstützung haben? Also, den Schlag liefern, den ersten Schlag, ja, das kann Israel bestimmt. Die Frage ist, was passiert danach? Und wenn man einen Krieg anfängt, weiß man natürlich nie, wie man endet.

Degenhardt: Welche Risiken hätten denn ein Militärschlag für Israel selbst?

van Creveld: Also, Iran hat grundsätzlich drei Möglichkeiten. Eins, die erste Möglichkeit wäre also Terroranschläge, und nicht nur hier in Israel, sondern weltweit. Und damit haben sie hier und da auch gedroht. Diese Handlungsweise wird nicht sehr effektiv sein. Auch, wenn es so passiert, wird es nichts ändern an dem eigentlichen Angriff. Iran hat die Möglichkeit, die Grenze zwischen uns und Libanon wieder in Brand zu setzen, aber das wissen wir eigentlich auch nicht. Denn die Frage ist, sind die Hisbollah wirklich bereit, um für Iran Selbstmord zu begehen? Meiner Einschätzung nach ist die Antwort darauf Nein. Also, die dritte Möglichkeit ist, im Persischen Golf Schwierigkeiten zu schaffen, amerikanische und auch arabische Ziele anzugreifen. Das wäre Möglichkeit, möglich natürlich. Aber das würde bedeuten, dass sie außer uns auch mit Amerika, es auch mit den Amerikanern aufnehmen. Also, ich weiß nicht, ob sie was tun. Alles bei allem glaube ich, dass die iranischen Möglichkeiten ziemlich beschränkt sind.

Degenhardt: Wenn es zum Militärschlag wirklich kommt, was erwartet dann Israel von Deutschland? Es gab ja schon mal eine ähnliche Situation 1973 beim Jom-Kippur-Krieg. Damals hat sich Deutschland neutral verhalten.

van Creveld: Das stimmt, aber vor und während des Golfkriegs von 1991 hat Deutschland auch Waffen und Geräte geliefert. Also, Deutschland hat ein sehr, um die Wahrheit zu sagen, eine sehr kleine, miese Armee. Deutschland ist nicht in der Lage, etwas für Israel wirklich zu tun. Das ist nicht das Deutschland von, sagen wir, 70 Jahre her. Es ist jetzt eine sehr kleine, miese Armee. Höchstens könnte Deutschland Gerät und Waffen liefern. Wahrscheinlich nur nach dem Krieg, denn dieser Kriege wird hoffentlich sehr kurz sein und nur einige Tage dauern.

Degenhardt: Wir hoffen natürlich, dass dieser Krieg überhaupt erst gar nicht stattfindet. Wie lässt sich denn aus Ihrer Sicht eine Entwicklung dahin noch stoppen?

van Creveld: Also, meiner Meinung nach ist dieser Krieg überhaupt überflüssig, ist nicht nötig. Und er sollte stoppen, also, man soll es nicht machen, denn es ist sinnlos. Es ist sinnlos, da der Iran für Israel meiner Meinung nach nicht gefährlich ist, und auch, da man nicht weiß, was man mit so einem Schlag eigentlich erreichen kann. Denn das iranische Nuklearprogramm ist ziemlich groß, ziemlich zerstreut, ziemlich gut verteidigt. Also, man kann wahrscheinlich das ganze Programm nicht mit einem Schlag ausschalten, höchstens mit ein oder zwei oder vielleicht drei Zurücksetzern, aber auch nicht mehr. Also, meiner Ansicht nach soll es keinen Krieg geben.

Degenhardt: Martin van Creveld war das, Kriegsforscher, er lehrte in Israel, Großbritannien und den Vereinigten Staaten, über einen möglichen Militärschlag gegen Teheran, der – so ist zu hoffen – verhindert werden kann. Vielen Dank, Herr van Creveld, für das Gespräch!

van Creveld: Guten Morgen noch mal!


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