"Gauck war von Anfang an ein Mann von gestern"
Welchen Bundespräsidenten hätten wir denn gerne? Auf keinen Fall einen zweiten Gauck, sagt der Publizist Jakob Augstein, der den amtierenden Präsidenten für "den konservativsten, den wir je hatten", hält. Deutschland brauche einen Mann oder eine Frau mit Gespür für aktuelle gesellschaftliche Probleme.
Nach Ansicht des Journalisten und "Freitag"-Herausgebers Jakob Augstein sollte Deutschlands nächster Bundespräsident ein Gegenentwurf zu Joachim Gauck sein: modern und vertraut mit aktuellen gesellschaftlichen Problemstellungen.
Im Deutschlandradio Kultur sagte Augstein, Deutschland habe nie einen konservativeren Präsidenten als Gauck gehabt: "Gauck war von Anfang an ein Mann von gestern. Und es wäre toll, wenn wir jetzt einen Mann oder eine Frau von heute oder am Besten von morgen bekämen."
"Modern" bedeutet für ihn: Der nächste Präsident müsse stärker teilhaben an der Gegenwart und nicht der Meinung sein, "dass alle Probleme sich bereits damit gelöst haben, dass es die DDR nicht mehr gibt".
Gauck habe keine Antworten und Meinungen zu drängenden Problemen wie Netz-Überwachung und digitale Sicherheit. Abgesehen davon, dass Christian Wulff sich letztlich als ungeeignet für das Amt erwiesen habe, sei er jedoch "von der Typologie her der Richtige gewesen".
Es muss nicht zwingend eine Frau sein
Zur aktuellen Debatte um einen geeigneten Kandidaten sagte Augstein: Dies müsse nicht zwingend, wie von einigen Seiten gefordert, eine Frau sein, denn "die Quote" sei durch eine Bundeskanzlerin schon erfüllt. Ein politisch linker Kandidat sei ihm persönlich natürlich am liebsten, doch wolle er sich dabei lieber nicht mehr auf die Vorschläge der linken Parteien verlassen: So hätten SPD und Grüne seinerzeit Joachim Gauck vorgeschlagen.
Auch eine Direktwahl nach österreichischem Vorbild hält Augstein für keine gute Idee: Das Nachbarland hätte sich auf diese Weise beinahe einen Präsidenten eingehandelt, der nach deutschen Begriffen als rechtsradikal zu bezeichnen sei.
"Schon Gauck war ja teilweise eine Zumutung und eine Herausforderung für die Bundesregierung, weil er ja so eigensinnig war. Wenn Sie jetzt noch einen direkt gewählten Kandidaten hätten, dann sind Sie nicht mehr so sicher, ob Sie da nicht so selbstherrliche Figuren bekommen."
Das Inteview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Wer folgt Gauck? Das ist die große politische Frage für die nächsten Monate. Seit gestern ist es offiziell, der Bundespräsident will das nicht, kann das nicht mehr, was sich viele gewünscht hätten, eine zweite Amtszeit im Schloss Bellevue. Wer, wenn nicht Gauck? Was muss ein Bundespräsident, eine Bundespräsidentin in diesen Zeiten für ein Profil mitbringen, um die Richtige zu sein an der Spitze des Landes? Wir versuchen uns an einer kleinen Jobbeschreibung mit Jakob Augstein, dem Herausgeber der Wochenzeitung "Freitag". Einen schönen guten Morgen!
Jakob Augstein: Hallo, guten Morgen!
Frenzel: Der neue Bundespräsident könnte vielleicht etwas, sagen wir, moderner sein als Gauck. Herr Augstein, das haben Sie schon vor drei Tagen über Twitter verbreitet, als klar wurde oder als sich abzeichnete, dass Gauck wohl nicht mehr antreten wird. Fangen wir mal damit an, was heißt denn moderner?
