Träume am Fuße des Vulkans
Für sein Familiendrama "Ixcanul" kehrte Jayro Bustamante in die Region Guatemalas zurück, in der er selbst aufwuchs. Der Regisseur erzählt von der Herausforderung, mit Laienschauspielern zu arbeiten – die beiden Hauptdarstellerinnen hat er zum Interview mitgebracht.
Susanne Burg: Die Mutter der 17-jährigen Maria dankt dem Wind und der Erde, dem Wasser und dem Vulkan für den Segen. Den Segen, dass Maria bald heiraten wird, den Vorarbeiter der Kaffeeplantage. Die Maya-Familie lebt am aktiven Vulkan im Hochland Guatemalas und ist arm. Alles ist verabredet, aber Maria hat ihre eigenen Pläne: Sie hat eine Affäre mit dem Wanderarbeiter Pepe. Und der hat ihr versprochen, sie mit in die USA zu nehmen. Doch eines Morgens ist Pepe weg – und Maria ist schwanger.
"Ixcanul" heißt das Familiendrama, das im jetzt ins Kino kommt. Es lief im letzten Jahr auf der Berlinale und hat dort einen Silbernen Bären gewonnen, den Alfred-Bauer-Preis für neue Perspektiven in der Filmkunst. Regisseur ist Jayro Bustamente. Er ist in Guatemala aufgewachsen und hat viel Zeit in der Region der Mayas verbracht. Die Schauspieler sind Laiendarsteller und standen vorher noch nie auf der Kamera. Auch sie waren in Berlin, die junge Maria Mercedes Coroy, die Maria spielt, und Maria Telon, die Darstellerin der Mutter. Meine erste Frage ging an den Regisseur, Jayro Bustamente, der zwar viel Zeit verbracht hat mit den Mayas, aber selbst spanischstämmig ist. Ich wollte von ihm wissen, wie er für das Filmprojekt das große Misstrauen überwunden hat, das es zwischen den Mayas und der spanischsprachigen Bevölkerung in Guatemala gibt.
"Gemeinsame Kommunikationsbasis finden"
Jayro Bustamante: In Guatemala gibt es vielleicht kein Problem des Misstrauens, sondern von Machtmissbrauch. Im Grunde wollte ich eigentlich nur eine Geschichte erzählen und wollte nicht wieder in diese alte Falle tappen, dass man alte Klischees wieder aufgreift von den Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen, sondern wir wollten einfach hier gemeinsam ein Filmprojekt auf den Weg bringen. Da wir ja auch mit sehr vielen verschiedenen Sprachen zu tun hatten – Spanisch, Cakchiquel, also dieser Maya-Dialekt, dann Französisch, weil einige der Film-Crew-Mitglieder natürlich aus Frankreich kamen, Französisch gesprochen haben. Da mussten wir erst einmal eine gemeinsame Kommunikationsbasis finden. Uns ging es weniger um die Sprachen als um das Gefühl, das uns verbindet.
Burg: Die beiden Hauptdarstellerinnen – wie war es für Sie, als da eine so internationale Gruppe von Filmemachern in Ihr Dorf kam? Gab es bei Ihnen in irgendeiner Form Vorbehalte erst mal, am Anfang?
Maria Coroy: Nein. Weil ich das Gefühl hatte, dass man uns mag und als Menschen sehr wertschätzt, und das hat uns wirklich gefallen. Ich konnte es am Anfang gar nicht glauben, weil es das erste Mal war, dass so etwas geschieht. Mein Vater hat gleich gesagt "Geh, Mädchen, mach das". Meine Mutter dagegen war sehr misstrauisch und wollte mich abhalten.
Burg: Herr Bustamante, die Darsteller hatten ja keine Erfahrung in der Schauspielerei. Sie haben dann erst mal mit ihnen geprobt. Wie sind Sie da vorgegangen?
Bustamante: Also Maria hatte schon – sie hatten schon Erfahrung, und zwar im realen Leben, im wirklichen Leben. Es gibt eine sehr hübsche Geschichte. Wir haben dann anderthalb Monate zusammen gearbeitet, und dann sagt Maria zu mir, warum müssen wir so viel proben und so weiter? Traust du mir nicht? Bist du misstrauisch. Und dann habe ich gesagt, nein, nein, Maria, darum geht es nicht, aber ich muss ja lernen, dich als Regisseur zu führen. Und dann hat sie gesagt, ach, das macht nichts, ich bringe dir das schon bei.
Burg: Und haben Sie es ihm beigebracht?
Maria Telon: Ja.
Burg: Wie haben Sie diese Erfahrung empfunden, mit ihm zu arbeiten?
Maria Coroy: Für mich war das gut, und ich habe viel Zutrauen zu ihm gefunden. Das war wie in einer Familie.
Burg: Was war die größte Herausforderung?
Maria Telon: Manuel, der Hauptdarsteller, der meinen Mann gespielt hat.
Burg: Und für Sie, Maria Coroy?
Maria Coroy: Für mich war der Pepe-Darsteller die größte Herausforderung.
Burg: Kommen wir mal zum Film. Sie erzählen die Geschichte der 17-jährigen Maria, die mit ihren Eltern auf einer Kaffee-Plantage wohnt und schwanger wird. Und Sie erzählen die Geschichte aus der Perspektive von Maria und auch ein bisschen ihrer Vertrauten, der Mutter. Warum haben Sie sich für diese Perspektive entschieden?
