NRW feiert 70. und in Baden-Württemberg sind Wahlen
Unter dem Codenamen "Projekt Hochzeit" hatten die Briten im August 1946 – also vor 70 Jahren – den Zusammenschluss des nördlichen Teils der preußischen Rheinprovinz und der preußischen Provinz Westfalen verfügt. Und in Baden-Württemberg sind Landtagswahlen.
Bodo Hombach ist ein Kind des Ruhrgebiets. Im August 1952 in Mühlheim an der Ruhr geboren, prägte Hombach, der spätere Kanzleramtsminister unter Gerhard Schröder sowie Sonderkoordinator der Europäischen Union auf dem Balkan, viele Jahre die Politik in Nordrhein-Westfalen: Erst als Gewerkschaftsfunktionär, dann – an der Seite von NRW-Ministerpräsident Johannes Rau – die Landespolitik und die SPD – aber auch die Identität dieses Binde-Strich-Landes. Heute, 70 Jahre nach der Gründung, existiert der Bindestrich zwischen Nordrhein und Westfalen aus Hombachs Perspektive nur noch auf dem Papier:
"Wenn nämlich draußen, im Ausland, als Tourist gefragt wird: Wo kommst Du her? Der sagt durchaus auch: Aus Nordrhein-Westfalen."
Nach seiner Zeit in der internationalen Politik kehrte Hombach ins Ruhrgebiet und damit nach NRW zurück: Erst als Verlagsgeschäftsführer des großen WAZ-Konzerns, mittlerweile ist er Präsident der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik in Bonn. Vom Akteur ist Hombach zum Beobachter geworden – auch in der in NRW so oft gestellten Identitätsfrage. Dabei war er es selbst, der diesem Prozess einen entscheidenden Schub gab:
"In der Wahlkampfplanung 1985 suchten wir ein großes, emotionales, über die Detail-Themen hinauswachsendes Thema."
Also nicht weniger als eine gemeinsame Landes-Identität. Hombachs Grund-Idee damals, das Konzept der CSU als Partei der Bayern zu kopieren. "Wir Bayern und unsere Partei CSU." Doch, Abgrenzung als Prinzip war keine Lösung:
"Das geht in Nordrhein-Westfalen nicht. Sie können nicht sagen: Wir hier und die Bayern sind blöd. Dann antworten ihnen die Leute: Du bist blöd, ich fahre immer nach Bayern in Urlaub."
In einem von Zuwanderung geprägten Land war dies die falsche Variante:
"Das Landesbewusstsein stabilisierte sich auch aus der Bewältigung von Problemen. Der Begriff der Vielfalt war identitätsbildend."
Codename "Projekt Hochzeit"
Denn, so war Nordrhein-Westfalen entstanden, als eine Art Kunstprodukt: "Operation Marriage", Projekt Hochzeit, unter diesem Codenamen hatten die Briten am 23. August 1946 – also vor nunmehr 70 Jahren – den Zusammenschluss des nördlichen Teils der preußischen Rheinprovinz und der preußischen Provinz Westfalen verfügt. Einige Monate später entstand dann final, durch die Eingliederung des Landes Lippe, das Nordrhein-Westfalen in der heutigen Form.
"Wir alle, haben in jener notvollen Zeit Hand angelegt, jeder an seinem Platz: Der Kumpel im Ruhrgebiet, der Bauer in der Landwirtschaft, die Lehrer, die Ärzte, die Arbeiter, unser Richter und alle anderen Berufsstände."
Beschwor der erste Ministerpräsident Rudolf Amelunxen, von den Alliierten eingesetzt, bereits im Juli 1946 die Einheit des Bundeslandes, die dann auch kam:
"Wir haben uns damals bemüht, das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen und alles Trennende zurücktreten zu lassen."