Augstein: Na ja, mich hat sozusagen die allgemeine Begeisterung über Gauck schon die ganze Zeit gewundert. Denn ich erinnere mich jetzt gar nicht, dass wir jemals einen konservativeren Präsidenten hatten als ihn. Also, er war sicher für Teile der deutschen Bevölkerung der ideale Typ, aber ich würde sagen, zumindest für das städtische Publikum, das etwas zeitgenössisch ausgerichtetere Publikum war das doch der falsche Mann mit seinen sehr nach hinten gerichteten Werten und Überzeugungen und auch Verhaltensweisen. Moderner bedeutet einfach jemand, der stärker teilnimmt an unserer Gegenwart und der nicht der Meinung ist, dass alle Probleme sich bereits damit gelöst haben, dass es die DDR nicht mehr gibt.
Frenzel: Machen wir mal weiter mit den verschiedenen Kriterien, die gerade so auf dem Markt sind: Viele sagen, es müsste auf jeden Fall eine Frau sein. Passt das zusammen mit moderner?
Modern heißt nicht: nach politisch korrekten Kriterien
Augstein: Ich finde nicht, dass es eine Frau sein muss. Ich finde, wir haben unsere Quote erfüllt, weil wir eine Bundeskanzlerin haben. Und das meine ich jetzt nicht sarkastisch, sondern das ist gut, das zeigt, dass Deutschland da tatsächlich ein modernes Land ist. Da sind wir tatsächlich aus dem Grund frei. Wenn wir jetzt einen Kanzler hätten, wäre ich wirklich dafür, dass wir eine Präsidentin bekommen, aber da sind wir, glaube ich, ganz entspannt. Ich finde das auch den falschen Weg. Ich finde jetzt auch nicht, dass man diesen Posten so besetzen sollte wie den Parteichef der Grünen, es muss eine Frau sein und dann noch einer aus dem Westen und einer aus dem Osten und am besten auch noch Muslim, und wenn es irgendwie noch genderneutral ist oder lesbisch oder so, dann ist es noch besser. Das meine ich jetzt eindeutig nicht mit modern, das geht zu weit.
Aber ich sage noch mal, sehen Sie: Als der NSA-Skandal war oder überhaupt die ganze Frage Datenschutz, Digitalisierung unserer Welt, das ist prägend für unsere Gesellschaft, das sind Sachen sozusagen, die unsere Gesellschaft viel, viel tiefer prägen, als es dem Einzelnen oft klar wird. Und dafür hat jemand wie Gauck null Verständnis. Das sind einfach Sachen, die mit seiner Lebenswelt und seiner Gegenwart nichts, nichts, nichts zu tun haben. Also, auch wenn Sie das wundern wird, was ich jetzt sage, aber ich fand … Also, wenn Christian Wulff nicht so sich als, wie soll ich sagen, unfähig erwiesen hätte, dieses Amt auszufüllen, dann wäre er von der Typologie her, war er schon der Richtige. Es war ein vergleichsweise junger Mann mit einer Frau, mit einem Kind, der fast so eine Art deutsche Durchschnittsfamilie repräsentierte, das war schon nicht so schlecht. Nur, er war halt leider nicht der richtige Typ dafür.
Frenzel: Der Mann hätte jetzt auf jeden Fall Zeit, aber sein Name fällt wahrscheinlich aus verständlichen Gründen nicht. Herr Augstein, darf ich Sie mal übersetzen: Verstehe ich richtig, dass Sie eigentlich dann am liebsten also auch als Counterpart zu der Frau, der konservativen Frau im Bundeskanzleramt einen Linken hätten?
Augstein: Na gut, ich hätte ohnehin immer am liebsten einen Linken, aber mich fragt man ja leider nicht. Wissen Sie, Sie dürfen …
Frenzel: Wir fragen Sie!
Augstein: Joachim Gauck wurde vorgeschlagen, ist vorgeschlagen worden damals von SPD und Grünen und war dann der konservativste Präsident seit Menschengedenken, also, auch da gibt es heute keine Sicherheiten mehr.
