Selber lernen, Programmierprofi zu werden
15:12 Minuten
Allein die Liebe zum logischen Denken zählt. In Heilbronn startet die IT-Schule "42", für die man kein Abitur braucht und auch nichts bezahlen muss. Geld gibt unter anderem die Stiftung des Lidl-Gründers Dieter Schwarz.
Thomas Bornheim führt mit dem Smartphone in der Hand durch die riesige ehemalige Fabrikhalle mitten in Heilbronn. Lange Reihen mit Rechnern stehen am Rand, in der Mitte bunte Sitzsäcke und Stehtische. Darüber schweben noch alte Metallkräne an der Hallendecke.
Bornheim ist Leiter der neuen Programmierschule 42. Die Antwort auf alle Fragen – 42. Nach dem Kult- und Nerdroman "Per Anhalter durch die Galaxis". Noch ist sie leer, die "42". Wegen Corona. Aber sie soll Lebensmittelpunkt für rund 700 Studierende werden.
Die Studierenden sollen sich wohlfühlen im Industriecharme. Ein bisschen Silicon Valley-Gefühl - wenn es dann losgeht und sie hier zu KI-Spezialistinnen, Netzwerkexperten und Spieleentwicklerinnen ausgebildet werden. Oder vielmehr: Sich selbst ausbilden.
Keine Kurse, keine Lehrenden, keine Theorie
Das ist das Prinzip der Schule: Menschen bringen sich in Gruppen selbst bei, wie man programmiert. Schritt für Schritt.
"Es ist darauf angelegt, dass Menschen Lust haben, vor schwierigen Aufgaben zu sitzen und sich zu überlegen: Wie löse ich das denn jetzt auch ohne irgendeine Art Hilfestellung?" erklärt Bornheim.
Projektbasiertes lernen und arbeiten. Das kennt Bornheim aus seiner Zeit bei Google. 14 Jahre hat er für den Konzern gearbeitet. Das Schulprinzip hat ihm deshalb eingeleuchtet: keine Kurse, keine Lehrenden, keine Theorie.
Die Schule stellt nur die Ausstattung und immer wieder neue Aufgaben, die man bewältigen muss. Das fängt spielerisch an, sagt Bornheim, unter anderem mit Sudoku:
"Eine Aufgabe ist es zum Beispiel, einen Sudoku-Lösungsalgorithmus zu entwickeln. Du bekommst dann den Input in deinen Computer. Da gibt's dann die genaue Definition: Was steht da in den Feldern drin? Dann anzufangen und zu überlegen: Wie baue ich denn jetzt so einen Lösungsalgorithmus auf, also wie gehe ich jetzt strukturiert vor?"
Die Mitschülerin prüft den Code
Das geht durch Nachdenken. Aber eben auch, wenn man sich gegenseitig hilft, sagt Stina Lützenkirchen. Sie ist vor drei Jahren nach dem Abitur von Karlsruhe nach Paris gegangen und studiert bis heute an der dortigen 42-Schule:
"Man muss sich viel mit den anderen austauschen, weil man wirklich das meiste von den anderen lernt. Also man hilft sich gegenseitig. Natürlich kann man auch viele Informationen im Internet finden, das ist dann die andere Quelle, die man verwendet, um Lösungen zu finden."
Wenn das Programm geschrieben ist, kontrollieren andere das Ergebnis und lernen so voneinander:
"Dann werden automatisch andere Studierende ausgewählt. Die kommen dann zu dir an den Sitzplatz und schauen sich den Code an. Und dann gibt’s ein Formular und das geht man dann Punkt für Punkt durch und schaut, ob alles gut gemacht wurde."
Schon wartet die nächste, schwierigere Aufgabe. Wie im Computerspiel: Level für Level.
Bornheim: "Wenn man daran Spaß hat, auch eine Ebene höher zu gehen und sich zu überlegen ‚Was für Regeln wende ich da eigentlich an, wenn ich so ein Sudoku-Puzzle löse?‘ - dann ist es genau das Richtige hier."
Das Sudoku-Rätsel muss man schon in der Bewerbungsphase lösen. Ein vierwöchiges Bootcamp. Die "Piscine", also: Schwimmbad auf Französisch.
"Also, man wird wirklich in das kalte Wasser geschmissen."
Ohne Vorkenntnisse, aber mit Interesse am Computer
Lützenkirchen hatte damals keine Ahnung vom Programmieren. Wie viele hier:
"Auch in Mathe bin ich nicht gerade ein Genie, also tatsächlich eher so das Interesse an den Computern selbst, das mich dann dahin gebracht hat."
Ein bis anderthalb Jahre Grundstudium. Dann kommt das Praktikum. Lützenkirchen hat in einem französischen Energieunternehmen einen Chatbot programmiert und darf dort neben ihrem Studium weiterarbeiten.
