Italienexkursion mit Hausdiener
In "Aby Warburg, mit Bing in Rom, Neapel, Capri und Italien" haben Reflexionen zu Renaissance und Antike genauso Platz wie Ärger im Restaurant und körperliche Gebrechen. Die Kunsthistorikerin Karen Michels lässt mit ihrer liebevollen Mischung aus Tagebuch und Reiseführer die 1920er wieder aufleben.
Kein anderes Land ist so gesegnet mit Kunstschätzen wie Italien. Und kein anderes scheint so fahrlässig mit ihnen umzugehen. Berlusconien, so war jüngst zu erfahren, lässt sein Erbe verkommen: In Pompeji stürzen Häuser ein, am römischen Kolosseum bröckeln die Mauern. Bildungsreisende, die es seit Jahrhunderten aus dem Norden in den Süden zieht, treffen Trümmerfelder an, die nicht in der Antike, sondern zu Beginn des 21. Jahrhunderts entstanden, unter anderem durch hemmungslosen Touristenandrang.
Das Buch "Aby Warburg. Mit Bing in Rom, Neapel, Capri" erinnert an eine Epoche des Reisens, die bereits über die Bequemlichkeiten moderner Technik verfügte, aber die Zumutungen des Massentourismus noch nicht kannte. Der Hamburger Kunsthistoriker, Kulturwissenschaftler und Bibliotheksgründer Aby Warburg (1866-1929), Sohn einer höchst vermögenden jüdischen Bankiersfamilie, reiste im Jahr 1928 mit seiner jungen Assistentin Gertrud Bing durch Italien. Es ist keine Erholungs-, aber auch keine übliche Besichtigungsreise, sondern ein privates Forschungsprojekt.
Warburg, der sich seit seiner Studienzeit mit der Entwicklung neuer kunstwissenschaftlicher Methoden wie der Ikonografie befasste und um die Jahrhundertwende bereits mehrere Jahre in Florenz gelebt hatte, arbeitete an dem "Bilderatlas Mnemosyne", einer Sammlung von Abbildungen aus allen möglichen Bereichen von Kunst und Alltag, die das Nachleben der Antike in der italienischen Gegenwartskultur veranschaulichen sollte.
Das Paar, das sich, begleitet von einem Hausdiener, nach Italien aufmacht, ist ein wenig kurios: Aby Warburg ist 62, Gertrud Bing 36 Jahre alt; er ist Kunsthistoriker, sie Philosophin; er ist verheiratet, sie Junggesellin, allerdings seit 1922 heimlich mit Warburgs engstem Hamburger Mitarbeiter verlobt. Er kennt Italien wie seine Westentasche, sie kennt außer Florenz nichts. Aber gerade aus dieser Konstellation und aus dem Dialog der beiden Reisegefährten bezieht das Buch seinen Reiz.
Warburg und Bing führten während ihres Italienaufenthaltes, der für drei Monate angelegt war und sich schließlich auf fast ein dreiviertel Jahr dehnte, ein Reisetagebuch, in dem sie sämtliche Eindrücke festhielten: Reflexionen zu Renaissance, Antike und Barock ebenso wie Ärger mit Kellnern, Straßenszenen, Zufallsbekanntschaften, Schnupfen, Kopfweh, Heiserkeit und andere körperliche Malaisen.
Das umsichtig und liebevoll von der Kunsthistorikerin Karen Michels geformte und herausgegebene Buch verschränkt die Tagebuchpassagen so, dass der Leser tatsächlich den Eindruck hat, dem Gespräch der zwei Reisenden als stiller Dritter beizuwohnen, ja, sie auf ihrer Reise zu begleiten. Denn die Kunstwerke, die in den Tagebüchern beschrieben werden, sind zum großen Teil im Buch auch abgebildet.
So ist das Buch "Aby Warburg. Mit Bing in Rom, Neapel, Capri und Italien" selbst ein Kunstwerk bibliophiler Art: eine Mischung aus Reiseführer, Tagebuch und munterem Feldforschungsbericht.
Besprochen von Ursula März
Karen Michels: "Aby Warburg, mit Bing in Rom, Neapel, Capri und Italien. Auf den Spuren einer ungewöhnlichen Reise", corso Verlag, Hamburg 2010, 144 Seiten mit Abbildungen, 26,90 Euro
Das Buch "Aby Warburg. Mit Bing in Rom, Neapel, Capri" erinnert an eine Epoche des Reisens, die bereits über die Bequemlichkeiten moderner Technik verfügte, aber die Zumutungen des Massentourismus noch nicht kannte. Der Hamburger Kunsthistoriker, Kulturwissenschaftler und Bibliotheksgründer Aby Warburg (1866-1929), Sohn einer höchst vermögenden jüdischen Bankiersfamilie, reiste im Jahr 1928 mit seiner jungen Assistentin Gertrud Bing durch Italien. Es ist keine Erholungs-, aber auch keine übliche Besichtigungsreise, sondern ein privates Forschungsprojekt.
Warburg, der sich seit seiner Studienzeit mit der Entwicklung neuer kunstwissenschaftlicher Methoden wie der Ikonografie befasste und um die Jahrhundertwende bereits mehrere Jahre in Florenz gelebt hatte, arbeitete an dem "Bilderatlas Mnemosyne", einer Sammlung von Abbildungen aus allen möglichen Bereichen von Kunst und Alltag, die das Nachleben der Antike in der italienischen Gegenwartskultur veranschaulichen sollte.
Das Paar, das sich, begleitet von einem Hausdiener, nach Italien aufmacht, ist ein wenig kurios: Aby Warburg ist 62, Gertrud Bing 36 Jahre alt; er ist Kunsthistoriker, sie Philosophin; er ist verheiratet, sie Junggesellin, allerdings seit 1922 heimlich mit Warburgs engstem Hamburger Mitarbeiter verlobt. Er kennt Italien wie seine Westentasche, sie kennt außer Florenz nichts. Aber gerade aus dieser Konstellation und aus dem Dialog der beiden Reisegefährten bezieht das Buch seinen Reiz.
Warburg und Bing führten während ihres Italienaufenthaltes, der für drei Monate angelegt war und sich schließlich auf fast ein dreiviertel Jahr dehnte, ein Reisetagebuch, in dem sie sämtliche Eindrücke festhielten: Reflexionen zu Renaissance, Antike und Barock ebenso wie Ärger mit Kellnern, Straßenszenen, Zufallsbekanntschaften, Schnupfen, Kopfweh, Heiserkeit und andere körperliche Malaisen.
Das umsichtig und liebevoll von der Kunsthistorikerin Karen Michels geformte und herausgegebene Buch verschränkt die Tagebuchpassagen so, dass der Leser tatsächlich den Eindruck hat, dem Gespräch der zwei Reisenden als stiller Dritter beizuwohnen, ja, sie auf ihrer Reise zu begleiten. Denn die Kunstwerke, die in den Tagebüchern beschrieben werden, sind zum großen Teil im Buch auch abgebildet.
So ist das Buch "Aby Warburg. Mit Bing in Rom, Neapel, Capri und Italien" selbst ein Kunstwerk bibliophiler Art: eine Mischung aus Reiseführer, Tagebuch und munterem Feldforschungsbericht.
Besprochen von Ursula März
Karen Michels: "Aby Warburg, mit Bing in Rom, Neapel, Capri und Italien. Auf den Spuren einer ungewöhnlichen Reise", corso Verlag, Hamburg 2010, 144 Seiten mit Abbildungen, 26,90 Euro