Ivan Vladislavic: Exploded View Johannesburg
Aus dem Englischen von Thomas Brückner.
Osburg Verlag, Berlin 2016.
200 Seiten. 20 Euro
Topographie des urbanen Südafrikas
Im Roman "Exploded View Johannesburg" erzählt Ivan Vladislavic vier Geschichten um vier prototypische Menschen aus der titelgebenden Stadt. Spannend zeigt er auf, wie die Gesellschaft dort tickt - auch wenn es ausnahmsweise mal kein Krimi aus Südafrika ist.
Was macht eine Stadt und ihre Gesellschaft aus? Wie kann man sie verstehen? Wie wäre es, in das Leben eines Passanten schauen zu können, zum Beispiel in Johannesburg, um einmal genau hinzuschauen und verstehen zu können, wie die Gesellschaft um ihn herum und wie er für die Gesellschaft "funktioniert"?
Les Budlander ist Statistiker, er arbeitet für die Regierung, hilft Bürgern in Kapstadt und um Johannesburg herum beim Ausfüllen der Formulare für eine Volksbefragung. Dabei verguckt er sich in eine Frau, die als Ansagerin beim Fernsehen arbeitet. "Miss Iris du Plooy" (so der Wachmann an der Pforte) lebt in einer Gated Community namens "Villa Toscana", und genau so ist das Areal, deren "Unit 24" Budlanders Ziel ist, auch gestaltet: eine von vielen solcher Siedlungen, die in Johannesburg wie Pilze aus dem Boden schießen, gehalten im MacTosanca-Stil, Variante light.
Les findet jedenfalls immer wieder neue Tricks, noch einen Besuch bei dem zusehends genervten TV-Sternchen machen zu müssen, um Nachfragen zu klären. Allein, mit der Einladung zum Essen, die er gerne loswerden würde, wird’s leider wohl eher nichts. Oder doch noch? Wer weiß das schon. Dazwischen: Jede Menge Fahrten von Les, Nächte im Hotel, Aufenthalte an Raststätten, Zwischenstopps in unwirtlichen Ecken – Orte, deren Kontexte ebenso wie die "Villa Toscana" erste Anhaltspunkte einer Topographie des urbanen Lebens in Johannesburg liefern.
Kein Krimi - Kriminalität kommt trotzdem vor
Budlanders womöglich vergebliches Werben ist eine von vier um die 50 Seiten langen Geschichten, die Ivan Vladislavic in seinem Roman "Exploded View Johannesburg" erzählt. Vier Geschichten um vier mehr oder minder prototypische Menschen aus der Stadt; vier Blicke in vier Leben und vier gesellschaftliche Sphären, und diese vier Episoden, merkt man irgendwann, sind locker, beinahe unsichtbar, miteinander verbunden.
Fast mehr als um die Erlebnisse dieser Protagonisten geht es dabei allerdings dabei um die Orte, an denen sie leben, um Häuser, Straßen, Quartiere, um Architekturen und Stadtlandschaften – um darum, wie sie das Leben in der Stadt prägen.
"Exploded View", auf Deutsch ist das die Explosionszeichnung. Ein Fachbegriff aus Grafik und Maschinenbau: wenn ein komplexer Gegenstand so dargestellt wird, dass man seine Einzelbestandteile nebeneinander sieht und doch ein Gefühl für das Ganze bekommt. Genau so versucht Ivan Vladislavic, in Südafrika einer der bekanntesten Autoren, am Beispiel Johannesburgs zu ermessen und auszuleuchten, wie die Stadt, wie die südafrikanische Gesellschaft tickt und funktioniert – oder auch nicht.
Literatur mit den Mitteln des Maschinenbaus, wenn man so will. Das Ganze liest sich jedenfalls sehr gut und erhellend – spannend ohne explizite Spannungsmuster, ausnahmsweise also mal kein Krimi aus Südafrika, Kriminalität kommt aber natürlich trotzdem vor.