Ein Lob auf die Bürokratie
Beamte haben es in Deutschland schwer, es gibt etliche Witze über sie. In der Flüchtlingskrise scheint sich das zu wandeln, selbst die FDP fordert die Einstellung von mehr Beamten. Der Wirtschaftsjournalist Ralph Bollmann erklärt uns die Gründe.
Jahrelang ging es der Bundespolitik darum, Bürokratie abzubauen. Es schien, als gäbe es zu viele Beamten für Arbeit, die überflüssig zu sein schien. Das Schlagwort hieß "Bürokratieabbau". Doch seitdem hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kommen, scheint sich etwas zu verändern: Vom Bundesamt für Migration über das Berliner LaGeSo, von der Bundespolizei bis zu Lehrern – überall werden mehr Staatsangestellte und Beamte gefordert. Selbst FDP-Chef Lindner forderte kürzlich mehr Neueinstellungen.
Verändert sich das Beamtenbild der Deutschen gerade? Anlässlich der Jahrestagung des Beamtenbundes haben wir mit Ralph Bollmann, dem Berlin-Korrepondenten der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", gesprochen.
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Kennen Sie den: Wie geht ein Beamtenmikado? Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Beamte haben in Deutschland traditionell einen schweren Stand – Beamtenwitze gibt es ja wie Sand am Meer, zudem standen ja jahrzehntelang Schlagworte wie Bürokratieabbau oder Staatsquote auf der politischen Agenda, doch seitdem zehntausende Flüchtlinge nach Deutschland kommen, scheint sich doch etwas zu ändern. Vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bis zum viel gescholtenen Berliner Lageso – also Landesamt für Gesundheit und Soziales –, von der Bundespolizei bis zu Lehrern: Überall werden plötzlich Staatsangestellte und Beamte gefordert, auch auf der Jahrestagung des Deutschen Beamtenbundes gerade in Köln.
Ralph Bollmann, Berlinkorrespondent für die Wirtschaftspolitik der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hat sich schon länger mit dem Beamtentum beschäftigt, 2012 sogar ein "Lob der Bürokratie" verfasst. Ich habe mit ihm gesprochen und ihn gefragt, ob ihm denn jetzt die jüngste Geschichte recht gibt?
Ralph Bollmann: Ein Stück weit schon, glaube ich. Der Witz, den Sie gerade zitiert haben, dass sich Beamte nicht bewegen, das gehört ja in einem gewissen Umfang zu ihrem Job.
Ich darf vielleicht erinnern an die klassische Definition, die der Soziologe Max Weber gegeben hat für Bürokratie, nämlich Bürokratie ist die Ausübung von Geschäften nach allgemeinen angebbaren Prinzipien, das heißt auch mit klaren Kompetenzen und mit der Möglichkeit des Rechtswegs und der Berufung, also die Abwesenheit von Willkür, und wenn sich Beamte sozusagen zu sehr nach eigenem Gusto bewegen, das machen, was sie wollen und von Verfahren abweichen – das merkt man ja jetzt auch zum Beispiel in der Diskussion um das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge –, dann gibt es eben am Ende ein Problem.
Unterschiedliche Bürokratien in den Bundesländern
Brink: Ein Problem, was wir nicht wollen, aber der Witz – so habe ich ihn zumindest auch ein bisschen verstanden –, der reflektiert ja auch ein bisschen dieses Image vom faulen Beamten, das wir ja ganz lange auch gepflegt haben, kann man wohl irgendwie so sagen. Stimmt das auch nicht mehr, müssen wir da ein bisschen unsere Klischees überprüfen?
Bollmann: Das ist natürlich sehr unterschiedlich auch in den einzelnen Bürokratien und Bundesländern. Was es schon gibt, ist sowas wie dysfunktionale Bürokratie, was wir bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eben im Moment auch erleben, und deshalb sind mehr Stellen alleine, glaube ich, auch nicht der Königsweg, das erklärt selbst Frank-Jürgen Weise, der Präsident des BAMF, der ein Interesse daran hat, mehr Stellen zu bekommen und sie ja jetzt auch bekommt. Trotzdem muss man natürlich die Verfahrensabläufe effizienter machen. Ich würde mal ganz frech sagen, man muss sie bürokratisieren.
Brink: Bürokratisieren inwiefern? Also sozusagen, dass sich nicht mehr jeder Beamte nach seinem Gusto bewegen kann, sondern, dass es eine allgemeine Bewegung gibt?
