Italienische Aussichten
Rena, ein jüdisches 68er-Kind, reist mit ihrem Vater acht Tage lang durch die Toskana. Plötzlich verliert sie erst ihren arabischen Liebhaber, dann ihren Job als Aktfotografin - der Kurztrip wird zur Tortur. Eine charmante Geschichte, der auch die etwas holprige Konstruktion nichts anhaben kann.
Nancy Huston ist anglofone Kanadierin, die französisch schreibt, obwohl Englisch ihre Muttersprache ist. In der deutschen Literaturwelt liegen von den über 20 Büchern der Autorin nur drei vor und keine einzige ihrer geisteswissenschaftlichen Studien. Sie wurden mäßig rezensiert und übersehen. Und auch der neue Roman "Infrarot", mit dem der Rowohlt Verlag einen neuen Versuch wagt, wird es schwer haben.
Der erste Grund mag die buchgestalterisch platte Aufmachung sein: ein Männerhintern. Die Koketterie mit dem Frauenporno ist angesichts des geistigen Horizonts, den das Buch spannt, unerträglich reduziert, obwohl die Hautfigur Rena, eine Fotokünstlerin, unbestreitbar das Projekt verfolgt, nackte Männer auf Infrarotfilm festzuhalten - vor oder nach dem Vernaschen.
Der zweite Grund sind dramaturgische Schwächen: Rena, ein jüdisches 68er-Kind, besucht mit dem alten Vater und der Stiefmutter die Toskana. Während der an sich gutgelaunten Ferien ereignen sich in den Pariser Banlieues (im Jahr 2005) die Aufstände. Rena wird nicht nur von ihrem Liebsten Aziz, sondern auch von ihrem Fotoradakteur zurück nach Paris beordert - beim Vater wird zufällig ein Gehirntumor gefunden. Ihren Job beim Fotomagazin verliert sie, der Geliebte verlässt sie. Dramaturgisch ist das riskant, weil Paris für die Toskana-Reisende Rena und für die Handlung des Romans immer eine deus-ex-machina-Funktion hat. Immer wenn ein Bogen auserzählt ist, klingelt das Telefon aus Paris.
Aber weder der pornografische Aspekt (die Koitus-Schilderungen sind zahlreich) noch die etwas holprige Konstruktion können dem Charme der Geschichte und dem Witz der schlichten Sprache etwas anhaben. Vielleicht ist es sogar ein Pluspunkt, dass die kulturphilosophischen Horizonte (von Geschlechterprägungen, Judentum und Christentum, von sexueller Befreiung und kultureller Veränderung) in so einfachem Schema daherkommen.
Rena hat mit ihrem Vater schon mit 17 LSD genommen und erkor - warum auch nicht - die Sexualität zu ihrem Lebensprojekt. Systematisch erkundete sie Männerkörper und ließ sich in ihrer künstlerischen Arbeit inspirieren. Entgegen einer kulturpessimistischen Sicht wie bei Houellebecq, ist bei Huston die 68er-Befreiung eine Aufforderung zur sexuellen Fairness - und, auch wenn ihre Liebe scheitert, durchaus handhabbar. Nur geht alles - und das wird in Florenz deutlich - viel zu schnell: Die heiligen Wahrheiten sind längst gestürzt, neue Denkwege sind kompliziert oder kommen aus Asien, die Geschlechterrollen purzeln durcheinander.
Kurz: "Infrarot" ist die Geschichte einer nicht hoffnungslosen Krisis, die wie ein freizügiger Frauenroman daherkommt, aber die geistige Situation unserer Gegenwart literarisch intelligent reflektiert. Es ist zu hoffen, dass Nancy Huston mit diesem oder dem nächsten Buch ein Interesse beim deutschen Publikum erweckt.
Besprochen von Marius Meller
Nancy Huston: Infrarot
Roman. Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Rowohlt Verlag, Reinbek 2012
327 Seiten, 19,95 Euro
Der erste Grund mag die buchgestalterisch platte Aufmachung sein: ein Männerhintern. Die Koketterie mit dem Frauenporno ist angesichts des geistigen Horizonts, den das Buch spannt, unerträglich reduziert, obwohl die Hautfigur Rena, eine Fotokünstlerin, unbestreitbar das Projekt verfolgt, nackte Männer auf Infrarotfilm festzuhalten - vor oder nach dem Vernaschen.
Der zweite Grund sind dramaturgische Schwächen: Rena, ein jüdisches 68er-Kind, besucht mit dem alten Vater und der Stiefmutter die Toskana. Während der an sich gutgelaunten Ferien ereignen sich in den Pariser Banlieues (im Jahr 2005) die Aufstände. Rena wird nicht nur von ihrem Liebsten Aziz, sondern auch von ihrem Fotoradakteur zurück nach Paris beordert - beim Vater wird zufällig ein Gehirntumor gefunden. Ihren Job beim Fotomagazin verliert sie, der Geliebte verlässt sie. Dramaturgisch ist das riskant, weil Paris für die Toskana-Reisende Rena und für die Handlung des Romans immer eine deus-ex-machina-Funktion hat. Immer wenn ein Bogen auserzählt ist, klingelt das Telefon aus Paris.
Aber weder der pornografische Aspekt (die Koitus-Schilderungen sind zahlreich) noch die etwas holprige Konstruktion können dem Charme der Geschichte und dem Witz der schlichten Sprache etwas anhaben. Vielleicht ist es sogar ein Pluspunkt, dass die kulturphilosophischen Horizonte (von Geschlechterprägungen, Judentum und Christentum, von sexueller Befreiung und kultureller Veränderung) in so einfachem Schema daherkommen.
Rena hat mit ihrem Vater schon mit 17 LSD genommen und erkor - warum auch nicht - die Sexualität zu ihrem Lebensprojekt. Systematisch erkundete sie Männerkörper und ließ sich in ihrer künstlerischen Arbeit inspirieren. Entgegen einer kulturpessimistischen Sicht wie bei Houellebecq, ist bei Huston die 68er-Befreiung eine Aufforderung zur sexuellen Fairness - und, auch wenn ihre Liebe scheitert, durchaus handhabbar. Nur geht alles - und das wird in Florenz deutlich - viel zu schnell: Die heiligen Wahrheiten sind längst gestürzt, neue Denkwege sind kompliziert oder kommen aus Asien, die Geschlechterrollen purzeln durcheinander.
Kurz: "Infrarot" ist die Geschichte einer nicht hoffnungslosen Krisis, die wie ein freizügiger Frauenroman daherkommt, aber die geistige Situation unserer Gegenwart literarisch intelligent reflektiert. Es ist zu hoffen, dass Nancy Huston mit diesem oder dem nächsten Buch ein Interesse beim deutschen Publikum erweckt.
Besprochen von Marius Meller
Nancy Huston: Infrarot
Roman. Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Rowohlt Verlag, Reinbek 2012
327 Seiten, 19,95 Euro