Am Mittwoch, den 28. April, können Sie hier ab 20 Uhr den Livestream von Itay Dvoris neuem Comic-Konzert verfolgen:
Die klingende Bundeslade
07:14 Minuten
Der in Berlin lebende Musiker Itay Dvori vertont die Suche nach der Bundeslade, die die Tafeln der Zehn Gebote beinhalten soll. Dem zugrunde liegt der Comic "Tunnel" der in Israel bekannten Künstlerin Rutu Modan. Eine Partitur gibt es jedoch nicht.
"Die Katze des Rabbiners" von Joann Sfar, "Ticket to God" von Jens Harder, "Blutspuren" von Rutu Modan – all das sind Comics, die der israelische, in Berlin lebende Komponist und Pianist Itay Dvori schon einmal vertont hat. Früh haben ihn Comics interessiert, er begann sogar selbst zu zeichnen.
"Es war wie eine neue Offenbarung"
Doch setzte sich bei ihm die Musik durch: In einer Kultureinheit der israelischen Armee war er Musikdirektor. Dann studierte er Musik und Jura in Tel Aviv und Berlin. Letztlich widmete er sich komplett der Musik, bis ein Besuch in einem Hamburger Comic–Laden vor zwölf Jahren erneut seine Leidenschaft für Comics weckte.
"Das war wie eine neue Offenbarung. Es hat sich in dieser Zeit so viel getan in Sachen Graphic Novels. Es war quasi eine ganz neue Perspektive eines viel älteren Menschen, diese graphische Literatur zu entdecken. Ich fand’s immer schön, es war für mich, wie in eine Welt einzutauchen und wie einen ganz privaten Film in meinem Kopf zu drehen. Das finde ich einfach das Tolle an Comics, dass man letztendlich auch das Tempo selbst bestimmen kann. Und genau dieser Punkt hat mich viel später als Komponist auch gereizt."
Dvori vertonte zunächst einzelne Comic-Szenen als Klavierminiaturen und später ganze Graphic Novels. Dazu sitzt er wie bei einem Stummfilm live am Klavier, während Comic-Panels projiziert werden. Inzwischen gilt Dvori als "der Erfinder des Comic-Konzerts".
Doch nicht jedes gezeichnete Buch eigne sich, vertont zu werden:
"Ich kann auch einen Stift, ein Mikrofon, einen Raum oder einen Stuhl vertonen. Die Frage ist, ob es künstlerisch Sinn ergibt. Graphic Novels mit sehr viel Text sind für Konzerte schwierig zu vertonen. Das wäre eine Herausforderung, so viel zu lesen und sich dann auf Musik und Bilder zu konzentrieren. Insofern sind Graphic Novels, die mit wenig oder sogar ohne Text auskommen, ideal. Manchmal sind die Impulse, die vom Text kommen, doch sehr wichtig für die Musik. Es ist kein Ausschlusskriterium. Ich versuche nicht nur die Bilder selbst zu vertonen, sondern eben die Leerstellen dazwischen."
Itay Dvori entschied sich unter anderem, Rutu Modans "Blutspuren" zu vertonen, als er nach Vorlagen für sein Konzertprogramm "Israel und seine Comics" suchte. Auf die bekannteste israelische Zeichnerin, Rutu Modan, ist er durch die deutschsprachige Comic-Anthologie "Tel Aviv Berlin" aufmerksam geworden, die 2010 im Berliner Avant-Verlag erschien.
Die Suche nach der Bundeslade ist nur ein Witz
In Modans neuem, bis jetzt größtem, politischstem und komischstem Buch – dem Comic "Minharot", zu deutsch "Tunnel" – geht es um die Suche nach der Bundeslade, jener vergoldeten Truhe, in der – der Legende nach – die Steintafeln mit den Zehn Geboten aufbewahrt werden und den Bund des Volkes Israel mit Gott symbolisieren.