Welcher Lebenswelt gehört der nächste Präsident an
Frenzel: Aber wenn wir uns mal die politische Situation in diesem Lande angucken: Das Land ist ja, wenn wir uns Wahlergebnisse anschauen, öffentliche Debatten, Pegida und Co., ja tendenziell eher nach rechts gerutscht. Müsste ein Präsident, der integriert, nicht eigentlich jemand sein, der versucht, dieses Land an dieser Trennscheide wieder zusammenzubringen? Also eigentlich tendenziell ein eher Konservativer sein als ein Progressiver?
Augstein: Das hat Gauck ja gemacht. Gauck hat ja in der Einwanderungsdebatte eine doch deutlich andere Position bezogen als die Kanzlerin, um eben die Leute davon abzuhalten, nach rechts wegzudriften. Ich finde, das hat er auch gar nicht so schlecht gemacht. Ich glaube übrigens, dass das jeder Bundespräsident so gemacht hätte an seiner Stelle und auch jeder Nachfolger so machen würde. Kein Nachfolger würde sich hinstellen und sagen, wir nehmen die Ängste und die Sorgen der Leute, was die Migration angeht, nicht ernst und gehen einfach tapfer immer weiter mit der Willkommenskultur. Das würde wirklich niemand machen.
Ich sage noch mal, moderner sehen Sie einfach daran, zu welcher Lebenswelt der gehört, was repräsentiert der, welches Lebensgefühl repräsentiert der? Kann der was mit der Digitalisierung anfangen, hat der ein Verständnis für Migration, also hat der ein Verständnis, ein inneres Gefühl, eine Verbindung zu den Themen, die wirklich unsere Gesellschaft prägen und ausmachen? Und Gauck war ein Mann von gestern. Und das war er ehrlich gesagt, vom ersten Tag an war er ein Mann von gestern und es wäre toll, wenn wir jetzt einen Mann oder eine Frau von heute, am besten von morgen bekämen.
Frenzel: Wenn wir mal vom Jobprofil Bundespräsident zum Bewerbungsverfahren kommen: Wie findet man einen solchen Mann, eine solche Frau? Sind die Parteien da die besten Headhunter oder sollten wir vielleicht doch über das österreichische Modell, die Direktwahl nachdenken?
Augstein: Also, wenn Sie sich angucken, was in Österreich gerade passiert ist, dann wundert mich, dass Sie das überhaupt vorschlagen oder darüber überhaupt nachdenken, denn die Österreicher sind um Haaresbreite dem Schicksal entronnen, einen Menschen im Amt zu haben, der bei uns im Prinzip scharf rechtsradikal genannt werden könnte. Nein …
Ein Anhänger der repräsentativen Demokratie
Frenzel: Aber sie haben darüber gesellschaftliche Debatten geführt, die offenbar notwendig waren.
Augstein: Ja, ich bin ja schon ein großer Anhänger der repräsentativen Demokratie. Leute wählen Parteien und die Parteien arbeiten, funktionieren als Filterprozesse und Abklingbecken auch für politische Debatten. Und das Ganze wird dann übersetzt in Politik und Politik ist doch ein sehr professionelles Geschäft. Und das sollte, wie soll man sagen, also … Es ist ganz gut, wenn es da noch Vermittlungsinstanzen gibt zwischen dem Volk und dem, was nachher dabei herauskommt.
Ich bin kein Fan der direkten Demokratie und ich glaube auch nicht, dass eine Direktwahl des Bundespräsidenten in unserem System funktionieren würde. Schon Gauck war ja teilweise eine Zumutung und ein Problem für die Bundesregierung, weil er so eigensinnig war. Wenn Sie jetzt noch einen direkt gewählten Kandidaten hätten, dann sind Sie nicht mehr sicher, ob sie da nicht so selbstherrliche Figuren bekommen. Und noch mal, also: Gauck war ein besonders eitler Mann. Wenn der auch noch direkt gewählt gewesen wäre, dann wissen Sie nicht, wozu der noch in der Lage gewesen wäre.
Frenzel: Das sagt Jakob Augstein, der Herausgeber des "Freitags". Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Augstein: Danke, tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.