"J. Edgar"

Von Hannelore Heider |
Fast 50 Jahre war J. Edgar Hoover der Chef des Federal Bureau of Investigation (FBI). Um sein Land zu schützen, schreckte er vor nichts zurück. Seine Methoden waren sowohl heroisch als auch skrupellos. Doch er hatte nur ein Ziel, das er allerdings nie erreichte: Er wollte von der Welt bewundert werden.
"J. Edgar" - es ist sicher kein Zufall, dass in Clint Eastwoods Biopic über den legendären Gründer und jahrzehntelangen Direktor des Federal Bureau of Investigation (FBI) John Edgar Hoover der volle Name nicht im Titel erscheint. Das historische Urteil über den mächtigen, intriganten Mann ist gesprochen, Clint Eastwood wollte es in seinem Film nicht durch ein Feuerwerk an historischen Fakten nachvollziehen. Er war sichtlich mehr an der Persönlichkeit des heute nicht mehr umstrittenen Mannes interessiert, vor allem aber am Sichtbarmachen der Nahtstellen, an denen sich Charakter und gesellschaftliche Umstände verschränken, um das hervorzubringen, was Historiker später als gesellschaftliches Phänomen studieren.

Bei Hoover ist es das Phänomen unumschränkter Macht, das ihn trotz aller Angriffe, Antipathien und institutioneller Kritik acht Präsidentschaften überstehen lies. Wie entsteht so etwas und wie ist so etwas möglich in einem demokratischen Staat? Eine Antwort auf diese Frage gibt der Film durchaus und damit ist dieses in seiner Machart alles andere als modern scheinende Biopic hochaktuell und spannend.

Es beginnt mit dem alten Hoover, der am Ende seines Lebens von Machtverfall bedroht zwei Agenten der eigenen Public Relations Abteilung seine Memoiren diktiert. Dabei öffnen sich subjektiv erinnerte Zeitfenster in die Vergangenheit, die keiner Chronologie folgen, sondern Motive konkreter Entscheidungen sichtbar machen und damit gleichzeitig auch die Anwürfe und Einsprüche gegen den auch zu seiner Zeit schon angefeindeten fanatischen Überzeugungstäter. Dabei folgt das klug konstruierte Drehbuch von Dustin Lance Black der von Hoover anfangs selbst formulierten Maxime, eine historische Persönlichkeit in ihrer Zeit und nicht mit der Distanz der nach Geborenen Besserwisser zu beurteilen.

Dass dabei sehr private, ja intime Details des Lebens eines verunsicherten Muttersöhnchens und sich nie bekennenden Homosexuellen eine große Rolle spielen, macht diesen J. Edgar Hoover zu einem fast tragischen Helden, dem Clint Eastwood in der Sache freilich nichts schenkt. Seine "Lebensgeschichte" wird gerade von denen als Lüge entlarvt, die ihn am besten kannten. Wir sehen den sich selbst als ehrlich und gerade stilisierenden Mann in gemeinen, brutalen Ausbrüchen und gleichzeitig gesteht Clint Eastwood ihm eine große tragische Liebesgeschichte zu.

Vielleicht war es ja überhaupt dieser Aspekt, der Clint Eastwood zu seiner für den Zuschauer dann doch bis zum Ende überraschend bleibenden, emotionalen Betrachtung brachte. Er lässt einer Gestalt, die über Jahrzehnte das politische Klima der USA prägte, in jeder Hinsicht Gerechtigkeit widerfahren gerade weil sie von Konkurrenten um die Macht, wie hier Präsident Nixon, gern als "Schwanzlutscher" verächtlich gemacht wurde. Clint Eastwood nimmt sich mit langen ruhigen Einstellungen in wunderbar ausgestatteten Räumen alle Zeit, die er braucht, und er hat in Leonardo DiCaprio einen Darsteller, der selbst in der starren Maske des alten Mannes großartige mimische Differenzierungen zeigen kann.

USA 2011, Regie: Clint Eastwood, Darsteller: Leonardo DiCaprio, Josh Hamilton, Naomi Watts, Judie Dench, 137 Minuten, ab 12 Jahren

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