Damit ist sie keine Ausnahme: Viele Studierende an den 42-Schulen weltweit bekommen einen Job, noch bevor sie überhaupt zu Ende studiert haben. Vielleicht sind sie auch deshalb begehrt, weil das Studium viel mehr bringe als nur Fachkenntnisse, sagt Lützenkirchen:
"Man muss wirklich viel Eigeninitiative mitbringen. Man kann zur Schule gehen, wann man möchte. Morgens, man kann sogar über Nacht bleiben, also die Schule ist wirklich 24/7 geöffnet. Wenn man Gruppenprojekte macht, dann spricht man sich ab, wann man da ist und: Das ist auf jeden Fall viel mehr als nur das Programmieren."
Lernsprache ist Englisch
Das Abitur braucht man übrigens nicht unbedingt. Lernsprache ist Englisch. Die internationale Schule ist offen für alle ab 18. Im Schnitt sind die Studierenden weltweit um die 26 Jahre alt. Das Ziel: Gleich viele Frauen wie Männer sollen dabei sein, sagt Bornheim. In Heilbronn sind bisher nur ein Drittel Frauen in der Auswahlrunde.
Die "42" ist zwar nicht als Hochschule anerkannt, aber das Studium kostet nichts. Nebenbei arbeiten geht, wenn man dann länger studiert. Sonst sorgen für den Lebensunterhalt entweder die Eltern oder ein Stipendium:
"Wir sind auch auf der Suche nach Spendern für unser Angebot. Die Spenden, die da geleistet werden, die können dann eben unseren Studierenden zugutekommen."
Das gehört zum Konzept. Auch, dass die Schule immer von privaten Geldgebern finanziert wird. In Wolfsburg durch VW. In Heilbronn durch eine Stiftung:
"Das ist richtig, die Dieter-Schwarz-Stiftung unterstützt uns bei den operativen Kosten."
Gebäude, Ausstattung und die sechs Angestellten. Dahinter steckt der Gründer des Supermarktimperiums Lidl und Kaufland: Dieter Schwarz aus Heilbronn. Was das kostet?
Die Stiftung kaufte die Fabrikhalle
Über Geld wird nicht gesprochen. Das ist bei eigentlich allen Projekten der Dieter-Schwarz-Stiftung so. Die 42-Schule fördere man, um dem Mangel an IT-Fachkräften in der Region entgegenzuwirken, heißt es in einer Mitteilung. Die Stadt Heilbronn spricht von einem Glücksfall:
"Dass so eine bedeutende Bildungseinrichtung, die sehr innovativ in die Zukunft denkt, nach Heilbronn kommt, ist wirklich für uns als Stadt ein riesengroßer Gewinn", sagt Jan Fries. Er ist im Heilbronner Rathaus zuständig für Stadterneuerung und damit auch für die 42-Schule. Die sollte unbedingt in die Fabrikhalle kommen, und zwar in Rekordzeit. Vor gut einem Jahr kam die Dieter-Schwarz-Stiftung auf die Stadt zu, um das Objekt zu kaufen und schnell für die Bewerbungsphase der neuen Programmierer fit zu machen:
"Also Druck würde ich es nicht nennen, sondern eher der Ansporn, schnell diese doch tollen Lösungen wirklich Realität werden zu lassen."
Damit liegt die 42-Schule direkt neben dem Bildungscampus von Heilbronn. Das findet auch Thomas Bornheim super. Er kann es kaum erwarten, dass es endlich auch vor Ort losgeht.
Nicht nur Karriere im Blick
"In diesem ganzen Bereich haben wir unseren kleinen Eventspace. Hier haben wir die Möglichkeit, auch Leute von außen einzuladen."
Auf einer offenen Fläche in der Fabrikhalle sollen dann mal die Firmen vorbeikommen. Sollen Studis und Unternehmen sich beschnuppern und Hackathons stattfinden, Programmierevents, an denen Profis und Nachwuchs mehrere Tage lang zusammen an kreativen Programmierideen basteln.
Das Interesse der Unternehmen aus der Region sei sehr groß, sagt Schulleiter Bornheim:
"Da haben wir tolle Gespräche mit Unternehmen aus der Region geführt."
Auch das Supermarktunternehmen von Stiftungsgründer und Geldgeber Dieter Schwarz in der Region arbeitet an einer großen Plattform fürs Speichern in der Cloud. Als Alternative zu US-Firmen wie Microsoft und Amazon. Dafür braucht es Fachkräfte.
Für Bornheim soll es an der 42 aber nicht nur um Karriereplanung gehen:
"Das ist mir ganz wichtig, jetzt nicht da den Studierenden und die Menschen hier als Produkt wahrzunehmen. Für mich stehen die Menschen im Mittelpunkt und die zukünftigen Studierenden bei uns."