Thea Dorn, geboren 1970, ist Schriftstellerin und Autorin von Theaterstücken und Essays. Immer wieder moderiert die studierte Philosophin auch Fernsehsendungen, vor allem über Literatur. Seit März 2017 ist sie festes Mitglied im "Literarischen Quartett". Zuletzt erschien von ihr das Buch "Deutsch, nicht dumpf – Ein Leitfaden für aufgeklärte Patrioten".
Michael Koß, geboren 1976, studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Rechtswissenschaft in Göttingen, Besançon und Uppsala. Nach der Promotion war er bis 2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politik und Regieren in Deutschland und Europa an der Universität Potsdam und wechselte danach an das Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit Herbst 2019 hat er eine Professur an der Leuphana Universität Lüneburg.
Zeit der Umbrüche
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Was hat das Jahr 2019 geprägt? Die Schriftstellerin Thea Dorn macht einen Epochenwechsel aus, auch der Politikwissenschaftler Michael Koß beschreibt widersprüchliche Entwicklungen. Zusammen blicken sie auf die wichtigsten Debatten zurück.
Wäre das Jahr 2019 ein Wein, so hätte man es mit einem sehr verwirrenden Jahrgang zu tun gehabt, sagt die Schriftstellerin Thea Dorn. "Wir sind mitten in einer gewaltigen Umbruchzeit, es knirscht in allen Ecken im Gebälk." Es sei noch unklar, ob das am Ende zu einer Stabilisierung führen könne oder ob unsere Welt in fünf oder zehn Jahren völlig anders aussehen werde. "Ich muss ständig an die großen Epochenumbruchzeiten wie um 1800 herum denken, wo auf einmal auch die Welt innerhalb von 40 Jahren sehr anders aussah."
Der Politikwissenschaftler Michael Koß denkt an die 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. "Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt " – das liege direkt beieinander.
Sie habe 2019 sehr viel über das Phänomen "Greta Thunberg" nachgedacht, so Dorn. Die schwedische Klimaaktivistin war kürzlich als jüngste Persönlichkeit überhaupt vom "Time Magazine" zur Person des Jahres 2019 gekürt worden. Es handele sich um eine unfassbare Mischung aus höchster Authentizität und perfekter Inszenierung, die unsere Zeit beschreibe, sagt Dorn. "Wir alle haben ja eine Sehnsucht nach dem Authentischen – und Authentizität kann man nicht faken."
Für sie sei der größte Lichtblick, dass Greta als einzelne junge Frau so viel bewegen könne, sagt die Autorin. Was viele Menschen an der Klima-Aktivistin bewunderten, sei deren Radikalität, mit der sie ihr ganzes junges Leben der Verfolgung ihrer Ziele unterordne. "Normalerweise haben wir es ja eher mit dem gegenteiligen Phänomen in der westlichen Welt heute zu tun." Es sei eher die Zeit zerstückelter Biografien und da komme plötzlich eine junge Frau mit einer Mission. Das sei Teil des Erfolgs von Greta Thunberg.
Frage der Glaubwürdigkeit
Koß zeigte sich etwas skeptischer: Es stehe noch im Raum, ob Gretas Anhängerschaft wirklich dazu bereit sei, auf zwei Jahresurlaube dauerhaft zu verzichten, so der Politologe. Er wolle nicht zynisch sein, aber das sei das Minimum dessen, was man jetzt tun müsse, um Glaubwürdigkeit zu vermitteln. Der Misserfolg der Klimakonferenz in Madrid habe gezeigt, dass diese Form der Entscheidungsfindung von Staaten nicht funktioniere.
Weitere Gesprächsthemen sind das umstrittene Video des YouTubers Rezo, in dem er unmittelbar vor der Europawahl zur "Zerstörung der CDU" aufrief, aber auch die Lage der großen Volksparteien CDU und SPD. Auch die neuen E-Scooter in unseren Städten sind in der Debatte.
Erinnerung an Verstorbene
Bei dem Gedenken an prominente Persönlichkeiten, die 2019 gestorben sind, erinnert Dorn ausdrücklich an den Tod der Schriftstellerin Brigitte Kronauer, die noch einen grandiosen letzten Roman "Das Schöne, Schäbige, Schwankende" verfasst habe, und an die verstorbene US-Autorin Toni Morrison, die ihr Bild von den USA stark geprägt habe. Koß nennt ausdrücklich den britischen Sänger Mark Hollis von der Band "Talk Talk", dessen Alben er anlässlich der Todesmeldung noch einmal angehört habe.
(gem)