Jagdunfall oder Mord?
Merle Krögers Krimi basiert auf einem wahren Fall: Zwei Rumänen versuchen die Grenze nach Deutschland zu überqueren und werden dabei von deutschen Jägern erschossen. Sie spinnt den Fall weiter, konstruiert eine Lösung, die den Betroffenen in der Realität verwehrt wurde.
Treffen sich ein Wessi und ein Ossi zum Jagen ... Was wie ein dummer Witz klingt, ist der Beginn einer tragischen Geschichte an der deutsch-polnischen Grenze in der Nachwendezeit. Erfolglos haben sich die beiden Männer die Nacht um die Ohren geschlagen. Dann bewegt sich etwas am Rand eines Feldes. Schüsse fallen. Doch was da raschelte, waren keine Wildschweine. Am frühen Morgen des 29. Juni 1992 sterben bei Peltzow in Mecklenburg-Vorpommern, nahe der Hansestadt Kollwitz, zwei Rumänen, die versuchen die grüne Grenze nach Deutschland zu überqueren - die Grenze zur EU.
Weder Peltzow noch Kollwitz existieren. Doch die Ereignisse am Feldrand, die den Ausgangspunkt von Merle Krögers Kriminalroman "Grenzfall" bilden, sind wahr. Das Buch entstand 2012 parallel zum Dokumentarfilm "Revision" von Philip Schefner, an dem Kröger mitarbeitete. 20 Jahre nach den tödlichen Schüssen nahe Nadrensee - so der wirkliche Name des Tatorts - im Norden Deutschlands widmet sich der Film der Rekonstruktion des Jagdunfalls.
Im Buch lässt Kröger, geboren 1967 in Plön in Schleswig-Holstein, stattdessen die Filmexpertin Mattie Junghans und den Journalisten Nick Ostrowski ermitteln. Ein Detektivpaar, das Kröger-Leser bereits aus den Krimis "Cut!" und "Kyai!" kennen. Zwei Jahrzehnte nach den Ereignissen rollen die beiden den Fall, dessen Akten nach Freispruch für die Schützen geschlossen wurden, wieder auf. Sie fragen sich, warum das Feld brannte, auf dem die Leichen gefunden wurden, warum die Familien in Rumänien nie von dem Prozess erfuhren und warum einer der vermeintlichen Mörder plötzlich selbst tot aufgefunden wird.
Da wo der Film dem Dokumentarischen treu bleibt, nimmt sich Kröger, die als Filmemacherin, Drehbuch- und Romanautorin in Berlin lebt, künstlerische Freiheiten. Im Nachwort ihres dritten Krimis schreibt sie, das Buch "gibt die Chance, emotionale und politische Momente zu verdichten und die Realität in einen Möglichkeitstraum umzudenken." Traum - weil die Autorin eine Lösung konstruiert, die den Betroffenen in der Realität verwehrt geblieben ist.
Die kriminalistische Spurensuche würzt Kröger mit einer Prise privatem Tohuwabohu und ein wenig Gegenwartsgeschichte. Auch die globale Finanzkrise hat ihren Auftritt. Wir befinden uns schließlich im Jahr 2012. Und vielleicht ist das der Grund, das schnelle Schreiben, warum Schröder kein wirklich großer Wurf gelungen ist. "Grenzfall" hat literarische Schwächen. Wie viele Bücher, deren Intention primär eine politische ist, keine Menschen erklärende.
Manche Szenen und Wendungen wirken plump und klischeebeladen, die Charaktere grob aus dem Text gehauen: da gibt es Zigarre rauchende Kapitalisten, eine gutmenschelnde Pastorin und Wessis mit Rolex. Das tiefste Innere der Protagonisten bleibt dem Leser verborgen. Ist "Grenzfall" dennoch ein gutes, ein wichtiges Buch? Ja, weil es Licht ins Dunkel wirft. Weil es Menschen zu Hauptfiguren macht, die es auch nach der EU-Osterweiterung vor allem dann in die Schlagzeilen schaffen, wenn es wieder heißt: Roma werden abgeschoben.
Besprochen von Marten Hahn
Merle Kröger: "Grenzfall"
Argument Verlag, Hamburg 2012
347 Seiten, 11 Euro
Weder Peltzow noch Kollwitz existieren. Doch die Ereignisse am Feldrand, die den Ausgangspunkt von Merle Krögers Kriminalroman "Grenzfall" bilden, sind wahr. Das Buch entstand 2012 parallel zum Dokumentarfilm "Revision" von Philip Schefner, an dem Kröger mitarbeitete. 20 Jahre nach den tödlichen Schüssen nahe Nadrensee - so der wirkliche Name des Tatorts - im Norden Deutschlands widmet sich der Film der Rekonstruktion des Jagdunfalls.
Im Buch lässt Kröger, geboren 1967 in Plön in Schleswig-Holstein, stattdessen die Filmexpertin Mattie Junghans und den Journalisten Nick Ostrowski ermitteln. Ein Detektivpaar, das Kröger-Leser bereits aus den Krimis "Cut!" und "Kyai!" kennen. Zwei Jahrzehnte nach den Ereignissen rollen die beiden den Fall, dessen Akten nach Freispruch für die Schützen geschlossen wurden, wieder auf. Sie fragen sich, warum das Feld brannte, auf dem die Leichen gefunden wurden, warum die Familien in Rumänien nie von dem Prozess erfuhren und warum einer der vermeintlichen Mörder plötzlich selbst tot aufgefunden wird.
Da wo der Film dem Dokumentarischen treu bleibt, nimmt sich Kröger, die als Filmemacherin, Drehbuch- und Romanautorin in Berlin lebt, künstlerische Freiheiten. Im Nachwort ihres dritten Krimis schreibt sie, das Buch "gibt die Chance, emotionale und politische Momente zu verdichten und die Realität in einen Möglichkeitstraum umzudenken." Traum - weil die Autorin eine Lösung konstruiert, die den Betroffenen in der Realität verwehrt geblieben ist.
Die kriminalistische Spurensuche würzt Kröger mit einer Prise privatem Tohuwabohu und ein wenig Gegenwartsgeschichte. Auch die globale Finanzkrise hat ihren Auftritt. Wir befinden uns schließlich im Jahr 2012. Und vielleicht ist das der Grund, das schnelle Schreiben, warum Schröder kein wirklich großer Wurf gelungen ist. "Grenzfall" hat literarische Schwächen. Wie viele Bücher, deren Intention primär eine politische ist, keine Menschen erklärende.
Manche Szenen und Wendungen wirken plump und klischeebeladen, die Charaktere grob aus dem Text gehauen: da gibt es Zigarre rauchende Kapitalisten, eine gutmenschelnde Pastorin und Wessis mit Rolex. Das tiefste Innere der Protagonisten bleibt dem Leser verborgen. Ist "Grenzfall" dennoch ein gutes, ein wichtiges Buch? Ja, weil es Licht ins Dunkel wirft. Weil es Menschen zu Hauptfiguren macht, die es auch nach der EU-Osterweiterung vor allem dann in die Schlagzeilen schaffen, wenn es wieder heißt: Roma werden abgeschoben.
Besprochen von Marten Hahn
Merle Kröger: "Grenzfall"
Argument Verlag, Hamburg 2012
347 Seiten, 11 Euro