Jagdschein

Was Frauen das "grüne Abitur" machen lässt

09:08 Minuten
Jägerin Sabine Zuckmantel schaut auf dem Ansitz durchds Fernglas. Im Hintergrund ist ihr Gewehr zu sehen.
Sabine Zuckmantel ist eine erfahrene Jägerin. Sie hat schon vor 16 Jahren den Jagdschein gemacht. Immer mehr Frauen tun es ihr gleich. © Vanja Budde
Von Vanja Budde |
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In Deutschland ist die Jagd eine Männerbastion, aber zuletzt stieg die Zahl der Jägerinnen rasant. Es gibt Gründe dafür, dass die Jagd immer weiblicher wird – und bei aller Angleichung auch Unterschiede zwischen Jägerinnen und Jägern bleiben.
Ein Abend in einem Wald in Brandenburg, kurz vor der Dämmerung: Das Gewehr mit aufgeschraubtem Schalldämpfer geschultert, stapft Sabine Zuckmantel durch Brombeerranken und Brennnesseln. Wir sind auf dem Weg zu einem Hochsitz. In voller Montur: feste Stiefel, Regenhose, Pulli, warme Jacken. Jägerin Zuckmantel trägt noch einen vollgestopften braunen Jagdrucksack. Das Gewicht scheint die kleine, zierliche Frau nicht zu spüren. Die langen, grauen Haare hat sie zu einem Knoten gewunden.
Sabine Zuckmantel ist eine erfahrene Jägerin. Sie hat den Jagdschein seit 16 Jahren und schießt vor allem Wildschweine. In der Antike und auch im Mittelalter war es ganz selbstverständlich, dass Frauen zur Jagd gingen, zumindest diejenigen, die es sich leisten konnten. Doch hierzulande war die Jagd lange eine Männerbastion.

Wärmebildkamera im Rucksack

Vor 25 Jahren waren nur ein Prozent der Jagdscheininhaber Frauen, in den vergangenen Jahren ist diese Zahl rasant gestiegen, auf sieben Prozent der knapp 390.000 Jäger. In manchen Jägerkursen sind schon ein Viertel der Teilnehmer Frauen.
Am Hochsitz angekommen klettert die Jägerin die Holzleiter hinauf. Ihre drei Hunde hat sie im Auto am Wegesrand gelassen. Sie spüren das Wild auf. Auch darum geht Sabine Zuckmantel zur Jagd: Sie liebt die aufregende Zusammenarbeit mit ihren Hunden. Eine Motivation, die sie mit vielen Jägerinnen gemeinsam hat.
Oben angekommen richtet sie sich auf dem schmalen Sitzbrett ein, holt die Wärmebildkamera aus dem Rucksack, nimmt die Munition aus der Jackentasche, lädt die Büchse, "Kaliber 308." Wird sie heute Abend eines erlegen? Oder ein Reh? Erst einmal heißt es warten und beobachten, wie die Abenddämmerung die Konturen der Bäume um uns herum verschwimmen lässt.

Jagdschule, Jagdschein, Jagd

Weil ein normal lautes Gespräch das scheue Wild jetzt abschrecken würde, haben wir uns schon am Nachmittag andernorts im Wald getroffen. Eigentlich ist Sabine Zuckmantel eine ausgesprochene Morgenjägerin.
"Jetzt im Moment stehe ich oft schon um drei Uhr auf und bin dann noch bei Dunkelheit im Wald", erzählt sie. "Ich liebe diesen Moment, wenn aus dem Dunkeln langsam Grau und langsam Farben werden und wenn die Vögel anfangen zu singen. Alleine dafür lohnt es sich schon aufzustehen. Aber das ist nicht der Grund, warum ich den Jagdschein gemacht habe."
Sabine Zuckmantel wäre als Kind lieber ein Junge gewesen, erzählt sie. Sie las Karl May und Lederstrumpf. Später studierte sie, baute zuletzt einen Betrieb für Wanderreiten auf. "Und dann gab es eine Reiterreise und am Abschlussabend hat eine junge Frau, die mitgeritten ist, Jagdgeschichten erzählt. Sie ist selber Jägerin und ihre Eltern sind Jäger."
Es sei ein herrlicher Abend gewesen, schildert Zuckmantel: "Ich habe dann irgendwann gesagt, 'Ach Mensch, Martina, wie schade, dass ich nicht aus einer Jägerfamilie komme, ich wäre auch so gerne Jägerin geworden'. Und sie guckt mich an und sagt: 'Sabine, wo ist das Problem? Gehst du zur Jagdschule, machst du den Jagdschein, gehst du zur Jagd'. So habe ich es dann auch gemacht."

