J-Pop-Emo-Rock-Schnulzen-Teenie-Band

Von Martin Böttcher |
Sommer 2003: In der Casting-Show "Star Search" tritt ein 13-jähriger Junge an: Nett und schlaksig, mit großen Augen und schwarz gefärbten Haaren singt er den Weather-Girls-Klassiker "It´s Raining Men". Bei der Jury fällt er damit durch. Der Name des Jungen: Bill Kaulitz.
Inzwischen kennt ihn in Deutschland jede Dreizehnjährige – und die meisten anderen auch: Bill Kaulitz aus Magdeburg ist Sänger von Tokio Hotel – der Band, die ihr Debütalbum "Schrei" aus dem Jahr 2003 anderthalb Millionen Mal verkaufte und die eine Begeisterung entfachten, die man mit Popmusik aus Deutschland sonst nicht in Verbindung bringt.

Komet-Verleihung 2005: "Und der Komet 2005 geht an … Tokio Hotel."

Die Band, das ist sicher, ist eine Band für Mädchen: Wo die vier Mitglieder von Tokio Hotel auch hingehen: Sie werden von Kreischen begleitet. Liegt das an den melancholisch-betrübten Songs? Es geht um Selbstmord und um Drogen, um Sehnsucht und Liebe. Konkrete Themen – und doch bleiben die Texte im Vagen, Unbestimmten und zeugen von großem Drama.

Doch das ist nur die eine Seite von Tokio Hotel – auf der anderen stehen die Bandmitglieder selbst: Da ist eben Bill, der Siebzehnjährige, ein androgyn wirkendes Wesen mit zarter Haut, Stachelschwein-Frisur und dunkel geschminkten Augen. Ein Star.

"Wow, das geht so schnell, das macht einem Angst ... und alles wegen diesem einen Song… wir sind so dankbar."

Ebenfalls sehr auffällig, aber ganz anders als Bill: Zwillingsbruder Tom. Lange verfilzte Dreadlocks, übergroße T-Shirts und Hosen, Hip-Hop-Attitüde und Gitarre sind seine Markenzeichen. Dazu der unscheinbare Schlagzeuger Gustav, mit 18 ein Jahr älter als die Zwillinge, und Schlagzeuger Georg – mit 19 schon fast zu alt. Ein Mischmasch aus verschiedenen Stilen, eine J-Pop-Emo-Rock-Schnulzen-Teenie-Band. Wie geschaffen für Fans zwischen 9 und 13, die sich noch nicht für die eine oder andere Subkultur entschieden haben, sondern vieles "cool" finden. Und wohl auch deshalb Zielscheibe des Spotts der Älteren.

Tokio Hotel ist keine gecastete Band – die vier machten nach eigenen Angaben schon ein paar Jahre lang zusammen Musik, bevor sie 2003 der Produzent Peter Hoffmann entdeckte. Aber Tokio Hotel wird wie eine gecastete Band, gemanagt: Kaum ein Song stammt von den Mitgliedern selbst, ein Produzententeam sorgt für den musikalischen Nachschub.

Die PR-Maschinerie läuft perfekt, ein Marketingplan sieht vor, dass jetzt – nach Erfolgen in Österreich, Polen und Frankreich - der Sprung ins englischsprachige Ausland kommt. Und auch ins Sachen Interviews, Klamotten und Frisuren haben die vier nicht so viel Freiheit, wie sie nach außen hin behaupten.

Das kann sich, wie bei den vielen anderen Teeniebands zuvor, schneller wieder ändern als Bill und Tom und Gustav und Georg das lieb ist – wenn der Erfolg irgendwann ausbleibt. Doch danach sieht es derzeit nicht aus.