Die Istanbul Biennale läuft noch bis zum 10. November 2019.
Die Kunst als Abenteuerspielplatz
04:27 Minuten
Mit mehr als 50 Künstlern und Künstlerinnen startet die 16. Istanbul Biennale, unter anderem in einem brandneuen Museumsbau am Bosporus. Der französische Kurator Nicholas Bourriaud hat ein globales Thema gewählt: Der siebte Kontinent.
Der Disneyland-Ohrwurm "Its a small world after all" ist die Titelmelodie für Simon Fujiwaras Miniatur-Vergnügungspark. Aus kaputten Comic-Heldenfiguren, die in realen türkischen "Freizeitparks" keine Verwendung mehr finden, hat er seine Modelle gebaut, in denen die Menschen der Zukunft ihr ganzes Leben verbringen. Unter den Resten einer Pinocchio–Figur gehen sie zur Schule. Aladins Wunderlampe krönt eine goldglänzende Shopping Mall. Der Kopf des rosaroten Panthers dient als Eingang für einen Sex-Club. Und auch die Kunst kommt vor: Unter einem kaputten Mickey-Mouse Kopf bewundern die Modellfigürchen Meisterwerke von Picasso bis Klimt.
Für den Wahlberliner Fujiwara die persönlichste Arbeit. Was wird aus Künstlern, die nicht unterhalten, fragt er sich, in einer Museumswelt, die immer kapitalistischer zu werden scheint. Auch die Istanbul Biennale ist in diesen Tagen Teil des Kunstmarktes. Kuratorinnen und Galeristen sind aus New York oder Paris angereist.
Das neue Museum am Bosporus
Die Stiftung der Industriellen-Familie Koc, die die Biennale unterstützt, eröffnet zeitgleich im mittlerweile gentrifizierten Bezirk Dolaptere ein brandneues Museum. Der neue Bürgermeister Ekrem Imamoglu hat den religiösen Stiftungen das Budget zusammen gestrichen und Institutionen, wie die Biennale, hoffen jetzt auf mehr Unterstützung von der Stadt.
Aber auch die herrschende AKP hat den Imagewert zeitgenössischer Kunst entdeckt: In der anatolischen Provinzhauptstadt Nevsehir hat Präsident Recep Tayyip Erdogan höchstpersönlich vor ein paar Tagen ein brandneues Museum eröffnet – im Gepäck hatte er ein von ihm selbst angefertigtes dilettantisches Kaligraphie Bild, wofür in den sozialen Medien beißenden Spott erntete.
Mehr als 50 Künstler und Künstlerinnen stellen auf der diesjährigen Istanbul Biennale aus, und alle halten sich brav an das Thema, unter das Biennale-Kurator Nicholas Bourriaud die Schau gestellt hat: "Der siebte Kontinent". So haben Meeresforscher eine gigantische Fläche Plastikmüll getauft, die seit ein paar Jahren mitten im Pazifik zwischen Nordamerika und Asien treibt – für Bourriaud ein Symbol des Scheiterns menschlicher Zivilisation.
Istanbul kommt im Programm nicht vor
Die Trennung von Kultur und Natur ist verantwortlich für das, was jetzt passiert. Viele Künstler erinnern an Kulturen, die vor dieser Trennung existierten, beispielsweise die Argentinierin Mika Rottenberg. Ihre Videoinstallation dreht sich um ein Sechseck. Immer, wenn es einrastet, erscheint ein neues Bild: Ein Eisberg, oder ein Berg aus Schaum, der in sich zusammensinkt. Ein bunte Kunststoff-Wurst wird in Scheiben geschnitten, und immer wieder eine mongolische Oberton-Sängerin in Bilderbuch-Steppenlandschaft.
So schön bunt alles und so entrückt die Töne, dass der Klimawandel und die Folgen einem wie ein großer New-Age-Abenteuerspielplatz vorkommen. Viele der Exponate wecken genau diese Assoziation. Und die britische Künstlerin Monster Chetwynd, eine der bekanntesten Teilnehmerinnen, hat für Istanbul tatsächlich einen realen Spielplatz aus lustigen Monstern entworfen: "Gorgon´s playground".
Die bespielbare Großplastik in einem Park hat das Zeug zur nächsten Touristenattraktion zu werden, aber die Aussagekraft eines Reiseprospekts. Chetwynds Spielplatzgerät könnte überall auf der Welt stehen. Überhaupt taucht die Stadt Istanbul selbst, die immerhin, so Bourriaud, auf riesigen Bergen historischer Artefakte und Trümmern erbaut wurde, so gut wie nicht auf im offiziellen Ausstellungsprogramm. Die Politik, der Kampf um knapper werdende Ressourcen, die Flüchtlinge, die auch in Istanbul zum Alltag gehören, die Konflikte, die sich durch den Klimawechsel in der Zukunft verschärfen werden – das alles fehlt.
Türkisches Schattenspiel
Einzig der US-Amerikaner Max Hooper Schneider erzählt seine Zivilisationskritik mit Hilfe des traditionellen türkischen Schattenspiels. Gemeinsam mit dem Schattenspielmeister Enim Seyer hat er zwei typische Figuren, den wichtigtuerischen Zwerg Beberuhi und den opiumsüchtigen Fantasten Tyriaki zum kopflosen Manager-Typen und zum abgehobenen Partyphilosophen weiterentwickelt. Dem einen fehlt die kritische Reflexion, dem anderen die Bodenhaftung.
Dass auch die Biennale nicht im luftleeren Raum stattfindet, wurde schon beim Eröffnungsempfang im Garten der ehemaligen französischen Gesandtschaft klar: Mit einem Mal hielten Hunderte Besucher Taschen mit dem Porträt des seit vorletztem Jahr inhaftierten Mäzens, Unternehmers und Erdogan-Kritikers Osman Kavalla in die Höhe. Da zückten auch die New Yorker Galeristen die Handykamera. Es war das politischste und vielleicht aussagekräftigste Bild von dieser 16. Istanbul Biennale.