Uralter Judenhass und moderne Verschwörungsmythen
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Vor zwei Jahren versuchte ein Attentäter, ein Blutbad in der Hallenser Synagoge anzurichten. Seitdem ist in Deutschland in Sachen Antisemitismus nichts besser geworden. Der Publizist Heribert Prantl gibt der AfD eine erhebliche Mitschuld daran.
Zwei Jahre nach dem Terroranschlag von Halle wird in der Stadt der Opfer und Hinterbliebenen mit Kranzniederlegungen und Kundgebungen gedacht. Politiker, Zivilgesellschaft, Betroffene - immer wieder werden Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt. Trotzdem scheint es, als sei die Judenfeindlichkeit in Deutschland seit dem Angriff auf die Hallenser Synagoge noch schlimmer geworden.
Sechs judenfeindliche Straftagen - täglich
Im vergangenen Jahr gab es täglich sechs judenfeindliche Straftaten. Deutschland verzeichnet damit den höchsten Stand antisemitischer Straftaten seit 20 Jahren. Der jüngste Fall: Unbekannte greifen einen ehemaligen israelischen Soldaten in Berlin-Rummelsburg mit Reizgas an.
"In den letzten Wochen erleben wir ein gesellschaftliches Klima, in dem Antisemitismus immer wieder verharmlost und verleugnet wird", sagt der Antisemitismus-Beauftragte des Landes Berlin, Samuel Salzborn. Und auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, warnt mit Blick auf den Anschlag in Halle vor der Verbreitung von Hass und Hetze.
"Der Antisemitismus wird immer massiver", beobachtet auch der Publizist Heribert Prantl. Uralter Hass treffe auf moderne Verschwörungsmythen. Um die Situation zu beschreiben, nutzt Prantl einen Satz von Hannah Arendt: "Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Monde sicher." In diesem Sinne, sagt Prantl, würde er den Mond gern auf die Erde holen.
Völkisches Getöse bei der AfD
Prantl gibt der AfD eine erhebliche Mitschuld am Erstarken der Judenfeindlichkeit. "Das völkische Getöse bei der AfD ist immer stärker geworden", sagt er. Es gebe Versammlungen und Demonstrationen, "wo vor Begeisterung gejohlt wird, wenn die Naziverbrechen verharmlost, die Juden verhöhnt und die Muslime verachtet werden".
Das Ansteigen des Antisemitismus habe deswegen mit der AfD zu tun, weil das Land durch die Partei verändert worden sei. Der Rassismus sei sichtbarer und sagbarer geworden. Der Rechtsextremismus habe Internet und soziale Netze verlassen und sei inzwischen auch bei Polizei und Bundeswehr präsent. Die gesellschaftliche Aufgabe sei dementsprechend groß.
Antisemitismus, darin sind sich Betroffene und Experten einig, ist in Deutschland zu einem alltäglichen Phänomen geworden. Erst vergangene Woche hatten Anfeindungen, denen der Musiker Gil Ofarim in einem Hotel ausgesetzt war, Schlagzeilen gemacht.
Überrascht von der Überraschung
Der jüdische Regisseur Arkadij Khaet war, auf die Debatte rund um den Fall Ofarim angesprochen, überrascht – darüber, dass die Mehrheitsgesellschaft von der Verbreitung des Antisemitismus in Deutschland überrascht worden sei.
Das hänge wohl auch damit zusammen, sagt Khaet, "dass man sich die Geschichte erzählt hat, dass es in Deutschland keinen Antisemitismus mehr gibt. Weil es keinen Antisemitismus geben darf." Die Wahrheit sei aber: "Er findet täglich statt."
Am 9. Oktober 2019 hatte ein schwer bewaffneter rechtsextremer und antisemitischer Attentäter versucht, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur in der Synagoge der Jüdischen Gemeinde zu Halle ein Blutbad anzurichten. Als ihm dies nicht gelang, erschoss er eine 40-jährige Passantin.
Lebenslange Haft und Sicherungsverwahrung
Wenig später tötete er einen 20-Jährigen in einem Döner-Imbiss. Auf seiner Flucht verletzte der damals 28-Jährige mehrere Menschen, ehe er von der Polizei gefasst wurde. Das Oberlandesgericht Naumburg verurteilte den Attentäter Stephan Balliet 2020 zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung.
(ahe, mit dpa)