J. M. Coetzee in Buenos Aires

Menschen des Südens und Literaturen des Südens

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Der südafrikanische Literaturnobelpreisträger J. M. Coetzee © picture alliance / dpa / Mauricio Duenas Castaneda
Von Victoria Eglau |
Der Schriftsteller J.M. Coetzee hat in Buenos Aires einen neuen Lehrstuhl für Literatur übernommen. Der erste Seminar-Block hat jetzt stattgefunden: Coetzee - der so gut wie keine Interviews gibt - hat mit unserer Autorin Victoria Eglau über die ersten Eindrücke gesprochen.
Ein moderner Seminarraum in Buenos Aires. Zwanzig Postgraduate-Studenten haben auf den Kunststoff-Stühlen Platz genommen. In der letzten Reihe sitzt unauffällig ein weißhaariger Mann in blauem Hemd und Lederjacke. Der introvertierte vermeintliche Seminar-Teilnehmer ist kein anderer als Literatur-Nobelpreisträger John Maxwell Coetzee. Der Südafrikaner war schon oft in Argentinien, und leitet nun den neuen Lehrstuhl Literaturas del Sur - Literaturen des Südens - der Nationalen Universität San Martín.

"Wir möchten Autoren und Kritiker aus Argentinien, Australien und Südafrika zu einem Austausch und zum Nachdenken über unsere Literaturen zusammenbringen",

so der interviewscheue Coetzee, der sich in Buenos Aires zu einem kurzen Gespräch bereit erklärte. Die Universidad Nacional San Martín hatte dem 75-jährigen vor einem Jahr die Ehrendoktorwürde verliehen, gemeinsam mit Paul Auster. Danach bot die innovative Hochschule Coetzee den Lehrstuhl Literaturas del Sur an, und der Schriftsteller sagte Ja.

Zum ersten Seminarblock in dieser Woche brachte der Südafrikaner zwei Schriftsteller aus seiner Wahlheimat Australien mit: Nicholas Jose und Gail Jones. Ihr historisch-kultureller Überblick über die australische Literatur stieß bei den argentinischen Seminarteilnehmern auf großes Interesse. Gail Jones, von der auf Deutsch unter anderem der Roman "Ein Samstag in Sydney" vorliegt, ist zum ersten Mal in Argentinien. Und hat sich mit viel Enthusiasmus in den Austausch zwischen den Literaturen der südlichen Hemisphäre gestürzt:

"Alle unsere Länder sind infolge der Kolonisierung entstanden, wir alle haben Einwanderungswellen erlebt, die dazu führten, dass sich europäische gegenüber den indigenen Vorstellungswelten durchsetzten. Wir wollen unsere Literaturen nicht aus der Perspektive der ehemaligen Kolonialmächte betrachten, sondern einen Dialog der Peripherie führen."
Literatur vom politisch-ökonomischen Konzept abgrenzen
Was genau ist der Süden im kulturellen Sinne? J. M. Coetzee ist es wichtig, ihn abzugrenzen vom politisch-ökonomischen Konzept des globalen Südens.

"Ein merkwürdiges Konzept ist das. Australien zum Beispiel gehört ganz klar zur südlichen Hemisphäre, aber wird als Teil des globalen Nordens betrachtet. Mich interessiert etwas anderes als der Nord-Süd-Antagonismus, mich interessiert, wie sich Lebenserfahrungen der Menschen des Südens in den verschiedenen südlichen Literaturen widerspiegeln."

Dass die Dozenten und Teilnehmer mit ihrer Suche nach Berührungspunkten, Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen ihren Literaturen Neuland betreten, liegt nicht zuletzt daran, dass sich die großen Verlagshäuser im Norden befinden. Welche argentinischen Autoren in Australien gelesen werden, welche südafrikanische Literatur nach Südamerika gelangt, wird in der Regel in London, New York oder Madrid entschieden. Die direkten Übersetzungsströme zwischen den Ländern des Südens sind schwach ausgeprägt. J. M. Coetzee:

"Wenn wir mit unserem Lehrstuhl dazu beitragen können, Autoren, Verleger und Übersetzer aus den Ländern des Südens in Kontakt zu bringen, wäre das sehr positiv."

Tatsächlich sind Süd-Süd-Übersetzungen fester Bestandteil des Projekts der Universidad Nacional San Martín. Die Australier Gail Jones und Nicholas Jose können sich freuen, denn der universitätseigene Verlag hat jeweils eines ihrer Werke in Argentinien herausgebracht. Die Bücher lagen bislang nicht auf Spanisch vor und wurden gestern in Buenos Aires vorgestellt. Beide Autoren werden sicher ihr Publikum finden - denn viele Argentinier sind leidenschaftliche und neugierige Leser.

"Die Ernsthaftigkeit, mit der sich die Argentinier der Literatur nähern, beeindruckt mich sehr",

sagt Coetzee, der in dem südamerikanischen Land eine große und treue Leserschaft hat. Flavia Pitella ist Dozentin für englischsprachige Literatur an der Universität im argentinischen La Plata und besuchte in dieser Woche das Seminar "Literaturas del Sur":

"Ich interessiere mich sehr für die Süd-Süd-Achse, und über Coetzee forsche ich seit Jahren. Ich bin wirklich sehr angetan von den Inhalten dieses Seminars."
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