"Die Frau als Mutter, die Frau als Opfer"
Bustamante: Als ich die richtige Geschichte kennengelernt habe von Maria – das ist eine reale Geschichte – und als sie mir ihr Leben erzählt hat, da wollte ich einfach nur verstehen, wie man auf diese Art und Weise zu einem Opfer werden konnte. Diese Ohnmacht, die Maria eigentlich so verspürt hat. Ich musste also nicht groß weitere, andere Recherchen anstellen, sondern mir ging es einfach nur drum, hier die Frau darzustellen, die Frau in ihrer Rolle als solche, als Frau. Die Frau als Mutter, und die Frau als Opfer.
Burg: Maria Coroy, Sie spielen die Maria. Wie viel von der Geschichte war Ihnen vertraut, also abgesehen von dem Schwangerwerden und so?
Coroy: Sie hat viel gearbeitet und ein unglaubliches handwerkliches Geschick gehabt. Alles, was sie anfasste, gelang einfach. Und dann will sie mehr erfahren. Sie will die Stadt kennenlernen und will weg. Und so wird sie halt von Pepe schwanger. Mein richtiges Leben ist anders als das von Maria im Film, weil ich in einem Dorf lebe, wo es praktisch alles gibt. Und ich kann also das Dorf verlassen. Ich bin viel unterwegs, ich bin Gemüse- und Obstverkäuferin und reise von Ort zu Ort.
Burg: Im Film selbst gibt es den Vulkan, den man häufig auch sieht. Im Film fragt Maria, wie es auf der anderen Seite des Vulkans aussieht. Ist dieser Vulkan so ein bisschen der Inbegriff für die große, weite Welt?
"Der Vulkan ist ein Parallelcharakter zu Maria"
Bustamante: Der Vulkan dient als Metapher für vieles, denn "Ixcanul" heißt einfach nicht nur Vulkan, sondern das bedeutet auch die Kraft, die in der Erde brodelt. Wir wollten eine Parallele schaffen. Der Vulkan ist sozusagen ein Parallelcharakter zu Maria, die ja auch diesen Ausbruch sucht. Wir wollten nur das unbedingt Nötige zeigen, und der Vulkan sollte wirklich nur die Metapher sein und nicht immer als omnipräsentes Objekt in dem Film. Zum Beispiel, als wir bei den Dreharbeiten waren, da gab es einen Vulkanausbruch, und wir mussten sogar den Ort dort verlassen, wir mussten evakuiert werden. Wir haben dann den Vulkanausbruch sogar noch gefilmt. Die Erde hat gebebt, es gab Lavaausbrüche mit Lavaströmen, vier Meter hoch. Und natürlich hatten wir die Bilder, aber wir haben uns dann dagegen entschieden, diese Bilder in den Film einzubauen, weil es ging ja nicht darum, den Vulkan zu zeigen, sondern der Vulkan war nur eine Metapher sozusagen, eine Parallele zu der Welt von Maria.
Burg: Der Vulkan ist eine Sache. Maria, Sie erwähnten es, versucht eben auszubrechen, sie hat Sex mit diesem Pepe, wird schwanger, und das ist ein Problem. Sie zeigen sehr stark auch die Tradition der Bevölkerung, die eben sehr – wo der Glaube an bestimmte Kräfte sehr stark ist. Da ist zum Beispiel die Vorstellung, dass eine schwangere Frau so viel Kraft hat, dass sie Schlangen vertreiben kann, und das Ganze bringt Maria fast um. Also, die Traditionen, die es gibt in der Bevölkerung, sind nicht immer vorteilhaft für sie selbst. Wie viel davon wollten Sie zeigen, ohne dass Sie das Gefühl hatten, dass Sie auch die Kultur bloßstellen?
Bustamante: Es ist immer schwierig, eine Balance zu finden zwischen der Bewahrung des Kulturguts der Maya und eben das offen zu zeigen. Wir haben uns deshalb als Gruppe, als Team entschieden, zum Beispiel gewisse rituelle Handlungen in dem Film gar nicht erst zu besetzen. Woran die Maya glauben, das wurde von Generation zu Generation zu Generation über Jahrhunderte überliefert, über Jahrtausende. Und dann gibt es natürlich gewisse Mythen, zum Beispiel den, dass man eben als Schwangere Schlangen vertreiben könnte, wo dann eben aber selbst Juana in dem Film, also die Mutter, ja auch sagt, das sollst du nicht immer alles glauben, was man erzählt. Dann haben wir den Schamanen noch eingebaut, aber auch als Person, der ein bisschen radikaler eben in diesem indigenen Denken, in diesem Maya-Denken verwurzelt ist. Und Juana stand ein bisschen im Kontrast, weil sie natürlich auch an diese Dinge glaubt, aber die doch ein Mensch der Vernunft ist und schon weiß, woran man glauben sollte und woran man nicht glauben sollte. Maria steht im Prinzip dazwischen, und sie lernt langsam, und sie muss lernen, was eben jetzt zu diesen Gebräuchen, zu diesen Ritualen gehört, und was gut ist und was nicht. Ich will es nicht Religion nennen, es sind mehr Gebräuche und Riten.
Burg: Wie finden Sie sich denn und Ihre Kultur im Film wiedergegeben?
Maria Telon: Ich fand, das war ganz gut dargestellt, denn das, was die Indigenen glauben, ist genau das, was in dem Film gezeigt wird. Für mich war es sehr wichtig, dass diese Kultur nach außen gezeigt wird, weil ich sie sehr schätze. Mich freut es, dass viele Menschen jetzt davon erfahren und möglicherweise neugierig werden. Denn es gibt in Guatemala viele verschiedene Kulturen, Mythen und Glaubensrichtungen. Ich möchte alle einladen, diese Kulturen kennenzulernen.
Burg: Herzlichen Dank für Ihren Besuch!
Coroy, Telon, Bustamante: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.