Jakob Hein: Die Orient-Mission des Leutnant Stern
Galiani Berlin 2018
242 Seiten, 16,99 Euro
Eine verrückte Dschihad-Groteske
Als Deutschland den Ersten Weltkrieg zu verlieren droht, fasst ein Orientalist einen gewagten Plan: Der türkische Sultan soll die Muslime zum Dschihad gegen England und Frankreich aufrufen. In seinem neuen Roman schildert Jakob Hein mit Witz und Humor die abenteuerliche Orient-Mission.
Es ist ein unglaublicher historischer Stoff, den sich der Berliner Schriftsteller Jakob Hein für seine Geschichte geschnappt hat. Gefunden hat er ihn während einer Israelreise, auf der ihn ein Gelehrter auf die einst so engen deutsch-muslimischen Beziehungen hingewiesen hat.
Denn als im Ersten Weltkrieg das Deutsche Reich den Krieg zu verlieren drohte, legte der seinerzeit bedeutendste Orientalist Max von Oppenheim einen gewagten Plan vor: Der türkische Sultan sollte dazu gebracht werden, die Muslime in aller Welt zum Dschihad gegen England und Frankreich aufzurufen. Jakob Hein macht Oppenheims Plan nun zum Ausgangspunkt seiner wunderbar verrückten Dschihad-Groteske.
Mit großer Erzähllust beginnt Jakob Hein seine "Orient-Mission des Leutnant Stern" mit seinem grundsympathischen Helden Edgar Stern, der im Vorkriegssommer 1914 eben noch die Sommerfrische an der belgischen Küste mit gutem französischen Essen genießt, dann kurzerhand abberufen wird, sich als Soldat im Schützengraben wiederfindet und vor lauter Langeweile eine verblüffende Kriegsstrategie ausheckt: Sein Suez-Plan, in dem er nichts weniger vorhat, als den gleichnamigen Kanal in die Luft zu sprengen, soll England abhalten, sich in den Krieg einzumischen.
Seitdem gilt Stern für Teile der Generalität als ein "Wahnsinniger, aber genau diese Art von Wahnsinn benötigte man, um diesen Krieg erfolgreich zu führen". Sein Plan wird zwar verworfen, aber Stern scheint prädestiniert für eine weitere aberwitzige Kriegsmission: Er soll 14 muslimische Kriegsgefangene, als illustre Zirkustruppe getarnt, nach Konstantinopel schmuggeln, um den türkischen Sultan zur Ausrufung des Dschihad zu animieren.
Ein kaum bekanntes deutsch-islamisches Kapitel
Mit historischer Tiefenschärfe, aber auch mit viel Witz und Humor nimmt Jakob Heins abenteuerliche Orient-Mission erzählerische Fahrt auf. Dabei wechselt Hein von Kapitel zu Kapitel von einer Figur zur nächsten: Einmal folgen wir dem Expeditionsleiter Stern, der als selbst ernannter Zirkusdirektor seine bunte Artistentruppe im Balkanexpress mit mehr Glück als Verstand durchs Feindesland nach Konstantinopel bringt.
Ein anderes Mal erzählt der muslimische Gefangene Tassaout, ein aus dem Atlasgebirge vertriebener Berber - oder der ebenso mitreisende Gesandte Schabinger Freiherr von Schowingen, der immerfort damit beschäftigt ist, dem Sultan zu vermitteln, die Idee vom Dschihad sei seine eigene. Durch diese unterschiedlichen Perspektiven entsteht ein kunterbuntes Kaleidoskops, auch damit gelingt es Jakob Hein das Unberechenbare und Unübersichtliche dieser Dschihad-Mission in den Blick zu nehmen.
Es ist eine aberwitzige und gleichermaßen heikle Unternehmung der preußischen Diplomatie, dass ausgerechnet Christen den obersten Moslem auf bestimmte Passagen im Koran aufmerksam machen, auf die sich obendrein der Jude von Oppenheim bezogen hat. Mit diesem Irrsinn menschlichen Treibens rückt Jakob Hein sein Buch in geglückter Weise in die Nähe eines Schelmenromans und lässt seine Figuren wie Spieler auf einem großen politischen Schachbrett erscheinen. Immer hat der Roman auch etwas Gegenwärtiges: Fluchtgeschichten, Glaubensfragen, Antisemitismus - all das hallt hier wieder.
Dass sich Jakob Hein einen so gewichtigen historischen Stoff für seine Geschichte wählt, ist neu. Nun legt der Lesebühnenautor und Spezialist für Schelmenromane einen wunderbar feinsinnigen Text vor, der uns diese absurde, aber wahre Geschichte über ein kaum bekanntes deutsch-islamisches Kapitel unserer Geschichte näherbringt.