Zuletzt befand sie sich im Jerusalemer Tempel. Doch nach der Eroberung der Stadt durch die Babylonier vor knapp 2600 Jahren bleibt sie bis dato verschwunden. Irgendwo im Westjordanland müsste sie begraben liegen.
Modans Motivation für den Comic waren schlicht wahre Hintergründe:
"Vor 25 Jahren studierte ich mit einem Mann, mit dem ich befreundet war. Er und sein Vater haben tatsächlich nach der Bundeslade gesucht. Sie haben in einem Berg unweit von Jerusalem in einem Tunnel ein paar Jahre gegraben. Aber sie haben nichts gefunden. Damals war es wie ein Witz, als ob mir jemand eine Geschichte über seine verrückte Familie erzählen würde. Als ich dann nach einer Story für ein neues Buch suchte, war der Studienkollege wieder da. Ich dachte dann anders über seine Geschichte. Ich fragte mich, warum haben er und sein Vater es damals gemacht. Ich dachte an den Film 'Indiana Jones und Jäger des verlorenen Schatzes' und plötzlich fühlte es sich wie eine Abenteuergeschichte an."
Geschichten halten das jüdische Volk zusammen
Doch im Buch geht es nicht nur um reines Abenteuer. Einst sagte Modan, sie könnte die Situation im Nahen Osten nicht durch Comics erklären. In "Tunnel" gelingt es ihr erstaunlich gut.
Alle sind an der Suche nach der Bundeslade beteiligt: die Orthodoxen und die Säkularen, die konkurrierenden Wissenschaftler, sorglose Kinder mit Smartphones, die israelische Armee, der Islamische Staat, Antikensammler und palästinensische Schmuggler. Selbst eine stereotype homosexuelle Liebe zwischen einem Israeli und einem Araber, wie man sie aus israelischen LGBT-Filmen kennt, brachte Modan in ihre Story unter.
Humor heilt unerträgliche Situationen
Alles explosiver Stoff, der auch viel Tragikomik beinhaltet.
"Ich brauchte mehrere Jahre, um eine Geschichte zu finden, mit der ich den Konflikt erzählen und mich dabei gut fühlen konnte. Ein Tunnel verbindet zwei Punkte unter der Erde. Er ist auch versteckt. So wie die Liebe meiner zwei Protagonisten. Sie können eine Beziehung haben, aber nur unterirdisch. Genau wie die gemeinsame Mission, die Bundeslade zu finden, nur unterirdisch funktionieren kann. Ich denke, der Humor ist das beste, um mit einer unerträglichen Situation umzugehen. Er ist heilend. Das Wichtigste, was ich mit dem Buch erkundete, sind die großen mythischen Geschichten. So lange hatten wir kein eigenes Land. Was uns als Nation zusammen hielt, waren die großen Geschichten."
Das Komische, das Hektische und das Absurde im Leben
Der Komponist Itay Dvori möchte auch diese großartige Geschichte von Rutu Modan vertonen. Ihre Themenwahl für das Buch findet er mutig, zumal er auch von der Mischung aus Ernstem und Unterhaltsamen angesprochen wird.
"Das ist für die Musik sehr gut. Denn Musik lebt von Kontrasten, Musik lebt von Ereignissen. Man kann natürlich auch meditative Musik komponieren. Das ist auch sehr schön. Aber hier würde meditative Musik eher weniger passend sein. Für mich ist das bei ihr eher das Komische, das Hektische und das Absurde im Leben, das trotz allem irgendwie parallel existiert. Das finde ich faszinierend. Bei diesem Werk sind diese klassischen bildlichen Qualitäten - sehr feine Linien und eher hellere Farben - sehr schön und es würde bestimmt auch die Musik beeinflussen."
So werden sich bald Bild und Ton in einem Konzert treffen, um weiter nach der Bundeslade zu suchen. Eine völlig ausgearbeitete Partitur gibt es nicht. Dvori setzt auf Improvisation. An den Indiana-Jones-Soundtrack aus "Jäger des verlorenen Schatzes" von Steven Spielberg wird es allerdings eher nicht erinnern.