Ein Wunderkind voller Ideen
Mit seinen selbstgedrehten Musikvideos hat sich der junge Londoner Musiker Jacob Collier ein weltweites Publikum erspielt. Vor kurzem erschien sein Debüt-Album "In My Room". "Ich wollte etwas von Herzen ausdrücken", sagt er über das Werk. Es ist ihm gelungen.
"Ich habe dieses Album nicht gemacht, damit andere es lieben. Ich habe das Album gemacht, weil es ein inneres Bedürfnis war, ich wollte etwas von Herzen ausdrücken", erklärt Jacob Collier. Wenn man Musik spielt, um damit der Plattenfirma zu gefallen, dann bringe das vielleicht Erfolg und Geld, aber nicht immer gute Musik.
Jacob Collier ist ein Phänomen: er spielt Schlagzeug, Klavier, Orgel und Melodica, Gitarren und Ukulele, elektrischen und akustischen Bass, und natürlich singt er. Am liebsten mag er Harmoniegesang. Stevie Wonders Hit "Don't you worry 'bout a thing" hat er für sechs Stimmen arrangiert, auf Youtube erreicht er damit Klicks in Millionenhöhe. Musiker wie Pat Metheny und Herbie Hancock suchen seine Nähe, Quincy Jones hält ihn gar für eines der größten Talente der Musikgeschichte und arbeitet mit ihm zusammen.
Eine Note für einen ganzen Chor
Sein erstes eigenes Album wird er auch live umsetzen. Er hat extra ein Keyboard entwickelt, das seinen Ansprüchen genügen soll, gemeinsam mit einem Freund vom MIT, dem Massachusetts Institute of Technology in Boston. Das unscheinbare Instrument erzeugt tiefe Bässe genauso wie rauschende Glissandi. Das Wichtigste aber: wenn Collier eine Note singt, kann er über das Keyboard diese eine Note direkt in zwölf verschiedenen Tonhöhen wiedergeben und damit einen ganzen Chor auf die Bühne zaubern.
"Das Album heißt ja 'In meinem Raum', und dieser Raum soll auf die Bühne gebracht werden. Ich bin umgeben von einem großen Kreis an Instrumenten, sitze in der Mitte und versuche, alle Instrumente gleichzeitig zu spielen".
Etwas Besonderes ist auch der große Bildschirm, der im Hintergrund der Bühne aufgebaut ist und die beiden 3D-Kameras, die die Bewegungen des Kopfes aufnehmen und direkt wiedergeben. Wenn Collier vier Takte Bass erscheint, erscheint der passende Kopf auf der Leinwand. Dann kommt das Schlagzeug und man sieht einen anderen Kopf. Bis zum Ende des Liedes vervielfacht er sich. Auf der Bühne sind ganz viel Jacobs, aber im richtigen Leben gibt es nur einen.
Vorbild: Pat Methenys "Orchestrion"
An der Live-Umsetzung seiner One-Man-Show bastelt Jacob Collier schon eine ganze Weile. Inspiriert hat ihn dabei auch das "Orchestrion" des Gitarristen Pat Metheny: ein großer Instrumentenpark, der über ein digitales Signal von einer einzigen Gitarre angesteuert wird. Er hat es sich von dem großen Meister erklären lassen, findet aber, dass es etwas zu technoid ist und etwas roboterhaft wirkt. Für Collier ist der menschliche Faktor wichtig, da darf auch gerne mal etwas schief gehen. Und natürlich gibt es auch Passagen in der Liveshow, in denen die Technik gar keine Rolle spielt.
"Down the Line" ist eines von vielen Stücken von Jacob Collier, in denen die Perkussion eine besondere Rolle spielt. Der ungewöhnliche Umgang mit dem Rhythmus, von der Erzeugung bis zum Arrangement, ist neben dem Harmoniegesang die auffälligste Eigenart in dem Debütalbum des jungen Briten.
"Ich habe eine besondere Beziehung zu Rhythmen, die oft den Ausgangspunkt für eine Komposition bilden. Anstatt einfach Schlagzeug zu spielen, suche ich nach ungewöhnlichen Geräuschen im Haus: ein Kratzen auf dem Boden, das Ploppen eines Kücheninstrumentes. Ich baue einen Rhythmus aus Geräuschen, dann kommt eine Melodie dazu oder eine harmonische Wendung".
Musikalischer Überflieger
"In My Room" – das Erstlingswerk des musikalischen Überfliegers Jacob Collier ist ein Feuerwerk an schrägen Rhythmen, schönem Harmoniegesang, jazzigen Klaviersoli und vielerlei Ideen, das sich jeden Klassifizierungen entzieht. Fast selbstredend, dass dieser junge Mann von Schubladen nicht viel hält. Er selbst, der sich übrigens alle Instrumente ohne Lehrer beigebracht hat, überschreitet ja auch völlig problemlos jede Grenze. Ganz zu Recht gilt Collier als ein Wunderkind, dessen größtes Problem vermutlich ist, von seiner Ideenflut nicht überwältigt zu werden. Bei alldem steht aber nicht im Vordergrund, mit seinem eklatanten Können anzugeben, sondern Songs zu produzieren, denen man gut zuhören, zu denen man sofort eine Beziehung aufbauen könne.