"Schreiben für die Menschen, die man liebt"
Natalia Ginzburg gehörte zu den wenigen italienischen Schriftstellerinnen, die auch im Ausland großen Erfolg hatten. Das liegt vielleicht an ihrer zurückgenommenen, schlichten Erzählweise. Heute vor hundert Jahren wurde Ginzburg geboren.
Klein, kurzhaarig, in Rock, Strickjacke und Bluse gekleidet, ohne Aufhebens von sich zu machen, nimmt Natalia Ginzburg im September 1969 im Studio des italienischen Rundfunks RAI Platz. Ein Dutzend Romane hat sie bereits vorgelegt, außerdem Theaterstücke und Übersetzungen. Sie soll Auskunft über sich selbst geben, was ihr seit jeher schwer fällt.
"Ich weiß nicht, was mich zum Schreiben antreibt. Ich denke, wir schreiben, um mit unseren Nächsten zu kommunizieren."
Sie stammte aus einer jüdisch-katholischen Familie, war am 14. Juli 1916 in Palermo geboren worden und in Turin aufgewachsen, einer ernsten Stadt mit einer großen intellektuellen Tradition.
"Ich schreibe, seitdem ich zehn Jahre alt bin und habe mich nie gefragt, warum ich das tue, eher für wen. Da gäbe es mehrere Antworten, ich denke, man schreibt für seine Freunde, für die Menschen, die man liebt. Nicht für das große Publikum, eher schreibt man für fünf, sechs Personen, und hofft, dass sich dahinter dann fünf, sechs weitere verbergen. Wenn man schreibt, gibt es das Publikum nicht. Also, man arbeitet im Leeren."
Es war ein Freund ihres Bruders, der dafür sorgte, dass ihre ersten Erzählungen veröffentlicht wurden: Leone Ginzburg. Leone begründete Anfang der 30er-Jahre gemeinsam mit seinen Schulfreunden den Einaudi Verlag. Die jungen Leute waren im Widerstand gegen Mussolini aktiv. 1938 heirateten Leone und Natalia. Zwei Jahre später folgte die Verbannung durch das Regime nach Abruzzen, ein Verfahren, mit dem sich die Machthaber unliebsamer Personen entledigten. Leone arbeitete weiter für den Verlag, Natalia veröffentlichte 1942 ihren ersten Roman. Nach der Kapitulation Italiens 1943 besetzten die Deutschen den Norden des Landes, und Leone ging in den Untergrund.
"Einige Monate, nachdem wir das Dorf verlassen hatten, starb mein Mann im Gefängnis von Regina Coeli in Rom. Beim Gedanken an diesen grauenvollen, einsamen Tod, an die Ängste, die ihm vorangingen, frage ich mich, ob dies wirklich uns passiert ist, uns, die wir Orangen bei Girò kauften und im Schnee spazieren gingen. Damals glaubte ich an eine glückliche und frohe Zukunft. Doch war jene Zeit die beste meines Lebens und erst jetzt, da sie mir für immer entschwunden ist, erst jetzt weiß ich es."
1983 ins Parlament gewählt
Die einfache, schwingungsreiche Sprache ohne jedes Pathos ist typisch für Natalia. Nach dem Krieg wurde sie Lektorin bei Einaudi. 1950 heiratete sie den quirligen Anglisten Gabriele Baldini, siedelte mit ihm nach Rom über und arbeitete als externe Beraterin des Verlages. 1963 erschien ihr "Familienlexikon", einer der schönsten Romane der italienischen Nachkriegsliteratur. Den Gegenpart zur erzählenden Natalia bildet die ältere Schwester Paola:
"Unsere Mutter ist zu jung! Beklagte sich Paola manchmal bei mir. Ich hätte so gern eine alte, dicke Mutter, mit ganz weißen Haaren! Eine, die immer zu Hause ist und Servietten stickt. Das gäbe mir ein Gefühl von großer Sicherheit. Ich würde sie besuchen, und sie wäre immer Zuhause, zufrieden, bei ihrer Stickerei, ganz schwarz gekleidet und würde mir gute Ratschläge geben!"
"Meine Mutter Paola war gegen das Buch."
Natalias Nichte Anna Nuzza, die Tochter der ältesten Schwester Paola, erinnert sich.
"Meine Mutter war nicht damit einverstanden, dass Natalia die Angelegenheiten der Familie öffentlich gemacht hatte. Als jemand aus der nachfolgenden Generation hatte ich ganz andere Empfindungen. Im Unterschied zu einem unbeteiligten Leser fand ich es gut, in dem Buch etwas über mich zu lesen, über meine Mutter und meine Großeltern. Das gefiel mir gerade."
Stilistisch war Natalia Ginzburg auf dem Höhepunkt. 1983 wurde sie als Unabhängige über die Liste der Kommunistischen Partei ins Parlament gewählt, engagierte sich für Frauenrechte und arbeitete zwischendurch an neuen Büchern. Am 7. Oktober 1991 starb Natalia Ginzburg.
"Das Leben, zwischenmenschliche Beziehungen, das war Natalias große Leidenschaft. Sie war sehr neugierig und immer gespannt auf Geschichten. Wenn jemand von einer neuen Liebe erzählte, solche Dinge. So war Natalia."