Dabei war diese Einheit nicht unbedingt der Grundgedanke der Alliierten nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs: Das Ruhrgebiet, die Herzkammer der Industrie, sollte zwar am Leben erhalten, aber politisch neutralisiert werden. Daher bekamen die Arbeiterstädte an der Ruhr einen konservativen Gürtel umgelegt: Eben die Bauern aus Westfalen. Eine gemeinsame Identität war nicht vorhanden. Eine Aufgabe, er sich eben im Mai 1985 SPD-Mann Hombach widmete – und mithilfe von Umfragen schließlich löste: "Wir in Nordrhein-Westfalen" hieß der Slogan, der der SPD einen Wahlsieg von 52,1 Prozent einbrachte – und der in verschiedener Form noch heute in dem Binde-Strich-Land zitiert wird, wie sich Hombach erinnert:
"Er hat einen tiefen Resonanzboden gehabt und übrigens auch ein Bedürfnis, weil es diese Identitätspflege gar nicht richtig gab."
Auch heute noch zeigen sich Differenzen. Und auch auf den Bühnen des Landes finden sich noch immer Erinnerungen an die Gründung – sogar dann, wenn auch Hombachs Idee zitiert wird, wie beispielsweise vom Rheinländer und Kabarettisten Jürgen Becker:
"Wir in Nordrhein-Westfalen, hier leben Rheinländer und Westfalen zusammen in einem Bundesland. Das ist furchtbar, aber es geht."
Noch besser auf den Punkt brachte es der CDU-Politiker und heutige Patientenbeauftragte der Bundesregierung, der Westfale Karl-Josef Laumann, wenn man ihn nach seinem Lieblings-Witz fragt:
"Ich würde mal sagen, der Westfale hält, was die Rheinländer versprechen."
Doch bei aller Frotzelei, zog Laumann, einst CDU-Parteichef in NRW, bereits zum 65. Jubiläum ein – für den Westfalen typisch – pragmatisches Fazit:
"Also, ich glaube, dass Nordrhein-Westfalen ein Land ist, wo die Menschen, dieses Land akzeptieren und wo sie es auch über die Jahre liebgewonnen haben."
Jubiläumsfeier in der Landeshauptstadt Düsseldorf
Der Bindestrich. Es soll nicht mehr trennen, sondern vielmehr verbinden. Um das noch mehr zu betonen, war auch vor einigen Jahren der NRW-Tag gegründet: Zum achten Mal findet er in diesem, dem 70. Jubiläums-Jahr statt – natürlich in der Landeshauptstadt Düsseldorf. 2014 war Bielefeld noch Gastgeber:
"Ich habe mich auf diesen Tag sehr gefreut. Eins der größten und schönsten Bürgerfeste, die es in Nordrhein-Westfalen gibt."
Nun wird Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in Düsseldorf sprechen. Am 26. August wird sie die dreitägigen Feierlichkeiten eröffnen, denn eine gemeinsame Identität, sie ist gerade in Zeiten der Globalisierung und Flüchtlingsfragen aktueller denn je, weiß auch Hombach:
"Man hat auch die Fähigkeit in Nordrhein-Westfalen die Chance, die die Vielfalt als Stärke zu erkennen. Und das ist ja aktueller als je."
Und angesichts der Integrationsherausforderung für Flüchtlinge ein passendes Motto für das 70. Jubiläum in diesem Jahr an Rhein und Ruhr.
