István Kemény: "Ein guter Traum mit Tieren"

Poetischer Spagat über dem Abgrund

Herbstblätter liegen am Abend in Bamberg vor einem gut besuchten Wirtshaus.
Im Titelgedicht "Ein guter Traum mit Tieren" stellt sich der Dichter als Wirt einer Pilgerherberge vor. © picture alliance / dpa / Nicolas Armer
Von Jörg Plath |
In István Keménys Gedichtband "Ein guter Traum mit Tieren" ist die Liebe des lyrischen Ichs, einem Mann in den besten Jahren, zerrieben vom Alltag, die Frau ist gegangen und die Kinder sind aus dem aus Haus. Gibt es trotzdem Hoffnung?
Ein großer Sportler ist Istvan Kemény vermutlich nicht. Aber viele seiner Gedichte in dem neuen Band "Ein guter Traum mit Tieren" erinnern an einen Spagat. Bemerkenswert leichthändig verbindet das lyrische Ich des Ungarn, von dem neben einem weiteren Gedichtband ("Nützliche Ruinen") ein begeisternder Roman ("Liebe Unbekannte") auf Deutsch vorliegt, immer wieder weit Entferntes miteinander: Vergangenheit und Zukunft, Jugend und Alter, heiße Liebe und fade Desillusion, hoch fliegende Ideale und schale Realität.
Das erste Gedicht des Bandes siedelt das lyrische Ich verzitternd dazwischen an:
"Der, der ihn abschoss, ist schon lange tot,
das Ziel noch nicht einmal geboren.
Der Pfeil saust gerade durch das Haus.
Meine Erlebnisse sind im Entstehen.
Erinnerungen werden sinnlos vergehen.
Wie ein Kondensstreifen sehe ich verschwindend aus."
"Kleine Elegie" heißt der Sechszeiler. Der Dichter nimmt sich nicht allzu wichtig.
Der Band enthält in vier Abteilungen Gedichte eines Mannes in den besten Jahren, was Istvan Kemény, 1961 in Budapest geboren, durchaus ist. Die Liebe ist zerrieben vom Alltag, die Frau gegangen, die Kinder sind aus dem Haus, der Vater ist tot, die Nation garstig. Im Titelgedicht "Ein guter Traum mit Tieren" stellt sich der Dichter als Wirt einer Pilgerherberge vor. Seine Gäste haben Tiere: eine Schlange, einen Wolf, eine Eule. Und sie erzählen selbst, weshalb der Wirt nur knapp über sich sagt: "ich war auch ein pilger, istván, / jetzt habe ich einen gasthof für pilger / alles, was sich bewegt, kann bei mir schlafen."
Nicht zynisch, aber depressiv und schwierig
Mit charakteristischem leisem, lakonischem Witz schließt Kemény im letzten Satz das Bewegte und das im Schlaf Unbewegte kurz und bezieht Stellung am Rand. Der Wirt war einst Pilger, erhofft aber inzwischen keine Befreiung mehr von den Sünden, und selbst Pilgerwirt zu sein, glückt ihm nur in einem "guten traum", nicht in der Wirklichkeit.
In ihr ist er ein enttäuschter Liebhaber: enttäuscht von der Geliebten, von der Heimat, von der Familie, nicht zynisch, aber "depressiv, schwierig". Der Enttäuschte lässt die Objekte seiner Liebe nicht einfach fahren, zu lange war er ihnen nahe. Er versucht nur, ein wenig Distanz zu gewinnen. Auch das ist ein Spagat.
Das "berühmte kleine Ungarnland", das böse ist, bekommt den Marsch geblasen aus alter Anhänglichkeit, und auch die Eltern, die Juden beschimpfen, werden sanft und unmissverständlich korrigiert und weiter geliebt. Auf ein wenig Distanz zum eigenen Kleinmut hofft der Dichter auch, passend kleinmütig. Von der Gegenseite, vom König und von Gott, ist ja nichts zu erwarten: Auf die Frage nach dem Sinn des Lebens ertönt seit jeher nur Schweigen. Seine Enttäuschung darüber spricht Kemény in gleich drei Gedichten aus.
In ihrem Nachwort erklären die Übersetzerinnen und Lyrikerinnen Orsolya Kalász und Monika Rinck das Nichts zum "Totemtier" Keménys: Er bedichte es. Tatsächlich findet sich das Nichts in den frühen Poemen öfter. In den neuen aber wird es nur zweimal erwähnt, einmal gar als "Stützknochen". Kemény ist sicher nicht hoffnungsvoller geworden, aber der Spagat gelingt ihm besser: der Spagat über den Abgrund.

István Kemény: "Ein guter Traum mit Tieren"
Aus dem Ungarischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Osolya Kalász und Monika Rinck
Matthes & Seitz, Berlin 2015
144 Seiten, 19,90 Euro