"Jahre mit Ledig" von Fritz J. Raddatz

Temperamentvoller Nachruf auf die Freundschaft zweier Exzentriker

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In "Jahre mit Ledig" schreibt Raddatz über seine Zeit beim Rowohlt-Verlag. © picture alliance / dpa / Christian Charisius
Von Edelgard Abenstein |
Am Abend, bevor es erschien, brachte er sich um: "Jahre mit Ledig" liest sich deshalb wie das Vermächtnis des Literaturkritikers Fritz J. Raddatz. Es ist das Porträt seiner Freundschaft zum Rowohlt-Chef Heinrich-Maria Ledig-Rowohlt, den er als "sensiblen Elefanten" beschreibt.
Man kannte ihn als geräuschvollen Literaturkritiker und brillanten Essayisten, als den einst jählings gestürzten Fürsten des "Zeit"-Feuilletons, als ätzend-elegischen Tagebuchschreiber: Fritz J. Raddatz, der sich im Februar das Leben nahm - einen Tag, bevor sein letztes Buch erschien. Kein Zufall also, dass es sich wie ein Vermächtnis liest.
"Jahre mit Ledig" ist die Erinnerung an eine vergangene Zeit. An die 1960er Jahre, nachdem Heinrich-Maria Ledig-Rowohlt, der 1908 geborene uneheliche Sohn des Verlagsgründers Ernst Rowohlt und der Schauspielerin Maria Ledig von seinem Vater die Geschäfte übernommen hatte. Damals heuerte auch der junge Cheflektor des Ost-Berliner Verlags "Volk und Welt", Fritz J. Raddatz, in Hamburg an. Ein Dreamteam war geboren. Im Duo oder allein gingen sie auf Autorenfang, in Mailand, Paris, New York. Mit Jean Genet, Henry Miller, James Baldwin, Susan Sontag, Elfriede Jelinek machten sie Rowohlt zum führenden Verlagshaus der Bundesrepublik, damals einflussreicher als S. Fischer, Suhrkamp oder Hanser.
Schillernd-fideles Porträt einer ungemein produktiven Arbeitsbeziehung
Anekdotenreich und sehr komisch schildert Raddatz seinen Boss als Bohemien, zwischen Spielsucht und Kunsthunger, Havanna-Zigarren, Cocktail-Bars, Tennisplätzen und Swimmingpools. Stets in geblümten Hosenträgern schmiss er hochspendabel Lokalrunden und war gnadenlos, wenn Enzensberger, Rühmkorf, Walser weit nach Mitternacht dem Reeperbahn-Ausflug zu entkommen suchten. Auch wenn er nie vor 14 Uhr im Verlag erschien, war er ein Unternehmenschef, der die Kalkulation knallhart beherrschte, bei jeder Großbank aus- und einging und lange vor dem Internet bestens international vernetzt war. Kein Druckfehler entging ihm, kein falscher Ton in der Übersetzung. Da mussten unter seiner Leitung die Lektoren in Nachtarbeit nochmal ran, bis das passende Wort gefunden war.
So ist das Buch das schillernd-fidele Porträt einer ungemein produktiven Arbeitsbeziehung. Raddatz versäumt natürlich nicht, auch seine Verdienste hervorzuheben: wie er Rolf Hochhuths "Stellvertreter" aus dem Papierkorb klaubte, um das Vatikan-Drama zum Welterfolg zu führen. Oder wie er für die von ihm kreierte Taschenbuchreihe "rororo aktuell" Cohn-Bendit gewann, und Rudi Dutschke, "den man einschließen" musste, damit er etwas zu Papier brachte.
Kein Blatt vor den Mund genommen
Vor allem aber ist "Jahre mit Ledig" der temperamentvolle Nachruf auf die Freundschaft zweier Exzentriker. Wie immer, wie in seinen Tagebüchern oder Memoiren, nimmt Raddatz auch hier kein Blatt vor den Mund. Er erzählt vom "sensiblen Elefanten" Ledig. Er zeigt ihn einsam, verletzlich, voller Angst vor der Egomanie "seiner" Autoren, weshalb er nicht-deutschsprachige Autoren bevorzugte, deren Werk schon "fertig" war. Und er erzählt davon, dass Ledig nie eine Kränkung vergaß; so verzieh er dem Freund Carlo Feltrinelli niemals, dass der die Lizenz für Lampedusas "Leopard" an S.Fischer vergeben hatte.
Alles in allem lesen sich die "Jahre mit Ledig" wie herrlich "Vermischtes aus aller Welt", aus der Welt von gestern, als das Büchermachen kein Fall für Buchhalter, sondern noch ein Fest fürs Leben war.

Fritz J. Raddatz: "Jahre mit Ledig. Eine Erinnerung"
Rowohlt, Reinbek 2015
160 Seiten, 16,95 EUR

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