"Man merkt, wie das Leben das Tier verlässt"

Hanna von Versen ist Försterin in Brandenburg, da gehört der Jagdschein dazu. Ihr mutiger Rauhaardackel Brösel hat schon einmal ein Wildschwein gestellt. Hanna von Versen, Mutter von drei Kindern, hat es dann mit einem Messer getötet. Es war ihr bisher eindrücklichstes Jagderlebnis. "Man merkt halt, wie das Leben das Tier verlässt, während man darauf kniet. Ich kann das jetzt nicht schöner formulieren, aber das ist das, was passiert", sagt sie.
Auch ihren ersten Schuss auf ein Tier nach der Jagdscheinprüfung wird Hanna von Versen nie vergessen. Monatelang zögerte sie damals abzudrücken: "Die größte Sorge ist schlecht zu treffen und dem Tier unverhältnismäßig wehzutun und Leiden zu verursachen."
Doch dann war sie zu einer Drückjagd eingeladen. "Da kann ein angeschossenes Schwein und ich hatte einfach vor mir selber so gar keine Ausrede mehr", erinnert sie sich. "Und ich habe den dann erlegt, und der lag auch sofort. Da war ich ganz schön erleichtert. In jeder Hinsicht: Weil ich gut getroffen hatte und das Schwein sofort tot war. Aber auch, weil ich es ganz offensichtlich erlöst hatte. Ja, und da waren dann auch auf einmal keine Gewissenskonflikte mehr."
Die Bestände an Rehen und Wildschweinen müssten reduziert werden, sagt die Försterin, um den Wald vor Schäden zu schützen.

Lernen über die Natur

Imke Oltmanns aus Friesland an Nordseeküste hat den Jagdschein vor allem gemacht, weil sie gerne in der Natur unterwegs ist. "Aber ich bin auch nicht einfach nur gern draußen, ich würde auch gern ein bisschen mehr wissen", sagt sie. "Ich möchte auch wissen, wer sich hier noch aufhält in der Natur, außer mir, und möchte das auch sehen und deuten können."
Deswegen habe sie die ganze Jagdausbildung gemacht: "Das ist ja unheimlich umfangreich. Man lernt ja sehr, sehr viel über Wild. Das hat mich alles sehr interessiert, und ich halte mich gern draußen auf – und Jagd ermöglicht mir das."
Alle drei Jägerinnen schätzen auch sehr das Wildfleisch als gesundes, nachhaltiges Lebensmittel. Trophäen dagegen sind ihnen egal. "Bei einem Rehbock wäre das jetzt das Gehörn, das wird ja abgelöst und dann wird es bearbeitet und das kannst du auf ein Holzbrett nageln und an die Wand hängen. Das ist mir völlig wurscht. Mich interessiert an dem Reh eigentlich das Fleisch."
Auch bei Imke Oltmanns hat es lange gedauert, bis der erste Schuss viel. "Ich habe neben dem toten Reh gesessen in diesem Revier und habe Zwiesprache gehalten. Und es war okay. Das Reh war tot. Ich würde es mitnehmen. Ich würde es aufschneiden, ich würde es zubereiten und essen. Das war alles in Ordnung für mich."

Geschlechterunterschiede auf der Jagd

Jagen Frauen anders als Männer? Ja, sagt Sabine Zuckmantel. "Ich denke, und so höre ich es auch von einigen männlichen Kollegen, dass Frauen oft weniger Hasardeure sind und sich den Schuss oft ein bisschen besser überlegen."
Helmut Trümper, Jäger seit 1973, am Rand des Nationalparks Harz in Niedersachsen, bestätigt Oltmanns Wahrnehmung: "Ja. Das habe ich selber beobachtet in dem Revier, wo ich jage: Die sind definitiv zurückhaltender beim Schuss."
Er hat kein Problem damit, dass immer mehr Frauen zur Büchse greifen und auf die Pirsch gehen. Wir sitzen gemütlich bei Kaffee und Kuchen auf einer Terrasse am Schießplatz der Jägerschaft Osterode.
Karl Schumann ist deren Vorsitzender. Er selbst hat seit 1979 den Jagdschein, gehört also wie Helmut Trümper zum jagdlichen Urgestein. Aber auch ihm sind Vorurteile offensichtlich fremd: "Der wesentlichste Unterschied, den ich mitbekommen habe, ist, dass sie in der Regel ehrgeiziger sind, besser lernen, gerade in der schriftlichen Prüfung bessere Zensuren erzielen als ihre männlichen Kollegen, die das manchmal nicht so ernst nehmen."
Er findet auch, dass es ein normales weibliches Verhalten sei, wenn Frauen jagen und Tiere totschießen.

Ein Naturerlebnis – ohne Beute

Zurück auf den Hochsitz im Wald in Brandenburg. Es ist 22 Uhr und dunkel geworden. Ein Nachtvogel ruft und jeder größere Stein sieht in meinen ungeübten Augen aus wie ein Wildschwein. Aber die Jägerin Sabine Zuckmantel schmunzelt nur. Es wird jetzt kalt, wir sind müde und beschließen, den Ansitz zu beenden.
Wir packen zusammen, die Jägerin birgt ihre Waffe in einem Futteral. Dann klettern wir den Hochsitz hinunter und gehen langsam zurück zum Auto, in dem Sabine Zuckmantels Jagdhunde schlafen: Zwei Bracken und ein Bayerischer Gebirgsschweißhund, alle weiblich. Heute hatten sie keinen Einsatz.
Sabine Zuckmantel hat keine Beute gemacht, wir haben nicht einmal ein Stück Wild gesehen – und dennoch war es ein schönes Naturerlebnis, hier draußen im Revier.
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