Ist Geiz wirklich geil?- Die Schattenseiten des Billig-Booms

21.01.2006
"Geiz ist geil!", "Ich bin doch nicht blöd!", "Ruinieren Sie uns!" - mit Slogans wie diesen locken Billigmärkte ihre Kunden. Mit Erfolg: Mehr als 40 Prozent der Deutschen kaufen bei Aldi, Lidl, Schlecker & Co ein. Schnäppchenjagen ist zum Volkssport geworden. Jede zweite Flasche Wein wird bei einem Discounter gekauft. Aldi ist der siebtgrößte Bekleidungs- und inzwischen auch Deutschlands größter Computerhändler.
Für den Philosophen Dr. David Bosshart leben wir längst im "Billig-Zeitalter". Der Leiter des Gottlieb Duttweiler Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft im schweizerischen Rüschlikon hat die Folgen des Billigbooms in seinem Buch "Billig. Wie die Lust am Discount Wirtschaft und Gesellschaft verändert" analysiert:

"Billig meint nicht einfach 'billig' - es geht um eine grundsätzliche Einstellung von Menschen in einer Zeit, in der alles, was man haben kann, sofort verfügbar ist."

Für Bosshart ist "billig" nicht nur ein Wirtschaftsfaktor, er bestimme auch die Mentalität der Menschen:

"Die gut informierten Kunden wissen von allem den Preis - aber von nichts mehr den Wert. In keinem anderen Land Westeuropas sind die Lebensmittel so preiswert wie in Deutschland. Aber die Menschen wollen alles möglichst noch billiger und blenden dafür andere Sachen aus. Lidl muss, um im Rennen zu bleiben, die Preise von Aldi unterbieten. Dass das auch mit den Löhnen der Mitarbeiter passiert, sehen sie nicht."

Bosshart warnt aber davor, "billig" gleich "lausig" zu setzen.

"Billig bedeutet bei satten Märkten - wie bei Aldi oder Wal-Mart - einen Mix aus Faktoren, nämlich günstig, gute Qualität und Einfachheit."

Die positive Seite des Billigbooms: Die "Demokratisierung" der Kunden. Der Kunde könne mehr wählen, durch seine Wahl den Handel mit bestimmen.

"Geiz ist gefährlich, nicht geil", sagt der Journalist Franz Kotteder. In seinem Buch "Die Billig-Lüge. Die Tricks und Machenschaften der Discounter" beschreibt er die Folgen des Preiskampfes. Seit 1990 machten zehntausende von Tante-Emma-Läden dicht, pro Jahr geben 600 bis 800 Bäckereien auf. In Deutschland rechnet der Handelsverband des deutschen Einzelhandels (HDE) aufgrund der Marktverdrängung allein für 2005 mit bis zu 5000 Insolvenzen und einem Wegfall von 20.000 Stellen.

Zulieferer und Bauern werden mit Dumpingkonditionen geknebelt. So bekommt ein Milchbauer heute im Schnitt 27 Cent pro Liter, ebenso viel wie 1977. Die Produktion eines Liters liege aber bei 30 bis 32 Cent. Für Kotteder sitzen wir bereits in der "Geizfalle":

"Die Spirale aus billigen Preisen, niedrigen Löhnen und der daraus folgernden Notwenigkeit noch billigerer Preise funktioniert schon zu lange."

Was für das Warenangebot der Discounter gelte, gelte ebenso für das Personal: sparen, sparen, sparen:

"Dünne Personaldecke, unbezahlte Mehrarbeit, ständige Kontrollen und Schikanen bis hin zum klassischen Mobbing."

Die Billigheimer-Mentalität komme aber unter Umständen auch die Verbraucher teuer zu stehen: Fehlerhafte Elektronik, gepanschter Wein, Gammelfleisch, gespritztes Gemüse, Textilien, die in Drittländern unter Sklavenbedingungen hergestellt werden.

"Ist Geiz wirklich geil ? Welchen Preis zahlen wir für Niedrig-Preise ?" Über die Schattenseiten des Billigbooms diskutierte Dieter Kassel heute von 9 Uhr 07 bis 11 Uhr gemeinsam mit Dr. David Bosshart und Franz Kotteder in der Sendung "Radiofeuilleton - Im Gespräch".

Das Gespräch können Sie für begrenzte Zeit nach der Sendung in unserem Audio-On-Demand-Player hören.

Literaturhinweise:
David Bosshart: "Billig. Wie die Lust am Discount Wirtschaft und Gesellschaft verändert"
Verlag Redline Wirtschaft, Frankfurt am Main, 2004.

Franz Kotteder: "Die Billig-Lüge. Die Tricks und Machenschaften der Discounter"
Droemer Knaur, 2005.