Italien

Die Angst vor einem Zerfall Libyens

Ein Anhänger des IS mit der Flagge der Miliz
Ein Anhänger des IS mit der Flagge der Miliz © afp
Von Markus Epping |
Die Extremisten der Terrorgruppe IS haben im Bürgerkriegsland Libyen eine neue Machtbasis aufgebaut. Wenn die IS-Miliz in Libyen weiter an Macht gewinne, dann seien die Terroristen Europa so nah wie nie, meint Markus Epping.
Italien warnt vor einer politischen Katastrophe in Libyen. Das ist nicht nur verständlich, schließlich ist Libyen für Italien fast ein Nachbarland, sondern die Warnung ist auch richtig. Das Chaos in Libyen geht ganz Europa an - wenn die Extremisten der Terrorgruppe IS in Libyen weiter an Macht gewinnen, dann sind die Terroristen Europa so nah wie nie.
IS gewinnt an Einfluss
Was ist passiert? Libyen hat seit dem Sturz von Machthaber Gaddafi vor vier Jahren nie eine klare öffentliche Ordnung gefunden. Seit Jahren kämpfen unterschiedliche Milizen gegeneinander, es gibt zwei Regierungen: Die eine, weltlich orientiert und von der internationalen Gemeinschaft anerkannt, in Tobruk - und die Gegenregierung, islamistisch geprägt, in Tripolis. Dieses Chaos hat es den Terroristen des Islamischen Staats ermöglicht, ganze Städte zu erobern, wie Derna an der Mittelmeerküste. Der IS kontrolliert Libyen nicht, aber er gewinnt an Einfluss.
Kein anderes EU-Land spürt das so wie Italien. Das Land lebt seit einer Woche mit einer expliziten Drohung der Terroristen. In dem Video, in dem IS-Kämpfer koptische Christen enthaupten, spricht einer der Kämpfer in die Kamera: Wir werden das Meer mit Eurem Blut tränken, wir stehen im Süden von Rom. Der Schock in Italien nach dem Video war groß, verständlicherweise. Nur ein Streifen Mittelmeer trennt Sizilien von der libyschen Küste. Wie perfide die Terror-PR wirkt, lässt sich daran sehen, dass einige italienische Politiker gleich einen Militäreinsatz gegen den IS in Libyen forderten.
Matteo Renzi hält eine Rede und gestikuliert dabei.
Italiens Regierungschef Matteo Renzi bewahrt die Ruhe.© picture alliance / dpa / Fabio Frustaci
Ein Glück, dass Italiens Regierungschef Renzi die Ruhe bewahrte. Der 40-Jährige, sonst nicht gerade verlegen, wenn es um starke Sprüche geht, pfiff zum Teil seine eigenen Leute zurück und gab Italiens Linie vor: kein Militäreinsatz in Libyen, schon gar nicht im Alleingang. Aber: Italien wird sich mit aller Kraft für eine diplomatische Lösung im Rahmen der UNO einsetzen.
Internationale Diplomatie-Initiative für Libyen
Seitdem ist Italien international eine treibende Kraft bei der Suche nach einer Lösung für die Libyen-Krise. Es ist mit ein Erfolg der italienischen Regierung, dass sich der UNO-Sicherheitsrat diese Woche mit Libyen befasst hat. Renzi und seine Regierung wollen eine große internationale Diplomatie-Initiative für Libyen. Die schon bestehende UNO-Mission soll ein Gesicht bekommen, der neue Leiter eine international bekannte Persönlichkeit sein. Namen wie Bill Clinton machen die Runde, Tony Blair oder der frühere EU-Chefdiplomat Javier Solana. Italien hätte selbst einen ausgezeichneten Kandidaten - auch wenn Renzi nicht so gut mit ihm kann: Romano Prodi, früher selbst Regierungschef in Italien und davor EU-Kommissionspräsident.
Wer in Libyen Frieden voranbringen will, muss dafür sorgen, dass die zwei bestehenden Regierungen miteinander verhandeln. Italien könnte das richtige Land sein, um die Gespräche in Libyen in Gang zu halten. Italiens Diplomaten haben immer noch direkte Kontakte nach Libyen, sie sind über Jahrhunderte gewachsen, Italien war Kolonialmacht in Libyen. Italienische Firmen sind zu hunderten in Libyen aktiv. Italiens Botschaft in Tripolis war so lange geöffnet wie keine andere, nämlich bis vor einer Woche, da hat ein Schiff mit Marinebegleitung die verbliebenen Italiener in ihre Heimat gebracht.
In Libyen könnte eine IS-Front entstehen
Hier, in Italien, ist die Bedrohung durch die Krise in Libyen seit dieser Woche noch durch einen ganz anderen Aspekt konkret geworden. Informationen machen die Runde, dass der IS Kämpfer auf Flüchtlingsboote setzen könnte, um sie so nach Europa einzuschleusen. Glücklicherweise haben Italiens Behörden bis jetzt keinen einzigen Hinweis darauf, dass der IS Kämpfer auf Flüchtlingsboote setzt. Vermutlich haben die Terroristen das auch gar nicht nötig. Denn der religiöse Extremismus ist ja eben keine Gefahr, die nur von außen zu uns kommen könnte. Gewaltbereite Islamisten gibt es jetzt schon in Europa. Die Attentäter von Paris und Kopenhagen waren gebürtige Europäer.
Eine Bedrohung aber ist realistisch und auf genau die weist uns Italien in diesen Tagen hin: In Libyen könnte eine zweite IS-Front entstehen. Die meisten EU-Länder schauen außenpolitisch momentan nur auf die Ukraine und den Islamischen Staat in Syrien und dem Irak. Für Italien ist momentan Libyen viel wichtiger. Es ist an der Zeit, dass die anderen EU-Länder Italiens Sichtweise mehr Beachtung schenken.
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