Italienische Abrechnung

Rezensiert von Klaus-Rüdiger Mai |
Die Italiener sind mit ihren Politikern so unzufrieden, dass sie die Protestbewegung 5 Sterne ins Parlament schickten. Deren Gründer Beppe Grillo hält sich mit beißender Kritik nicht zurück - so auch in einem nun veröffentlichten Gespräch mit dem Informatiker Gianroberto Casaleggio und dem Dramatiker Dario Fo.
Die Parlamentswahlen 2013 in Italien überraschten. Nicht nur Beppe Grillos 5-Sterne-Bewegung, sondern auch Silvio Berlusconis Parteienbündnis erhielt einen hohen Stimmenanteil. Ein verärgerter Peer Steinbrück kommentierte, dass zwei Clowns gewonnen hätten.

Die Bemerkung offenbart die Überheblichkeit etablierter Politiker. Hier liegt der Erfolg von Beppe Grillo begründet: nicht in der Politikmüdigkeit, sondern im Politikerüberdruss der Bürger.

Südeuropa bekommt harte Sparauflagen diktiert, die Arbeitslosigkeit im Allgemeinen und die Jugendarbeitslosigkeit im Besonderen schnellen in beängstigende Höhen. Da sind es zumindest die Grillo-Anhänger in Italien Leid, eine Klasse zu tragen, die sich scheinbar nicht für die Bürger, sondern nur für sich selbst interessiert.

"Entweder das System der repräsentativen Demokratie ändert sich tatsächlich, oder man riskiert fürchterliche soziale Unruhen. Wir sind ein Puffer (...) gegen extremistische Bewegungen, und ganz gewiss tragen wir dazu bei, dass es keine schweren sozialen Unruhen gibt."

Stimmt das? Sind solche Bewegungen Symptom der Krise oder deren Lösung? Wer ist Beppe Grillo? Nur ein Clown? Vieles wirkt an ihm schrill, ungewohnt, seltsam, vieles wie eine große Theatergeste. Er ist vieles in einem Komiker und Schauspieler, Aktivist und Blogger, kompromisslose wie autoritäre Führungsfigur.

Beppe Grillo schreibt nicht, er unterhält sich: mit Gianroberto Casaleggio, der einst Geschäftsführer bei Olivetti war und mit ihm die Bewegung "5 Sterne" gründete, und mit Dario Fo, dem Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger des Jahres 1997.

Grillo und Casaleggio sehen die Demokratie in der Krise
Wer glaubt, etwas kurz und bündig zu erfahren, so wie auf dem Buchdeckel versprochen über Demokratie, Italien und die Zukunft Europas, wird enttäuscht sein. Der Leser wohnt einem leicht dramatisierten Gespräch bei, in dem Themen aufgenommen und wieder fallen gelassen werden, wie es bei einem launigen Spaziergang vorkommt.

Grillo und Casaleggio sehen die repräsentative Demokratie in der Krise, weil sie dazu führte, dass eine Parteienoligarchie mit einer Kaste von Berufspolitikern entstand, die sich hemmungslos bereichert:

"Der Staat sollte endlich demokratisch werden mit einem neuen Regelsystem im Dienst des Bürgers und nicht der Konzerne und der Banken."

Dafür nennen sie italienische Beispiele. So hatte Romano Prodi, bevor er aus dem Amt des Regierungschefs schied, in einem kleinen Gesetz die Energieversorgung und den Atommüll zu Angelegenheiten des nationalen Interesses erklärt. Das bedeutet ...

"... dass Regierungsentscheidungen in diesem Bereich nun alle regionalen oder kommunalen Bestimmungen außer Kraft setzen können – und sogar mithilfe der Streitkräfte durchgesetzt werden können."

Und nicht nur das. Beppe Grillo wirft den Politikern vor, hinterrücks die Demokratie abzubauen.

Der EU-Kommission unterstellt er, dass sie zumeist zugunsten der Lobbyisten, der Konzerne und Banken entscheide. Gemeinsam mit der EZB sei ein System zur Ausbeutung der italienischen Bevölkerung geschaffen worden. Das geschieht aus seiner Sicht im Interesse von Frankreich und Deutschland.

"Frankreich, Deutschland und Großbritannien haben ein Interesse daran, dass wir in einer Position der Abhängigkeit verbleiben. Sie wollten nie ein industriell starkes, unabhängiges Italien; für sind wir Konkurrent (...)"

Die drei Italiener auf ihrem Spaziergang durch die europäische Krise fürchten, dass der Euro den Kontinent nicht einige, sondern Hass und Zwietracht sähe. Man kann die Symptome nachvollziehen, die sie beschreiben, und ahnt gemeinsam mit ihnen, dass es mit Reformen nicht getan sein wird.

Cover: "5 Sterne. Über Demokratie, Italien und die Zukunft Europas" von Beppe Grillo, Gianroberto Casaleggio, Dario Fo
Cover: "5 Sterne. Über Demokratie, Italien und die Zukunft Europas" von Beppe Grillo, Gianroberto Casaleggio, Dario Fo© Verlag Klett-Cotta
Plädoyer für eine direkte Demokratie via Internet
Ja, ich bin bereit zuzustimmen, dass ein Paradigmenwechsel ansteht. Nicht aber, wenn die drei sich vorstellen, eine direkte Demokratie via Internet zu verwirklichen. Da bewegen sie sich auf einem gefährlichen Irrweg. So schwärmt Gianroberto Casaleggio beispielsweise davon, mit Gegenständen in Interaktion zu treten.

"Die Tasse, aus der ich meinen Kaffee getrunken habe, sagt mir dann, wie viel Zucker im Kaffee war, welche Kaffeemarke ich bestellt habe (...) und (wird) zu mir sagen: Guten Tag Roberto, aus dieser Tasse hast du schon an dem und dem Ort getrunken."

Welch paradiesische Vorstellung für die, die nach unseren Daten greifen, alles über uns wissen wollen, ob es nun Suchmaschinen oder Geheimdienste wie die NSA sind!

Zu Recht wendet Dario Fo ein, dass es nicht nur eine Schwarmintelligenz, sondern auch eine Schwarmdummheit gibt. Das Netz allein befreit die Demokratie nicht von Plagen. Da gäbe es wahrlich viel zu streiten.

Leider sind sich Grillo, Casaleggio und Fo in vielem so einig, dass sie sich 235 Seiten lang gegenseitig bestätigen – mit einem gerüttelt Maß an intellektueller Eitelkeit. Die Themen, die besprochen werden, hätten mehr intellektuelle Sorgfalt verdient, auch bessere Lösungsvorschläge.

Die europäische Literatur ist reich an Gesprächsbüchern, aber alle faszinieren durch einen Disput, der sich aus gegensätzlichen Anschauungen entwickelt. Zwei Landsleute haben es den drei Italienern mustergültig vorgemacht: der Schriftsteller Umberto Eco und Carlo Maria Kardinal Martini mit ihrem Dialog über den Glauben.

Von Gottes Wirken übrigens scheint Gianroberto Casallegio überzeugt zu sein, weil er Erbarmen mit Italien, Europa und der Welt hatte, nämlich als nach Italien auch im Vatikan gewählt wurde.

"Es kann ja auch kein Zufall sein, dass es bisher noch keinen Papst gab, der sich Franziskus nannte."

Beppe Grillo, Gianroberto Casaleggio, Dario Fo: 5 Sterne. Über Demokratie, Italien und die Zukunft Europas
Aus dem Italienischen von Christine Ammann, Walter Kögler und Antje Peter
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2013
240 Seiten, 16,95 Euro

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