Istanbul

Türkisch für Fortgeschrittene

Die Sultan Ahmet-Moschee im europäischen Teil von Istanbul
Die Sultan Ahmet-Moschee im europäischen Teil von Istanbul © dpa / picture alliance
Von Dorothea Brummerloh |
Jedes Jahr gehen 3000 bis 4000 Menschen mit türkischen Wurzeln, die in Deutschland aufgewachsen sind, zurück in die Heimat der Eltern. Dort ist ihnen vieles fremd und manchmal fehlen die richtigen Wörter.
Auf der Istiklal Caddesi, der bekanntesten Straße von Istanbul, herrscht reges Treiben, wie überall in der Stadt. Istanbul, die bevölkerungsreichste Stadt der Türkei mit fast 15 Millionen Einwohnern, ist Anziehungspunkt nicht nur für Touristen. Immer mehr Menschen kommen, um hier zu arbeiten, um hier zu leben. Auch aus Deutschland. Aber:
"Das ist kein Zuckerschlecken. Istanbul ist eine schöne Stadt, aber riesig. Alles ist weit auseinander, Verkehr ist anstrengend, es ist eine teure Stadt. Und wenn du den Lebensstandard wie in Deutschland leben willst, dann brauchst du einfach ein gutes Einkommen hier, sonst ist es nur anstrengend."
Sener Azak wohnt und arbeitet seit sechs Jahren in Istanbul. Der studierte Medienwirt wurde 1973 im türkischen Rize geboren, kam als Dreijähriger nach Deutschland und wuchs in der bayerischen Provinz auf:
"Ich war ja nicht nur integriert in Deutschland. Ich war ja teilweise schon assimiliert. Und trotzdem habe ich nie das Gefühl gehabt, tatsächlich so ein Deutscher zu sein. Du bist − egal, ob dein Deutsch besser ist oder du die deutsche Geschichte besser kannst als der Deutsche − ab und zu lässt man dich spüren, das du doch irgendwie ein Ausländer bist."
Das hat Ayca Abaci so nicht empfunden. Als Kind türkischer Gastarbeiter ist sie in Neustadt an der Donau aufgewachsen. Im schönsten bayerischen Dialekt erzählt sie, sie habe sich immer dazugehörig, nie als Fremde gefühlt. Bis auf ein Mal:
"Das Einzige war, dass ich am ersten Schultag die Klasse betreten habe und mir einen Platz ausgesucht habe, und dann kam dann noch ein Mädel mit derer Mama und da meinet die Mutter, setzt dich doch dahin, neben mir. Und dann hat das Mädel gesagt: Nee, Mama, bei der Negerin mog i ni sitzen."
"Mit einem weinenden Auge weg"
Nach dem Realschulabschluss wollte Ayca Bürokauffrau werden. Doch während die Müllers, Meiers und Schulzens Zusagen erhielten, wartete Ayca Abaci vergebens:
"Ich bin allen 40 Firmen dankbar, dass sie mich nicht zum Interview eingeladen haben und nicht eingestellt haben und habe dann den zweiten Ausbildungsweg gemacht und mein Fachabitur."
Vor fünf Jahren ist sie dann in die Türkei gegangen:
"Meine Eltern sind 1996 in die Türkei zurückgegangen. Nur war es für mich dann sehr, sehr schlimm dort allein zu sein, weil die gesamte Familie in der Türkei zusammen saß, die ganzen Feiertage gemeinsam verbracht haben, und habe dann letztendlich beschlossen, auch bei meiner Familie zu sein. Ich bin mit einem weinenden Auge aus Deutschland weg. Es war nicht einfach."
Laut Angaben des Bundesamtes für Migration machen sich Jahr für Jahr 3000 bis 4000 Menschen mit türkischen Wurzeln, die in Deutschland aufgewachsen sind, auf den Weg in die Heimat der Eltern. In der öffentlichen Diskussion hat man manchmal das Gefühl, dass Menschen mit türkischen Wurzeln scharenweise aus Deutschland auswandern oder zurückkehren. Die Zahlen des Bundesamtes für Migration widerlegen das.
Aber: Es gehen gut ausgebildete Akademiker, und eigentlich kann sich Deutschland diese Abwanderung nicht leisten. Die Ursachen für die Rückkehr in das Land der Eltern sind verschieden: Studien zufolge steht fehlendes Heimatgefühl an erster Stelle, gefolgt von beruflichen Gründen und Aussicht auf Karriere. Wie bei Mursa Akinci:
"Wir haben hier eine 100-prozentige Tochter gegründet und somit hat sich das denn entwickelt, dass ich dann vom Arbeitgeber hierher entsendet wurde. Rein beruflich gesehen ist das für mich ein Karrieresprung. Die Chance, die ich damit jetzt hier bekommen habe, die hätte ich in Deutschland so schnell nicht bekommen."
Und so zog die Familie Akinci aus dem schwäbischen Böblingen nach Istanbul – obwohl ihre Kinder kein Wort Türkisch konnten. Nur durch die deutsche Privatschule und Nachhilfeunterricht ist das zu stemmen, sagt Mutter Azur. Spricht man kein gutes Türkisch, fällt man auf, weiß sie aus eigener Erfahrung:
"Weil mir manche Wörter einfach nicht einfallen oder ich noch so ein bisschen Dialekt von meinen Eltern sprech. Also wenn ich Taschentücher möchte, sage ich immer noch: Ich will Tempo. Dann gucken die mich an und fragen, was ist Tempo?"
Osmanische Wörter fehlen
Auch in der Arbeitswelt genügt es oft nicht, ein halbwegs fließendes Türkisch zu sprechen, erklärt Nesrin Altintop. Die Juristin, die in Bamberg als Kind türkischer Gastarbeiter geboren wurde, hat bei ihrer Arbeit gemerkt, dass ihr Vokabeln fehlen:
"Gerade die juristische Sprache, ist ja im Deutschen auch so. Also die juristische Sprache, die hat so viele osmanische Wörter, alte türkische Wörter. Das war sehr, sehr schwierig am Anfang."
Und auch der Umgang untereinander ist anders:
"Dass man zum Beispiel der Putzfrau oder dem Chauffeur nicht ‚Guten Morgen' sagt. Das macht man nicht, wenn man in dem Unternehmen eine Position erreicht hat, dann unterhält man sich mit diesen Menschen nicht."
Aus der Studie des Bundesamtes für Migration geht hervor, dass eine Abwanderung, Auswanderung oder Rückkehr keinesfalls eine endgültige „Abkehr" von Deutschland bedeutet. Nesrin Altintop zum Beispiel. Die gesellschaftliche Entwicklung in der Türkei entsprach nicht mehr den Vorstellungen der Juristin und so entschloss sie sich vor zwei Jahren zur Rückkehr nach Deutschland:
"Man muss sich ganz klar bewusst machen, dass es eine neue Türkei ist, dass ist nicht mehr die Türkei, die ich von meinen Eltern kennengelernt habe. Sondern die Religion steht ganz klar im Fokus. Bereut habe ich die Zeit nie. Ich habe eine neue Kultur kennengelernt, ich durfte beruflich große Projekte betreuen, die hätte ich in Deutschland wahrscheinlich erst mit 50 betreuen dürfen. War 'ne tolle Zeit, würde ich immer wieder machen."