Jahresausblick für Baden-Württemberg - von Uschi Götz
"Jede Stimme zählt", steht in einem Landeswahlprogramm. Ich lese so etwas immer im Auto, da habe ich Zeit. Für mich zählt jeder Kilometer, ein Kilometer, ein Seite Wahlprogramm. Wohl dem, der in diesen Zeiten in den Redaktionsstuben sitzen darf. Was bringt das neue Jahr in Baden-Württemberg- wurde ich gefragt? Eine bedeutungsschwere Landtagswahl, habe ich gesagt. Das war zu wenig. Sie wollen Trends hören, ich möge bitte in die Zukunft blicken. Ich frage in diesen Fällen immer mein Orakel:
Ich stehe seit zehn Minuten an einergrünen Ampel mitten in Stuttgart, doch es geht nicht weiter. Grün ist übrigens immer noch im Trend, der grüne Winfried Kretschmann ist als Ministerpräsident so beliebt, dass ihn sogar viele Schwarzen wählen würden. Das kann sich natürlich alles bis zur Wahl im März noch ändern. Egal wer an die Regierung kommt, was bleibt sind die Staus. Vor mir Autos, hinter mir Autos, neben mir ein Mensch, Reimund Elbe vom ADAC, wir stehen im Stau, einen Kilometer bis zum baden-württembergischen Landtag, das ist relativ normal:
"Das ist normal in Stuttgart, durch seine Kessellage liegt es sehr problematisch, wir haben in Stuttgart extreme Bedingungen, wir haben ein System, das nicht ganz schlüssig ist. Das heißt, wir haben extrem viele Ampelschaltungen, wir haben auch Ampelschaltungen, die nicht optimal aufeinander abgestimmt sind, wir haben unterschiedliche Geschwindigkeiten, da kommt viel zusammen."
Rot! Jetzt ist die Ampel rot. Wenn das kein Zeichen ist. Einige halten ja auch Schwarz-Rot, eine Große Koalition, für möglich im Land, vielleicht auch eine Ampel, verschiedene Ampeln sind möglich. Das ist aber nicht das Thema von Reimund Elbe,er ist von Haus aus gelb, was allerdings nichtsmit der FDP zu tun hat.
"Übrigens auch der Öffentliche Personennahverkehr ist ja auch so hoch belastet. Es ist ja nicht so, dass wir da extrem viele Kapazitäten hätten. Deswegen kann natürlich auch ein Mittel sein, dass man die Arbeitszeiten noch flexibler gestaltet …"
Im Schneckentempo geht es weiter, rechts von der Straße ist eine sehr große Grube, das Bauloch von Stuttgart21. Auch diese Baustelle sorgt für zusätzlichen Verkehr und Umleitungen in der Landeshauptstadt, die bekanntlich in einem Talkessel liegt. Weil es links und rechts nicht weitergeht, baut man ja einen unterirdischen Bahnhof.
Es geht weiter, vorbei am baden-württembergischen Landtag, auch das Hohe Haus ist eine Baustelle. Der Plenarsaal bekommt eine Kuppel, in diesem Jahr wird das umgebaute Haus eingeweiht. Die Politiker haben sich mehr Licht in den nächsten Jahren gewünscht. Wenn das kein gutes Zeichen ist?!
Aus Stuttgart geht es jetzt zügig hinaus über die Weinsteige auf die A8 Richtung München. Jeder Kilometer zählt jetzt…
Jetzt stehe ich auf der A8 – vor mir Autos, hinter mir Autos. Ein 20 Kilometer langer Stau. Rechts und links drängeln Autofahrer an mir vorbei, rechts, links, wohin? Es gibt kein Ausweichen. Ich lese ein bisschen, kein Weg führe am Einzug der AfD in den baden-württembergischen Landtag vorbei, steht da. Wer kann das heute schon wissen? Mein Orakel ist nutzlos. Baden-Württemberg bleibt Stauland Nummer eins, das kann ich sagen.
Doch soll das die Botschaft aus Baden-Württemberg für das ganze Land sein? Ist das der Trend? Ja, Baden-Württemberg steht im Stau und hierzulande erwartet niemand mehr politische Lösungen für dieses Problem. Wir im Ländle setzen auf die heimischen Autobauer, auf die ist Verlass. Autonomes Fahren heißt der neue Megatrend aus Baden-Württemberg. Nicht weniger Autos, sondern fahrzeuglenkerunabhängige Fahrzeuge, das wird kommen. Und bis es kommt, stehen wir im Stau. Und selbst im Stau lernt man für‘ s Leben. Gelassenheit verbreitet ausgerechnet ein bayerischer Nachbar:
"Was ist eine halbe Stunde hin- oder her im Leben!"