Bollmann: Dass eben sozusagen nach diesen allgemeinen Prinzipien die ganze Sache organisiert wird und man nicht mehr, wie das ja in Berlin offenbar der Fall zu sein scheint, Aktensucher losschicken muss, die dann nach irgendwelchen verschollenen Akten, die eben nach Gusto irgendwo abgelegt wurden, suchen müssen.
Brink: Ob jeder, der dann über Beamte entscheidet, seinen Max Weber auch gelesen hat, das wage ich allerdings zu bezweifeln! Vor gut zehn Jahren kamen ja zahlreiche Bücher auf den Markt, die noch völlig anders klangen: Da hieß es, "Die Beamtenrepublik: Der Staat im Würgegriff seiner Diener" oder "Die Verwaltungsarmee: Wie Beamte den Staat ruinieren" – dann hat sich doch unsere Wahrnehmung verändert vom Beamten.
Bollmann: Ja, klar hat die sich verändert. Es hängt, glaube ich, damit zusammen, dass wir einfach sehen, an welchen Stellen es sozusagen auch die Notwendigkeit gibt. Angefangen hat das, glaube ich, in der Finanzkrise, wo man gesagt hat, wir brauchen eine Bankenaufsicht, Bankenregulierung, das ist ja im Grunde auch, wenn man so will, Bürokratie, und in der aktuellen ...
Wo die Probleme in Griechenland liegen
Dann kam die Griechenlandkrise. Wenn man sich anschaut, wo das Problem in Griechenland lag, dann war es in gewisser Hinsicht auch eine Unterbürokratisierung, wenn es eben keine funktionierenden Finanzämter, Katasterämter et cetera, et cetera gibt, und jetzt eben in der Flüchtlingskrise in doppelter Hinsicht, also auf der einen Seite bei der Registrierung, Erfassung der Flüchtlinge, Bearbeitung der Asylanträge, aber eben auch auf der anderen Seite bei der Flüchtlingshilfe- Da ist zwar immer viel von den vielen Ehrenamtlichen die Rede, die sich da jetzt engagieren, aber das würde auch nicht funktionieren, wenn es nicht doch staatliche Bürokratien gäbe, auch auf kommunaler Ebene, die das alles koordinieren und organisieren.
An dem Punkt, muss man sagen, werden wir im Moment von anderen Ländern sehr, sehr bewundert, wie das in Deutschland doch sehr reibungslos funktioniert.
Brink: Interessant ist ja in der letzten Zeit – Sie haben es erwähnt –, in der Flüchtlingsdebatte werden ja mehr Beamte gefordert, aber jetzt zum Beispiel auch nach den Vorkommnissen in Köln ist der Ruf nach mehr Polizeibeamten laut geworden, sogar die Grünen haben sich dem nicht verweigert, was ja schon ganz bezeichnend ist. Ist das richtig, stimmt das, hat sich da was verändert, brauchen wir mehr Beamte?
Bollmann: Es mag sein, dass wir mehr Beamte brauchen, das will ich gar nicht ausschließen, aber ich glaube auch hier gilt, mit mehr Stellen alleine ist es noch nicht getan. Wenn man sich genau anschaut, was in Köln passiert ist, war das ja wohl ganz stark auch ein Organisationsversagen der Polizei, und nach den Informationen, die wir bis jetzt haben, ist es ja so, dass die Beamten durchaus dagewesen wären und hätten angefordert werden können in der Nacht, nur ist das nicht passiert, deshalb bin ich bei der Forderung nach mehr Stellen – ja, ich glaube, dass wir in bestimmten Bereichen in der neuen Situation mehr Stellen brauchen, aber es ist eben immer auch eine Frage nach Organisation, nach effizienten Verfahren, also, ja, am Ende nach mehr Bürokratie.
Brink: Auch bei der Jahrestagung des Beamtenbundes wird das Thema Flüchtlinge aufgegriffen – sind Beamte, wie soll ich es formulieren, so etwas wie die heimlichen Profiteure der Krise? Sagt irgendjemand zu deinem Sohn, werde Beamter, das ist gut, was man irgendwie mal als spießig abgetan hat?
Bollmann: Natürlich ist es spießig, andererseits hat man den Spruch immer gehört, so nach dem Motto, das ist ein sicherer Job beim Staat, da kann nichts passieren. Es ist im Moment, glaube ich, ein bisschen anders, weil die Wirtschaft so boomt und es eine größere Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt gibt, was übrigens auch ein Problem ist, dass der Staat dann unter Umständen nicht mehr die Besten bekommt, wie das vielleicht eine Zeit lang mal der Fall war, das könnte schon sein.
Brink: Ralph Bollmann von der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und sein Loblied auf das Beamtentum.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.