Italiens Renaissancekunst in Köln

Von Annette Schneider |
Vor 500 Jahren wurde Giorgio Vasari geboren. Der Maler, Architekt und Hofkünstler der Medici in Florenz gilt als "Vater der Kunstgeschichte". Das Wallraff-Richartz-Museum in Köln stellt nun Zeichnungen von Künstlern vor, mit denen sich Vasari in seinen "Vite" beschäftigt hat.
Man muss sich das einmal vorstellen: Jahrhundertelang war die Kirche die Hauptauftraggeberin für Kunst. In ihrem Dienst schufen Künstler Ritualgegenstände, malten Heilige auf Goldgrund. Bis mit der italienischen Renaissance und ersten frühbürgerlichen Strukturen neue, weltliche Auftraggeber hinzukamen, und sie begannen, den Blick auf die Wirklichkeit zu richten - sich die Wirklichkeit anzueignen. So wie der unbekannte lombardische Zeichner, mit dessen Arbeit die Ausstellung eröffnet: Sehr detailgenau und noch etwas steif zeigt er einen Löwen und einen Bären. Doch, so ist Kurator Thomas Ketelsen überzeugt, Vasari wäre begeistert gewesen.

"Wenn er jetzt diese Zeichnung sehen würde, - man kann sie datieren wahrscheinlich in das erste Viertel des 15. Jahrhunderts -, auch das würde er einfach für sich gelten lassen können. Weil er sieht, was da abgerungen wurde von Seiten dieser Künstler. Und wie es ihnen gelingt, überhaupt erst diesen Zugriff auf die Natur wieder zu realisieren. Und zugleich: Das Disegno ist ja immer da, weil es einfach das formende Prinzip der Einbildungskraft ist. Aber noch nicht so umgesetzt, dass diese Künstler aus sich heraus, wie Michelangelo, die ganze Wirklichkeit neu gestalten würden."

Die Ausstellung veranschaulicht diesen ebenso aufregenden wie mühsamen Entwicklungsprozess. Ein Prozess, den erstmals Giorgio Vasari theoretisch zu fassen und zu erklären versuchte: In seinen "Vite" stellte er 300 Jahre italienischer Kunst vor, und rang dabei um die Erkenntnis, wie sich diese weiterentwickelt. Seine Überlegung: Indem Lehrer ihre Einsichten und Fertigkeiten an ihre Schüler weitergeben und diese daraus Neues schaffen. Da dies in der Zeichnung - dem disegno - besonders gut zu erkennen ist, war sie Vasari so wichtig. Dabei meint "Disegno" nicht nur die Skizze selbst, sondern auch den geistigen Schöpfungsakt: die von jeglichen Vorlagen befreite, künstlerische Bildfindung samt ihrer ästhetischen Umsetzung.

Und, so Thomas Ketelsen:

"Für Vasari ist das genuin Ästhetische, dass jede Zeichnung im Hinblick auf der ihr zugrunde liegenden Disegno ja ablesbar ist. Das heißt, auch der Betrachter ist letztlich in der Lage, dieses formgewährende, formbringende Prinzip des Disegnos in der ausgeführten Zeichnung selbst zu erkennen. Weil: Erst wenn er das erkannt hat, kriegt die Zeichnung Lebendigkeit für ihn. Andernfalls bleibt es gewissermaßen Materialität, Intellektualität, oder: "Ich les' etwas, ich seh' etwas". Es geht eigentlich um das Einholen einer ästhetischen Erfahrung, die er als Grundvoraussetzung im Umgang mit der Kunst versucht hat, zu beschreiben."

Auch diese ästhetische Erfahrung macht die Ausstellung nachvollziehbar: Stand am Anfang der noch etwas steife Löwe, sieht man, wie sich die Künstler immer neue Motive und Themen aneigneten, und wie dabei ihre Hand immer geübter wurde: Mit faszinierender Leichtigkeit skizzieren sie den nackten Menschen. Leonardo spiegelt in Körperhaltungen Gefühle. Raffael lässt mit wenigen Federstrichen Merkur und zwei Amoretten über das Papier schweben, und die Venezianer um Veronese erzählen in raffinierten Bildkompositionen von historischen Ereignissen.
Die Künstler, so Thomas Ketelsen, waren sich ihrer neuen Fähigkeiten, der Tradierung von Erfahrungen, Kenntnissen und Ansprüchen durchaus bewusst.

"Es gibt so eine Nichthintergehbarkeit des künstlerischen Niveaus. Was Michelangelo geleistet hat, ist gewissermaßen für alle nachfolgenden Generationen nicht mehr zu unterbieten. Wenn man sie unterbietet, kommt man in einen Archaismus. Vasari fordert die Künstler gewissermaßen auf, den Stand des Erreichten immer zu erklimmen, aber unter dem Aspekt, weil das die einzige Möglichkeit ist, etwas Neues zu machen."

Schade, dass sich die Ausstellungsmacher nicht auch daran gehalten haben. Denn sie beschränken sich auf die reine Präsentation der Zeichnungen. Ein Bezug zu Vasari fehlt völlig. Lediglich der Katalog erklärt die einzelnen Blätter und ordnet ihnen die entsprechenden Zitate aus den "Vite" zu.

"Wir haben jetzt nicht den historischen Kontext rekonstruiert, weil wir einfach den Blick auf die Zeichnung freilassen wollten. Der Besucher der Ausstellung ist also gewissermaßen selbst aufgefordert, in seiner Betrachtung – im Durchschreiten der Ausstellung – langsam auf das Gespür zu kommen: 'Was ist Zeichnung im unmittelbarsten Sinne von Vasari als Resultat dieses Disegno.'"

Doch kann dies ohne textliche Hilfestellungen gelingen? Nicht jeder Besucher ist ein Kunstkenner. Und: Wie gerecht wird dieser einseitige Ansatz einem Mann, der als Vordenker einer modernen Sozialgeschichte gelten kann? Giorgio Vasari war der erste, der Kunst in ihren jeweiligen historischen Kontext stellte, um sie aus diesem heraus zu bewerten. Eine Methode, die bis heute zum theoretischen Handwerkszeug der Kunstwissenschaft gehört.

Genauer: gehören sollte.