Iwan Turgenjews Hörspiel "Väter und Söhne"

Der Nihilist, den die Liebe verwirrt

Porträt des russisches Schriftstellers Iwan Sergejewitsch Turgenjew in einem Sessel, dazu das CD-Cover des Hörspiels "Väter und Söhne".
Der russische Schriftsteller Iwan Sergejewitsch Turgenjews "Väter und Söhne" liegt jetzt auf CD vor. © Bild: imago/United Archives; Cover: der Hörverlag
Von Tobias Wenzel |
Iwan Turgenjews "Väter und Söhne" löste 1861 eine Kontroverse in Russland aus: Sympathisierte der Autor mit den westlich geprägten Nihilisten seines Romans? In dem jetzt auf CD erschienenen Hörspiel aus den 70ern wird diese Umbruchszeit lebendig.
1859 in Russland: Kaiser Alexander II. will die Bauern von der Leibeigenschaft befreien. In dieser Zeit des Umbruchs hat Iwan Turgenjew die Figuren seines bekanntesten Romans "Väter und Söhne" angesiedelt.
Porträt Kaisers Alexander II.
Kaiser Alexander II. von Russland© imago/World History Archive
Arkadij besucht nach Jahren des Studiums in Sankt Petersburg wieder seinen Vater, den liberalen Gutsbesitzer Nikolai Kirsanow. Arkadij hat seinen Freund, den angehenden Arzt Jewgenij Bazarow, mitgebracht:
Jewgenij Wassiljitsch Bazarow: "Schön … ist diese Gegend wahrhaftig nicht."
Erzähler: "Er denkt nicht an Puschkin, nicht einmal an Reformen, obwohl er das Elend der armseligen Gegend wohl bemerkt. Er denkt an seine Arbeit. "
Bazarow: "Hoffentlich gibt es in diesen Teichen Frösche… zum Sezieren."

Die Kunst, Hämorrhoiden zu kurieren

Bazarow ist Nihilist. Sein treuherziger Freund Arkadij übernimmt unkritisch dessen Überzeugungen. Demnach solle man weder Sitten noch Autoritäten anerkennen. Ein Generationenkonflikt tut sich auf. Besonders zwischen Arkadijs adligem Onkel Pawel und Bazarow:
Bazarow: "Ein tüchtiger Chemiker ist zwanzigmal nützlicher als der beste Poet."
Pawel Petrowitsch Kirsanow: "Ach so ist das. Sie halten also nichts von der Kunst."
Bazarow: "Doch. Von der Kunst, Geld zu verdienen oder Hämorrhoiden zu kurieren."
Kirsanow: "Sie belieben zu scherzen. Das kommt ja auf eine vollständige Negation heraus. Sie glauben also nur an die Wissenschaften."
Bazarow: "Ich glaube an überhaupt nichts."

Schnörkellose Hörspieladaption aus den 70ern

Später duellieren sich die beiden sogar. Horst Tappert als Onkel Pawel und Gerd Böckmann als Bazarow glänzen in dieser angenehm schnörkellosen Hörspielfassung von 1974 genauso wie Gert Westphal als Erzähler.
Eine Schwarzweißaufnahme von Horst Tappert, der Anzug und Fliege trägt und lacht.
Schauspieler Horst Tappert, hier bei einem Fernsehauftritt im Jahr 1975, spricht Onkel Pawlow.© imago stock&people
Westphal hat auch Regie geführt. Ihm ist es gelungen, eine Zeit großer gesellschaftlicher Veränderungen lebendig werden zu lassen, ohne Turgenjews Humor aus dem Blick zu verlieren. So ist es ein großes Vergnügen mitzuerleben, wie der arrogante Anti-Romantiker Bazarow, der die Liebe für ein Hirngespinst hält, plötzlich verwirrt ist, weil er sich zu der (von Mechthild Großmann interpretierten) Gutsbesitzerin Anna Odinzowa hingezogen fühlt:
Anna Sergejewna Odinzowa: "Sie mögen sagen, was Sie wollen: Ich glaube, dass wir gute Freunde sein werden. Ihre Schroffheit, Ihre Verschlossenheit wird allmählich verschwinden."
Jewgenij Wassiljitsch Bazarow: "Sie finden mich schroff? Und verschlossen?"
Odinzowa: "Ja."
Bazarow: "Sie möchten wirklich wissen, was in mir vorgeht?"
Odinzowa: "Ja."
Bazarow: "Und werden nicht böse sein?"
Odinzowa: "Nein."
Bazarow: "Nein? Gut. Da Sie mich zwingen, es Ihnen zu sagen: Ich liebe Sie! Ich liebe Sie bis zum Wahnsinn!
Erzähler: '"Nun haben Sie es erreicht', wollte er noch sagen. Der Atem ging ihm aus, er bebte am ganzen Körper. Es war die Leidenschaft, eine Leidenschaft, die dem Zorn gleicht und ihm vielleicht verwandt ist. Frau Odinzowa wurde von Furcht und Mitleid zugleich gepackt. Eine unwillkürliche Zärtlichkeit zitterte in ihrer Stimme."

Ein entzückendes Stück Weltliteratur

Sie weist ihn aber zurück. Der Verschmähte infiziert sich danach leichtfertig (oder mutwillig?) beim Sezieren einer Leiche mit Typhus und klammert sich selbst im Sterben an den Nihilismus. Zuvor kündigt er Arkadij die Freundschaft auf. Der hat sich in Katja, Annas Schwester mit schlichtem Gemüt, verliebt und sich aus Bazarows Einflussbereich selbst befreit:
Arkadij Nikolajitsch Kirsanow: "Sie haben hier ein Buch von Heinrich Heine, Katja Sergejewna?"
Katja Sergejewna: "Ja. Ich liebe Heine, wenn er träumerisch und traurig ist."
Arkadij: "Und ich nur, wenn er spottet."
Katja: "Das sind noch die alten Spuren Ihrer nihilistischen Einstellung."
Arkadij: (lacht) "Ja, wenn das Bazarow hören würde! Aber ich weiß: Der hat Ihnen nie gefallen."
Katja: "Das will ich nicht sagen. Er ist mir nur fremd. Und ich glaube, im Grunde hat Ihre Geistesart mit der seinigen nichts zu tun. Er ist ein Raubvogel. Und wir, Sie und ich, wir sind zahm."
Fazit: Ein entzückendes Stück Weltliteratur, ein gelungenes Hörspiel.

Iwan Turgenjew: "Vater und Söhne"
Hörspielproduktion des BR/SR 1974
Regie: Gert Westphal
der Hörverlag, 2018
zwei CDs, 20 Euro

Mehr zum Thema